Trotz einer vereinbarten mehrtägigen Feuerpause – um Zivilisten vom Gelände bringen zu können – gingen die Kämpfe um das belagerte Asow-Stahlwerk in Mariupol auch am Donnerstag nach ukrainischen Angaben weiter.

Bild nicht mehr verfügbar.

Die Kämpfe um das belagerte Asow-Stahlwerk dauern an.
Foto: AP Photo/Alexei Alexandrov

Russische Soldaten sollen mittlerweile ins Stahlwerk eingedrungen sein, das mit einer Fläche von elf Quadratkilometern als eines der größten in Europa gilt. Moskau allerdings bestritt einen Angriff, der humanitäre Korridor sei am Donnerstag geöffnet gewesen, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. In vielen weiteren Teilen des Landes dauerten die Kämpfe ebenfalls an. Der Gouverneur der Region Luhansk, Serhij Hajdaj, sprach von fünf Toten in Sjewjerodonezk, Lyssytschansk, Hirske und Popasna im Donbass.

Freitag zu Mittag weitere Evakuierungen

UN-Generalsekretär António Guterres bestätigte in einer Sitzung des UN-Sicherheitsrats, dass ein weiterer Einsatz zur Evakuierung von Zivilistinnen und Zivilsten laufe. "Es ist unsere Politik, nicht über die Details zu sprechen, bevor sie abgeschlossen ist, um einen möglichen Erfolg nicht zu untergraben", fügte er hinzu. Wolodymyr Selenskyj bestätigte die fortgesetzte Evakuierung.

Donnerstagabend ließ die Vize-Premierministerin der Ukraine, Iryna Wereschtschuk, auf Telegram wissen, dass es am Freitag um 12 Uhr Ortszeit weitere Evakuierungen aus Mariupol geben werde. Details waren zunächst nicht bekannt.

Ukraine: Russland will Asovstal-Werk am 9. Mai erobern

In Mariupol warten nach ukrainischen Angaben noch etwa 200 Zivilistinnen und Zivilsten darauf, aus einem schwer umkämpften Stahlwerk herauszukommen. Genaue Zahlen gibt es nicht. Bei zwei vorherigen Evakuierungen unter Vermittlung der Vereinten Nationen und des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz wurden etwa 500 Menschen aus Mariupol und Umgebung auf ukrainisch kontrolliertes Gebiet nach Saporischschja geholt.

Russland will nach Einschätzung der ukrainischen Regierung das belagerte Stahlwerk in der Hafenstadt Mariupol bis Montag erobern. Präsident Wolodymyr Selenskyjs Berater Olexij Arestowytsch sagte am Donnerstagabend, das Azovstal-Werk solle zum 77. Jahrestag des Sieges über Hitler-Deutschland am 9. Mai erobert werden. "Das schönste Geschenk an einen Herrscher ist der Kopf seines Gegners. Ich erkenne klar das Bestreben, Azovstal zu erobern und Putin zum 9. Mai den "Sieg" zu schenken", wurde er von der Agentur Unian zitiert. "Sie wollen das unbedingt, aber mal sehen, ob ihnen das gelingt", sagte Arestowytsch.

Wie das ukrainische Militär mitteilte, wird eine russische Landungsoperation an der Schwarzmeerküste in der Umgebung der Hafenstadt Odessa für möglich gehalten. Laut regionaler Militärführung wird das Gebiet verstärkt von russischen Aufklärungsdrohnen überflogen. Das berichtete die Zeitung "Ukrajinska Prawda" am Abend. Zudem sei die russische Marine vor dem von ukrainischer Seite kontrollierten Küstenabschnitt weiterhin stark präsent.

Die Bewohner wurden gebeten, sich von den Stränden und Sicherheitszonen an der Küste fernzuhalten. Auch sollten sie auf Fahrten mit kleinen Booten verzichten. Gleichzeitig wurde die Bevölkerung aufgerufen, verdächtige Aktivitäten zu melden.

Milliardenhilfe

In Polens Hauptstadt Warschau fand unterdessen am Donnerstag eine große internationale Geberkonferenz für die Ukraine statt. Laut Polens Premierminister Ministerpräsident Mateusz Morawiecki konnten dabei Zusagen für 6,5 Milliarden Dollar für das kriegsgebeutelte Land gesammelt werden. Österreich beteiligt sich laut Außenministerium mit knapp 42 Millionen Euro daran. Da es sich um neue, zusätzliche Mittel für humanitäre Hilfe handelt, übersteigt die Summe in diesem Budgettopf damit heuer erstmals die Schwelle von 100 Millionen Euro.

Die Europäische Kommission sagte 200 Millionen Euro zu.

Indes sind zugesagte Waffenlieferungen für die Ukraine noch nicht angekommen. Nach Einschätzungen aus dem Umfeld von Präsident Wolodymyr Selenskyj muss Kiew deshalb mit einer Gegenoffensive bis Mitte Juni warten. Dann werde die Ukraine hoffentlich mehr Waffen aus dem Ausland erhalten haben, sagt Präsidentenberater Olexij Arestowytsch. Ein früherer Zeitpunkt sei unwahrscheinlich.

Telefonate Berlin – Kiew und Berlin – Washington D.C.

Versöhnliche Töne gab es zumindest zwischen Berlin und Kiew. Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier telefonierte am Donnerstag überraschenderweise mit seinem Amtskollegen Selenskij. Es war der erste direkte Kontakt, seit die Ukraine Mitte April einen Besuch des Steinmeiers in Kiew abgelehnt und damit einen diplomatischen Eklat ausgelöst hatte. Steinmeier sei nun persönlich zu einem Besuch in Kiew eingeladen worden, hieß es. Man wolle die "Vergangenheit zurückzulassen und sich auf die zukünftige Zusammenarbeit zu konzentrieren". Auch die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock und Bundestagspräsidentin Bärbel Bas haben Reisepläne in die ukrainische Hauptstadt.

Aber nicht nur Steinmeier griff zum Hörer. Auch der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz führte am Donnerstag ein Telefonat mit einem Staatschef, nämlich mit dem US-Präsidenten Joe Biden. Laut dem Weißen Haus unterstrichen Scholz und Biden in ihrem Gespräch die Verpflichtung, Russland für sein Handeln in der Ukraine zur Verantwortung ziehen zu wollen. (mhe, APA, Reuters, 5.5.2022)