Alice Schwarzer war am Donnerstag in der "ZiB 2" zu Gast.

Foto: ZiB2

Die deutsche Feministin Alice Schwarzer, eine der bekanntesten Unterzeichnerinnen eines umstrittenen offenen Briefs zum Ukraine-Krieg, hat in der "ZiB 2" des ORF am Donnerstagabend davor gewarnt, sich in einen dritten Weltkrieg hineinziehen zu lassen. "Der Krieg kann nicht ewig gehen", sagte Schwarzer. Jetzt sei nicht "die Stunde der Helden, sondern die Stunde der Nachdenklichen".

Den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz forderte sie auf, den "Weg der Besonnenheit" weiterzugehen. "Wir haben täglich mehr Zerstörung, mehr Vergewaltigte und mehr Tote", sagte Schwarzer. "Es muss unser aller Interesse sein, baldmöglichst zu handeln, damit Stopp ist mit den Kriegshandlungen."

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Schwarzer sagte, man müsse eine Lösung finden, die Russlands Präsidenten Wladimir Putin "nicht ganz in die Ecke treibt" und bei der Putin "trotz des zu verurteilenden verbrecherischen Angriffs nicht ganz sein Gesicht verliert". Man müsse den richtigen Moment finden für Verhandlungen, und diesen sieht Schwarzer nun gekommen: Die Ukraine habe Kiew erfolgreich verteidigt, und die russischen Truppen seien im Osten des Landes vorgedrungen. Zudem warnte Schwarzer vor einer nuklearen Eskalation.

Ex-Außenministerin Ursula Plassnik (ÖVP) entgegnete, dass der Brief nicht an Scholz, sondern an Putin hätte gerichtet sein sollen: "Sie haben sich geirrt im Adressaten." Plassnik berief sich auf die Notwehr der Ukraine und betonte, dass jedem Land im Fall eines Angriffskriegs "Hilfe zur Selbsthilfe" geleistet werden sollte.

Veröffentlichte vs. öffentliche Meinung

Zuvor hatte Schwarzer bereits im STANDARD-Interview den Brief verteidigt. "Wir (...) sind hochrealistisch und genau darum hochalarmiert. Unser Anliegen ist: (...) ein schnellstmöglicher Stopp des Krieges in der Ukraine, der täglich das Land mehr verwüstet und immer mehr Vergewaltigungsopfer und Tote fordert", sagte Schwarzer.

Bisher habe "die veröffentlichte Meinung nicht die öffentliche Meinung" reflektiert, meinte sie. "Das hat sich durch unseren offenen Brief geändert. Endlich wird über diese für uns alle lebenswichtige Frage diskutiert."

Der vergangenen Freitag veröffentlichte Brief war auch vom österreichischen Künstler und Medientheoretiker Peter Weibel initiiert worden. Er fordert im Kern den deutschen Kanzler Scholz auf, sich für einen baldigen Waffenstillstand in der Ukraine einzusetzen, und verurteilt deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine. Zudem warnt er vor einem Atomkrieg mit Russland.

Schwarzer hatte am Mittwochabend in Wien an der Premiere des von ihrem Leben handelnden Dokumentarfilms "Alice Schwarzer" der österreichischen Filmemacherin Sabine Derflinger teilgenommen.

Gegenbrief

Nach dem umstrittenen offenen Brief wandten sich am Mittwoch Intellektuelle mit einem Gegenbrief an Scholz. "Es liegt im Interesse Deutschlands, einen Erfolg des russischen Angriffskriegs zu verhindern. Wer die europäische Friedensordnung angreift, das Völkerrecht mit Füßen tritt und massive Kriegsverbrechen begeht, darf nicht als Sieger vom Feld gehen", hieß es in dem Aufruf, den "Die Zeit" veröffentlicht hatte.

Unterzeichnet wurde der Brief etwa von der österreichischen Autorin Eva Menasse, dem deutsch-österreichischen Schriftsteller Daniel Kehlmann, Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller, dem russischstämmigen deutschen Autor Wladimir Kaminer, dem deutschen Publizisten und ehemaligen Grünen-Politiker Ralf Fücks, der früheren Leiterin der Stasi-Unterlagenbehörde, Marianne Birthler, dem Verleger Mathias Döpfner und dem österreichischen Migrationsforscher Gerald Knaus. (luza, APA, 6.5.2022)