Über harte Wirtschaftssanktionen, smarte Maßnahmen und atypische Sanktionen weiß Katharina Meissner im Gastblog zu berichten.

Am 24. Februar 2022 initiierte Russland den Einmarsch in die Ukraine und eskalierte damit den Ukraine-Russland Konflikt in einen militärischen Krieg. Die Antwort von Seiten der EU kam unmittelbar in der Form von Sanktionen. Die zentrale Frage war und ist nicht, ob sanktioniert wird, sondern welche Sanktionen ergriffen werden.

Seitdem Sanktionen im Jahr 1992 mit dem Maastricht Vertrag in den Instrumentenkasten der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) aufgenommen wurden, ist ihre Anzahl stark gestiegen. Insbesondere im letzten Jahrzehnt hat die EU verstärkt auf restriktive Maßnahmen, wie Sanktionen im EU-Jargon bezeichnet werden, zurückgegriffen.

Harte Wirtschaftssanktionen, wie sie die EU gegenüber Russland verhängt, sind dabei eher die Ausnahme unter den restriktiven Maßnahmen. Ein Grund dafür sind die Effekte, die solche umfassenden Sanktionen auf die Wirtschaftsbeziehungen und Lieferketten der EU mit Drittstaaten haben. Es werden aber auch humanitären Konsequenzen umfassender Wirtschaftssanktionen befürchtet. Trotzdem hat die EU in den letzten Jahren verstärkt harte wirtschaftliche Sanktionen beschlossen.

Abstimmung über Sanktionen gegen Russland im Europäischen Parlament.
Foto: IMAGO/Future Image

Harte Wirtschaftssanktionen und smarte Maßnahmen

Unter umfassenden Wirtschaftssanktionen können solche Maßnahmen verstanden werden, die ökonomische Beziehungen zu einem Drittstaat einschränken und zumindest einen Sektor wie Energie, Finanztransaktionen oder Güter mit doppelten Verwendungszweck betreffen. Etwa ein Viertel aller Sanktionsentscheidungen im Rat der EU entfielen zuletzt auf solch umfassende Wirtschaftssanktionen.

Tatsächlich sanktioniert die EU derzeit sechs Staaten mit eigenen, autonomen Wirtschaftssanktionen: Iran, Myanmar/Burma, Russland, Syrien, Venezuela und die von Russland kontrollierten Gebiete in der Ukraine. Mit Ausnahme von Venezuela werden diese Drittstaaten mit einer Vielzahl von harten Wirtschaftssanktionen belegt, die sowohl Güter mit doppeltem Verwendungszweck als auch Finanztransaktionen sowie bestimmte Exporte und Importe umfassen.

Solch harte Wirtschaftssanktionen sind nicht selbstverständlich. Im Einklang mit den UN verfolgt die EU im Normalfall eine Strategie der smarten restriktiven Maßnahmen. Smarte Sanktionen sind zielgerichtet auf bestimmte Individuen oder Unternehmen zugeschnitten, um humanitäre Konsequenzen für die breite Bevölkerung des sanktionierten Staates zu vermeiden. In der Tat fokussiert die große Mehrzahl der europäischen Sanktionsregime auf Einreisebeschränkungen für bestimmte Personen und deren Vermögens- und Kontoeinfrierungen in der EU.

Warum weicht die EU gegenüber einigen Staaten wie Russland, aber auch etwa Myanmar/Burma von smarten Sanktionen ab? Neue Forschungsergebnisse legen nahe, dass die EU umfassende Wirtschaftssanktionen als Antwort auf grobe Menschenrechts- oder Völkerrechtsbrüche solcher Staaten formuliert, die entsprechende militärische Kapazitäten besitzen. Im Fall der russischen Invasion in die Ukraine ist der Völkerrechtsbruch evident. Aber auch Myanmar/Burma wird krasse Menschenrechtsverletzungen gegenüber der Rohingya Minorität zur Last gelegt.

Allerdings handelt die EU in Form von umfassenden Wirtschaftssanktionen oftmals nur dann, wenn die Menschenrechts- oder Völkerrechtsverletzungen in der Öffentlichkeit sehr salient sind oder wenn sich die EU-Mitgliedsstaaten in einer Allianz mit den USA wissen. Der russische Krieg gegen die Ukraine ist hier beispiellos. Die EU setzt ihre harten Wirtschaftssanktionen zusammen mit den USA in einer breiten internationalen Allianz unter größter öffentlicher Aufmerksamkeit um.

Atypische Sanktionen aus der Entwicklungs- und Handelskooperation

Wenn in der Öffentlichkeit über Sanktionen gesprochen wird, sind häufig klassische restriktive Maßnahmen, die unter die GASP fallen, gemeint. Tatsächlich greift die EU aber auch auf weniger bekannte Mechanismen zurück, um Drittstaaten zu sanktionieren oder um eine Verhaltensänderung zu erwirken. Solche Mechanismen aus der Entwicklungskooperation und der Handelspolitik kommen sogar weitaus häufiger zum Tragen als klassische Sanktionen der GASP.

Ein Beispiel solcher Sanktionstypen ist das Schema allgemeiner Zollpräferenzen. Mit diesem Schema begünstigt die EU Entwicklungsländer mit einem zollfreien Import bestimmter Waren in ihre Mitgliedsstaaten. Dies unterliegt allerdings der sogenannten Konditionalitätsklausel. Eine Bedingung ist, dass in dem Entwicklungsland Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte geachtet und eingehalten werden. Wenn dies nicht der Fall ist, kann die Europäische Kommission ein Verfahren einleiten, sodass das Schema vorübergehend oder vollständig ausgesetzt wird und das Entwicklungsland nicht länger von Zollbegünstigungen profitiert. Das ist bisher in vier Fällen passiert: Myanmar/Burma (1997), Belarus (2007), Sri Lanka (2010) und Kambodscha (2020).

Auch Kooperations- und Handelsabkommen der EU mit Drittstaaten unterliegen der Konditionalität. Sämtliche internationale Abkommen aus der Entwicklungskooperation und Handelspolitik, die von der EU geschlossen werden, unterliegen somit der Bedingung, dass grundsätzliche Werte wie Menschenrechte in den Partnerländern eingehalten werden. Wie bei dem Schema allgemeiner Zollpräferenzen können internationale Abkommen vorübergehend oder vollständig suspendiert werden, wenn es zu Verstößen gegen solche Werte kommt. In ihren Beziehungen mit den afrikanisch, karibisch, pazifischen Ländern hat die EU diese Möglichkeit bereits des Öfteren in Anspruch genommen.

Verschiedene Sanktionstypen, unterschiedlicher Erfolg?

Ein Blick in die Forschung zeigt, dass der Erfolg von Sanktionen nur gering eingeschätzt wird. Dies liegt unter anderem daran, dass bereits die Definition eines solchen Erfolgs schwierig ist. Denn selbst wenn Sanktionen keine unmittelbaren Verhaltensänderungen herbeiführen, können sie dennoch eine starke Signalwirkung nach außen haben.

Anders als intuitiv angenommen, haben sich jedoch bislang limitierte, zielgerichtete Maßnahmen eher als effektiv bewiesen denn umfassende Wirtschaftssanktionen. Zwar liegt ein Erfolgsfaktor in den Kosten begründet, die mit Sanktionen einhergehen. Allerdings steigen mit umfassenden wirtschaftlichen und finanziellen Maßnahmen auch humanitäre Konsequenzen, die die breite Bevölkerung in einem sanktionierten Land treffen. Harte Wirtschaftssanktionen treffen nicht zuletzt auch die Staaten, die selbst ebendiese Maßnahmen verhängen. Nicht intendierte Konsequenzen treten bei der großen Mehrzahl von Sanktionen auf, bei UN-Sanktionen etwa in 94 Prozent der Fälle.

Die Gefahr nicht intendierter Konsequenzen der ergriffenen Maßnahmen ist leider auch im Falle Russlands vorhanden. Forschungsergebnisse legen nahe, dass nicht beabsichtigte, negative Folgen umfassender Wirtschaftssanktionen vor allem dann auftreten, wenn das Land von einem stabilen, autoritären Regime geführt wird, das eine starke Kontrolle über die Medien hat. Denn dann kann das Regime das Narrativ der Sanktionen bestimmen und zugleich Wirtschaftswege mit alternativen Handelspartnern, wie im Fall Russlands mit China, aufbauen.

Auch wenn die Forschung pessimistisch ist, was den erwünschten Erfolg von Sanktionen betrifft, muss man sich die gegenwärtige entsetzliche Situation vor Augen halten. Es braucht die Signalwirkung der harten restriktiven Maßnahmen, dass der russische Einmarsch in die Ukraine auf keinen Fall akzeptiert werden kann. (Katharina Meissner, 9.5.2022)