Ob in Beverly Hills, im Dörfchen Bouchard im Norden Frankreichs, im Gefängnis von Casablanca oder auf einer Weltreise nach Afrika – überall ist es schwer, der Isolation zu entkommen, wenn man gleichzeitig man selbst bleiben will.

Sarah Pine, "Damenbart". 20,60 Euro / 200 Seiten. Verlag Schöffling
& Co, 2022
Cover: Schöffling

Das zumindest wissen die Protagonistinnen dieses besonderen neuen Buches von Sarah Pine, und wir können von ihnen allen lernen, wenn wir uns ihre Geschichten anhören! Ja: Denn von Menschen, die ein wenig anders sind und der daraus resultierenden Einsamkeit zu entkommen versuchen, handelt dieser neue Geschichtenband Damenbart, der bei Schöffling und Co erschienen ist.

Da gibt es beispielsweise die fett gewordene Martha, die ihren Lebenssinn darin findet, Toaster und Mixer in ihrer Garage zu horten, oder die moderne Frau Maryweather, die meistens von ihrem Playboy träumt und ihre Beziehung zu ihrem frommen Vater dadurch aufarbeitet, dass sie sich die schönsten und teuersten Kleider kauft.

Sauerland und Stanford

Da gibt es die einfache Marlena, deren Alltag blass und ereignislos verläuft, und die eigenartige Ich- Erzählerin des Textes Persephone, die sich zwischen dem mysteriösen K. und ihrem, wie sie schreibt, "Schaschlick"-artigen Mann, dem spröden Mustafa, entscheiden muss – und schließlich gedanklich im Gefängnis endet! Sarah Pines Figuren sind liebevoll geschildert und entbehren nicht einer gewissen Traurigkeit. In jeder der in ihrem Band versammelten Storys begegnen uns Menschen, die auf den ersten Blick alltäglich wirken und doch in Wahrheit am Rande der Gesellschaft stehen.

Dabei weist die im Sauerland und in Bonn aufgewachsene Autorin, die in Köln und Stanford ein Literaturwissenschaftsstudium abgeschlossen hat, eine Fülle an Erzählweisen auf: Einmal nimmt sie die Perspektive einer alten "messy" Figur ein, dann wieder spricht sie aus dem Munde eines Mannes auf Weltreise, schildert die traumartigen Alltagserlebnisse eines Kindes aus der Ich- Perspektive oder spürt dem Leben eines Großvaters nach, der auf die Orangenlieferung eines Südfruchtversands wartet.

Kulinarik

Womit wir auch schon bei einem der Hauptthemen des Buches wären: der Kulinarik! Denn fast jede Kurzgeschichte widmet sich fast zwanghaft dem Essbaren: Ist es in der ersten Geschichte die Lust auf Fleisch, die bei der alten Martha auszuufern droht, so steht die Figur Marlen eher auf "Pizza" und liebt es, wenn das Fett auf ihr Kleid tropft.

Auch die Titel der Texte sind oft an Speisen angelehnt. Derart nennt sich einer der kurzen Texte, der aus der Perspektive eines fantasievollen Kindes berichtet, Krabbencocktailrot, während ein weiterer, der den Aufenthalt einer jungen Frau in Zürich thematisiert, den klingenden Namen Eierschalenfarbenrot trägt, und gegen Ende hin, in der Geschichte Schweiß, wird sogar auch noch die Konsistenz eines alten Dorfes mit der von Milch verglichen.

Ähnlich vielschichtig, wie hier mit dem Thema Essen umgegangen wird, behandelt die Autorin jedoch auch die formale Ebene der Texte: Ihre Protagonistinnen sind mal männlich, mal weiblich, mal jung, mal alt – und berichten wahlweise in der dritten Person oder in der Ich- Perspektive von sich.

Schweiß und Persephone

Damit nicht genug: Auch SMS, Versatzstücke aus Briefen und Zitaten dürfen nicht fehlen! Während Ein Mann kehrt den Rücken die Form einer E-Mail einer alleinerziehenden Frau an ihren Liebsten aufweist, arbeitet der Text Schweiß mit einem Zitat von Rimbaud – und die Erzählung Persephone ist bezeichnenderweise fast träumerisch an ein "Du" gerichtet.

So extravagant und eigenwillig der Ansatz jeder Geschichte ist, so klar und strukturierend bleibt allerdings die Sprache der Autorin, die wenig riskiert und allein als Vehikel dient, um die unterschiedlichen Erlebnisse der "Vereinsamten" zu transportieren. Vielleicht liegt es daran, dass Damenbart trotz seiner mutigen Perspektiven letzten Endes doch ein wenig glatt wirkt. (Sophie Reyer, ALBUM, 8.5.2022)