Das eine oder andere Tränchen werde bestimmt fließen, sagt Stefanie Ilcik und zieht dabei die Mundwinkel ein bisschen nach unten. Obwohl von Anfang an klar gewesen ist, dass der neue Mitbewohner nicht für immer bleibt. Steff wird der hellbraune Steffordterrier, der sich auf Ilciks Balkon an die junge Frau herankuschelt und ein paar Streicheleinheiten einfordert, gerufen. Vor bald drei Wochen ist der Vierbeiner mit der 26-Jährigen und ihrem drei Jahre älteren Freund Marco Simoner in der gemeinsamen Wohnung in Wien-Meidling untergekommen. Eigentlich ist Steff jedoch Teil einer anderen Familie – bei der er bis vor kurzem fast 2000 Kilometer weiter im Westen lebte.

Steff wuchs in der Ukraine auf. Als seine Familie flüchtete, war er dabei.
Foto: Oona Kroisleitner

In Sumy in der Ostukraine lebte der Listenhund mit der Kardiologin Nataliia, ihrem Ehemann Roman, einem orthodoxen Priester, sowie deren vier Kindern im Alter zwischen einem und 17 Jahren und der Katze Murka in einer Vier-Zimmer-Wohnung. Als Ende Februar die russischen Luftangriffe starteten, floh die Familie mit ihrem Auto aus dem siebten Stock des Wohnblocks mitten in der Stadt in ihr Ferienhaus auf dem Land. Doch auch dort wurde die Situation immer angespannter. Und so verließen sie im März in ihrem vollgepackten Auto das Dorf – und reisten tagelang quer durch die Ukraine, Ungarn und die Slowakei bis nach Österreich.

Kein Platz bei Freunden

In Wien angekommen, fand die Familie ein Zuhause bei Freunden – Steff hatte aber keinen Platz mehr. Für Fälle wie diesen sucht die Volkshilfe Wien Helfende, die sich vorübergehend um die aus der Ukraine ankommenden Tiere – Hunde, Katzen und Hasen – kümmern. So lange, bis die Familien der Tiere eine Unterkunft gefunden haben, wo die Vierbeiner auch leben können. Zwischen 250 und 300 Anmeldungen für Pflegeplätze zählt die Hilfsorganisation aktuell.

An Pflegefamilien wurden bis April zwei Hunde und 14 Katzen vermittelt. Zwölf von Letzteren kamen gemeinsam nach Wien. Mit einer Mutter und deren Tochter im Auto, wobei eine der Katzen zwischenzeitlich ausgebüchst ist. "Die zwei Frauen sind bei einer anderen Tochter, die schon länger in Wien lebt, untergekommen. Dort konnten aber nicht auch noch die Katzen einziehen", erzählt Sabine Rauscher, die von der Volkshilfe Wien mit dem Projekt betraut ist. Die Tiere wurden auf drei Helferinnen aufgeteilt.

Ist ein Pflegeplatz gefunden, werden die Tiere im Tierquartier durchgecheckt, gechipt und geimpft – zur Sicherheit der Pflegenden. Doch nicht jedes Tier passt zu jeder Familie. "Natürlich spielt beispielsweise auch die Größe des Hundes oder wie kräftig er ist, eine Rolle, und wie alt die Menschen sind, die sich um das Tier kümmern wollen", sagt Rauscher.

Simoner und Ilcik waren erst ein wenig geschockt, als Steff vor der Tür stand.

Foto: Oona Kroisleitner

Als Ilcik und Simoner das Inserat entdeckt haben, sahen sie es als ihre Möglichkeit, zu helfen, sagt Simoner. "Wir haben Erfahrung mit Tieren, den Platz, sind beide selbstständig und viel im Homeoffice." Bei ihrer Bewerbung hätten sie nur Katzen wegen der Terrasse ausgeschlossen – zu gefährlich sei das für die Tiere. Sie hätten "mit allem gerechnet, nur nicht mit ihm", sagt Ilcik und krault Steffs Hals. Kurz habe er überlegt, ob Steff wirklich der richtige Hund für sie sei, sagt Simoner. Denn bis aus dem Steffordterrier ein zutraulicher Schmuser wurde, der den beiden kaum mehr von der Seite weichen will, dauerte es ein bisschen. Von der Tierrettung vor der Haustüre abgegeben, wollte er erst gar nicht in die Wohnung mitkommen. "Ich hab mehr als eine Stunde versucht, ihn raufzubewegen", erzählt Ilcik. In ihrer "Verzweiflung" telefonierte sie schlussendlich mit der Familie des Hundes. "Sie haben mir dann genau gesagt, was ich machen und sagen soll – auf Ukrainisch." Mittlerweile kann Ilcik die Grundkommandos auf Ukrainisch: Komm mit! Sitz! Gib Pfote!

Austausch der Familien

Dass der Kontakt zwischen Pflegenden und den Familien aufrechtbleibt, sei besonders für die Vertriebenen wichtig: "Haustiere sind wie Familienmitglieder. Wenn man mit ihnen die Flucht antritt, dann will man auch nicht ankommen und sie abgeben", sagt Rauscher. Viele derer, die in Wien bleiben, sprechen Englisch, sonst hilft der Google-Übersetzer. Und: "Es gibt viele freiwillige Dolmetscherinnen und Dolmetscher, die unterstützen", betont Rauscher.

Zwischen Steffs Familien funktioniert der Austausch. Er bekommt regelmäßig Gassi-geh-Besuch, zwei- bis dreimal pro Woche hole der Sohn der ukrainischen Familie ihn ab. Und jeden Tag schickt Ilcik Fotos an Nataliia, und sie "schreiben ein wenig herum", erzählt sie. (Oona Kroisleitner, 6.5.2022)