Der Schätzwert für Warhols "Shot Sage Blue Marilyn" (1964) liegt bei 200 Millionen Dollar. Eine Variante in Orange wechselte Ende 2017 für 250 Millionen Dollar über einen Private Sale den Besitzer.

Foto: Christie's

Ein Andy Warhol verkauft sich quasi immer: Wirft man einen Blick in internationale Kunstpreisdatenbanken, dann vergeht kaum ein Tag, an dem nicht irgendwo in einem der weltweit verteilten Auktionssäle – virtuell oder analog, einerlei – eines seiner Werke versteigert wird. Die 1987 verstorbene amerikanische Pop-Art-Ikone war förmlich eine Maschine, die ihre Massenproduktion als kreativen Prozess legitimierte.

In seinen "Factory"-Ateliers wurden unter seiner Aufsicht zig Variationen der Populärkultur entnommener Motive – mal Prominente, mal Konsumgüter – auf unterschiedlichen Bildträgern, in verschiedenen Formaten und mannigfachen Auflagen hergestellt. Zehntausende insgesamt. Dabei war man seinen Arbeiten anfänglich eher mit Unverständnis begegnet. Als Warhol 1962 in Los Angeles seine erste Einzelausstellung bestritt, hatte er dafür 32 fast identische Bilder von "Campbell’s Soup Cans" gefertigt – eben weil es diese Suppenkonserve in 32 unterschiedlichen Geschmacksrichtungen gab.

Ungebrochene Nachfrage

Kein einziges dieser Werke wurde damals verkauft, Warhol bekam dennoch 1000 Dollar. 1996 wechselte die Gruppe an das Museum of Modern Art in New York: für damals horrende 15 Millionen Dollar. Zehn Jahre später begannen die Rekorde im Jahresrhythmus zu purzeln.

Denn die Nachfrage nach seinen Werken ist gerade aufgrund des hohen Wiedererkennungswerts ungebrochen. Erst vergangene Woche setzte sich bei der Grafikauktion in München ein Warhol-Sujet von 1980 in unerwarteter Höhe an die Spitze: Das Konterfei von Sigmund Freud erzielte, entgegen dem Schätzwert von 15.000 bis 20.000 Euro, mit 43.750 Euro einen Rekordpreis, wie Karl & Faber informierte. Es gehört zu der am häufigsten, konkret zu 75 Prozent, in der Auktionsbranche gehandelten Produktgruppe von Drucken, signierte Lithografien inklusive.

Für Warhols Porträt von Sigmund Freud erzielte Karl & Faber (München) jüngst einen Weltrekord für eine Serigraphie dieses Motivs: 43.750 Euro, die von einem amerikanischen Privatsammler bewilligt wurden.
Foto: Karl & Faber

Deutlich mehr soll ein vom Dorotheum in der am 1. Juni anberaumten Zeitgenossen-Auktion angebotener Warhol erzielen: ein charakteristisches, auf einer Fotografie basierendes und mit Acrylfarbe wie Siebdrucktinte erstelltes Porträt von Man Ray, mit Zigarre im Mund und Seemannsmütze auf dem Kopf.

Die Originalaufnahme datiert vom 30. November 1973, als Warhol den damals 83-jährigen Dada-Gott in seiner Pariser Wohnung fotografierte. Eingefädelt hatte das damals Luciano Anselmino, ein junger italienischer Kunsthändler, der Warhol mit einer Bilderserie zu Man Ray beauftragte. Das 1974 auf Leinwand in kräftigen blau-roten Farben gestaltete Porträt kommt aus Privatbesitz und soll der angesetzten Taxe zufolge bis zu 500.000 Euro einspielen. Oder auch mehr, so genau ist das bei Warhol-Werken nicht immer prognostizierbar.

Rekordschätzwert

Etwa auch im Falle des mit den höchsten Erwartungen in der Chronik des internationalen Kunstmarkts kommende Woche von Christie’s in New York ins Rennen geschickten Porträts: die Shot Sage Blue Marilyn aus dem Jahr 1964, deren Schätzwert im Vorfeld mit 200 Millionen Dollar beziffert wurde. Das gab es noch nie.

Insidern zufolge könnte es sich sogar nur um den Startpreis handeln und das Werk am Ende sogar auch 500 Millionen Dollar bringen. Es ist genug Vermögen im Umlauf, und die rasant steigende Inflation befeuert Investitionen in Sachwerte wie Kunst zusätzlich. Für Tech-Milliardäre, Staatsfonds aus dem Nahen Osten oder asiatische Stiftungen mit angeschlossenen Privatmuseen wird sich so schnell keine gefälligere Trophäe finden lassen.

Warhols auf Leinwand verewigtes Porträt von Man Ray aus dem Jahr 1974 gehört zu den Highlights der am 1. Juni im Dorotheum anberaumten Zeitgenossen-Auktion. Der Schätzwert beläuft sich auf 300.000 bis 500.000 Euro.
Foto: Dorotheum

Anders als man angesichts des bekannten Motivs, dem ein Standbild aus dem Spielfilm Niagara (1953) zugrunde lag, annehmen würde, sind diese Konterfeis der Hollywood-Legende tatsächlich selten: In dieser Größe – 40 Zoll oder 101,6 Zentimeter im Quadrat – schuf Warhol nur fünf Porträts, die sich nur in der Farbgebung unterscheiden.

Von 17 auf 250 Millionen in 20 Jahren

Dazu gehört etwa auch die Orange Marilyn, die in den vergangenen 20 Jahren einige Besitzerwechsel und eine bemerkenswerte Wertsteigerung erfuhr: Ende der 1990er-Jahre hatte sie der Sotheby’s-Starauktionator Tobias Mayer aus einer deutschen Privatsammlung akquiriert und auf Basis des damaligen Warhol-Weltrekords auf vier, vielleicht sechs Millionen Dollar taxiert. Im Mai 1998 kam das Werk zur Auktion und trieben fünf Bieter den Preis in wenigen Minuten von vier auf 17,32 Millionen Dollar. Der US-amerikanische Kasinomagnat Steve Wynn zog als Verlierer vom Feld.

Den siegreichen Zuschlag bekam Larry Gagosian: Er hatte im Auftrag des US-Verlegers und ehemaligen Condé-Nast-Vorstands Samuel Irving "SI" Newhouse geboten. Nach dessen Tod im Oktober 2017 war Mayer, der sich 2013 aus dem Auktionszirkus zurückgezogen hatte, von den Erben mit der Beratung zur sukzessiven Verwertung der umfangreichen Sammlung beauftragt worden. Manches wurde versteigert, anderes hinter den Kulissen verkauft. Darunter war auch die Orange Marilyn, die, wie der STANDARD im Jänner 2018 berichtete, über einen Private Sale in den Besitz des US-amerikanischen HedgefondsUnternehmers (Citadel Investment Group) Kenneth Griffin wechselte: für 250 Millionen Dollar.

Dieser Preis lag deutlich über dem offiziellen Auktionsweltrekord, den Sotheby’s im November 2013 notierte: für ein Diptychon aus der Death and Disaster-Serie, in der Warhol das Auto als Ikone des Schreckens und der Zerstörung thematisierte. Werke dieser Gruppe zählen zu heißbegehrten Raritäten, und dementsprechend hoch fiel der damalige Zuschlag mit 105,44 Millionen Dollar (inklusive Aufgeld) aus. Ein Auktionsweltrekord, der dank der salbeiblauen Marilyn in der Nacht auf Dienstag jedenfalls Geschichte sein wird. (Olga Kronsteiner, 8.5.2022)