Als ich einmal, lang ist’s her, gemeinsam mit meinem schreibenden Partner von einer Kollegin bei einem Nebenjob gesehen wurde, wusste ich nicht genau, was das für unser Wahrgenommenwerden als SchriftstellerInnen bedeutete.

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Als ich vor längerer Zeit in einer Gruppe von Bekannten an einem Wirtshaustisch davon sprach, dass viele SchriftstellerInnen, darunter auch ich, mit sehr wenig Geld ihr Auslangen finden müssten, lag ein Verdacht in der Luft, nämlich der Verdacht, jene seien vielleicht ganz einfach nicht gut genug und hätten es daher gar nicht so richtig verdient, dass sie davon leben könnten, und überhaupt: Wer kann schon davon leben, was sie oder er gerne macht? (...) Es war also, als würde die Antwort auf die Frage, ob (und wie) jemand vom Schreiben leben kann, eine Aussage darstellen, ob er oder sie gute Literatur schreibe, mehr noch, ob er oder sie sich überhaupt zweifelsfrei SchriftstellerIn nennen dürfte. Die Frage "Kannst du davon leben?", die gestellt wurde, bedeutete auch: "Bist du eine echte Schriftstellerin, oder schreibst du halt einfach ein bisschen?" Ist es also Beruf (...) oder eine Art Berufung ohne finanzielle Interessen, ohne finanzielle Aussichten? Es gab aber auch: "Ach, so viel bekommst du für eine Lesung? Das möchte ich auch mal in einer Stunde verdienen!" Ich wusste dann nicht recht, was ich sagen soll, es ging ja nicht nur um die Lesezeit, ich hatte den Text natürlich vorher geschrieben und die Lesung vorbereitet, aber wie ich meine Arbeit in einen Geldbetrag umrechnen sollte, wusste ich nicht, es sollte sich halt "irgendwie ausgehen". Im Jahr 2013 hat der Kollege Bernhard Kathan einen Text geschrieben, für den er die Sterbedaten der Mitglieder der Grazer Autorinnen Autorenversammlung über einige Jahre recherchiert hat. Er stellte fest, dass die Mitglieder in diesem Zeitraum durchschnittlich im Alter von 63,69 Jahren gestorben sind. Er führt das u. a. auf prekäre Lebensbedingungen und den dadurch schlechteren Zugang zu medizinischer Versorgung zurück, billige Brillen, billiger Zahnersatz, wenig Support bei Problemen. Jetzt, da ich diesen Beitrag schreibe, bin ich fast genau 63,69 Jahre alt. Ein bisschen erschrecke ich.

Als ich einmal, lang ist’s her, gemeinsam mit meinem schreibenden Partner von einer Kollegin bei einem Nebenjob gesehen wurde, wusste ich nicht genau, was das für unser Wahrgenommenwerden als SchriftstellerInnen bedeutete. Wir schleppten Holzscheite von der Straße in Keller oder Wohnungen. Der Job war gut bezahlt (...). Welche Botschaft lag in diesem Nebenjob? Etwa: "Schaut her, wir kommen durch, auch wenn wir keinen tollen literarischen Erfolg haben (...)"? Oder hieß die Botschaft: "Der literarische Erfolg hält sich in Grenzen, und wir machen dazu gute Miene"? Einerseits ist es angenehmer und der Textarbeit zuträglicher, sich morgens an den Schreibtisch zu setzen, als ein paar Hundert Kilo Holz abzutragen, andererseits vielleicht nicht immer. Und der Holzjob war ja "vorübergehend".

Als ich im Jahr darauf ein Jahresstipendium bekam, war für eine Weile Schluss mit "solchen" Jobs. Natürlich wusste ich, dass ein Stipendium kein Beweis dafür ist, dass ich eine gute Schriftstellerin bin, aber es wirkte eher als Qualitätsnachweis als ein Holz-Schlepp-Job. Hm, Qualität, was ist das überhaupt? Eine umfassende oder gar universelle Definition finde ich nicht. (...) Natürlich gibt es verschiedene Beurteilungskriterien, viele von uns glauben, einen guten von einem schlechten Text unterscheiden zu können, mehr oder weniger. Gelegentlich sind wir auch OrganisatorInnen von Veranstaltungen, HerausgeberInnen von Sammelbänden oder Jurymitglieder. Glücklicherweise werden all diese Funktionen immer wieder neu besetzt und die Auswahlkriterien damit von Zeit zu Zeit auf den Kopf gestellt. Oder auf die Füße. Genau genommen bin ich ein Fan der Gießkanne. Es wächst nämlich alles besser, wenn es gegossen wird. Auch ein "Erbe für alle", wie es Thomas Piketty vorschlägt, und ein bedingungsloses Grundeinkommen werden anzudenken sein, um die sogenannte Erwerbsarbeit neu zu organisieren und künstlerische Arbeit als Notwendigkeit zu denken. (...)

Als ich von Corona erfuhr, war ich im Schwimmbad, nein, ich war bei der Demonstration zum Internationalen Frauentag, nein, ich saß in meinem Zimmer für mich allein und organisierte die Veranstaltung namens Lyrik im März. Die Nachrichten über Corona trafen ja zögerlich ein, zizerlweise quasi. Wir verschoben die große Lyrikveranstaltung einmal, zweimal, dreimal – dann fand sie gestreamt im Netz statt. Corona war richtig scheiße, weil, wie sollte es weitergehen, erstens überhaupt und zweitens finanziell? Keine Lesungen, nein, und auch sonst nichts. Diverse Unterstützungsprogramme liefen an, zizerlweise quasi. Und es zeigte sich wieder, was sich oft zeigt: Jede und jeder war in einer anderen Lage als jede und jeder andere, schlechter oder besser, schwer zu sagen, man wusste es selbst nicht mehr genau. Es gibt so viele Varianten des Lebens als SchriftstellerIn, wir vergessen das gerne, weil und damit wir an einem Strang ziehen: hauptberuflich, mit Nebenjob, mit Zweitjob, Drittjob, ohne Job. Mit Stipendium. Als Mann oder Frau lebend. Beginnende Geldnot, fortgeschrittene Geldnot, chronische Geldnot. Zu zweit, zu dritt, zu fünft lebend, allein lebend, mit jemandem aus der sogenannten Risikogruppe lebend, selbst Teil dieser Risikogruppe, wohnungssuchend, AutobesitzerIn, FahrradbesitzerIn. Über einen Balkon verfügend, jung, alt, sehr alt, berühmt, gesund, fast gesund, chronisch krank. Von FreundInnen umgeben, die Hilfsdienste anbieten oder benötigen. Wir ziehen an einem Strang und wissen doch immer, dass wir eigentlich, ernst und streng genommen, in Konkurrenz stehen, ob wir wollen oder nicht. Wir können befreundet sein, einander schätzen und lieben, voneinander begeistert sein, Konkurrenz ist Faktum. Ich zitiere dazu aus einem Interview mit der Zeitschrift PS – Politisch Schreiben:

Im Literaturbetrieb, so, wie er momentan gestaltet wird, ist es schwierig, solidarisch zu handeln. Das liegt einerseits an den durch und durch kapitalistischen Produktions- und Distributionsverhältnissen, die oft durch das berühmte Qualitätsargument, aber auch durch die Illusion prinzipieller Chancengleichheit verschleiert werden. [...] Andererseits basieren die Förderstrukturen, also Stipendien- und Preisvergaben, auf einem knallharten Konkurrenzprinzip. (diereferentin.servus.at/total-eclipse-of-our-hearts)

Es scheint, als gäbe es nicht für alle Platz auf Bühnen, in Verlagen, Radiosendungen, Feuilletons, und: Auf eine, die ein Stipendium bekommt, kommen wohl hundert andere, die es nicht bekommen. Vielleicht (hoffentlich?) denken sie alle, dass sie es verdient hätten, aber hoffentlich denken sie nicht, dass sie es anstelle von jemand anderem verdient hätten. Einige Verteilungsprobleme, die nicht neu sind, warten darauf, dass wir uns mit ihnen befassen. Wir sollten sie nicht mehr warten lassen.

Als ich vor einiger Zeit in Diskussion mit einer potenziellen Bücherkäuferin geriet, fragte sie mich, ob die von mir geschriebenen Bücher anstrengend seien. Ja und nein, sagte ich und spürte, wie ich zu schwitzen begann. Sie überlegte hin und her, und ich schwitzte mehr und mehr. Was bedeutet anstrengend bei einem Buch? Warum soll ich dein Buch lesen, fragte die Interessentin. Es war auf der Mainzer Minipressenmesse, ach, wenn man die eigenen Bücher als Ware im Direktverkauf anbietet, dann sollte man auf solche Fragen gefasst sein. Ich stotterte. Was kann mein Buch bieten? Kann es das Leben besser machen? Eine Freundin schrieb mir einst, für sie habe mein Buch die Welt ein bisschen heller gemacht. Das bestärkte mich darin, dass nicht alles vergeblich ist, nicht immer, danke. Ja, sagte ich der potenziellen Käuferin, die dann doch nichts kaufte, es kann anstrengend sein, aber es kann sich lohnen. Manchmal. Wenn auch nicht für die ganze Welt. Ich selbst war immer wieder an den Unmöglichkeiten der Literatur verzweifelt, etwa als junges Mädchen, beim Lesen des Buches Sadako will leben. Was können Bücher und jede Kunst für diesen beschädigten Planeten und die darauf lebenden Menschen und anderen Tiere Positives bewirken? Was tun, in diesen Zeiten, in denen die Existenz der ganzen Welt prekär geworden ist? Ach, könnten wir doch alle zusammen die Welt dazu bringen, einen Augenblick innezuhalten in ihrem katastrophalen Lauf, diesen drehen und wenden, ach, könnten wir sie und uns selbst neu denken, um andere Richtungen einzuschlagen, so wie es heißt, dass es Orpheus dank der unentbehrlichen Eurydike mit seinem Gesang in der Unterwelt bewirken konnte, nämlich so:

Während [Orpheus] also sprach und zum Sang eingriff in die Saiten, /
Weinte die blutlose Schar der Gestorbenen. Tantalos haschte /
Nicht nach der weichenden Flut, und es stockte das Rad des Ixion; /
Nicht mehr ward von den Geiern die Leber zerhackt; die Beliden /
Ließen die Urnen in Ruh, und Sisyphos saß auf dem Steine.

Aber Achtung, stopp! Wir befinden uns nicht in der Unterwelt, wir sind nicht gestorben, und wir können auch mit unseren gemeinsamen Stimmen nicht als Orpheus und Eurydike auftreten. Die Kunst wäre wohl auch heillos überfordert mit einer solchen Aufgabe, ja, sie müsste sich gegen diesen Anspruch zur Wehr setzen, im Namen der ganzen Welt, die andererseits wieder darauf angewiesen ist, dass die Verhältnisse zum Tanzen gebracht werden. Was bleibt? Halten wir die Möglichkeit offen, über unsere Schatten zu hüpfen, wobei das Wort hüpfen etymologisch mit dem Wort hoffen zusammenhängt, eine andere Welt ist möglich – und vonnöten. Bitter vonnöten. Die Zukunft wird sich uns zeigen, sie wird es uns zeigen, wird es zeigen, je nachdem. (Ilse Kilic, ALBUM, 8.5.2022)