In der Serie "Alles gut?" denkt STANDARD-Redakteur Andreas Sator über eine bessere Welt nach – und darüber, welchen Beitrag er leisten kann. Melden Sie sich hier für seinen kostenlosen Newsletter an.

Der öffentliche Verkehr in Wien gehört zu den besten Europas, das 365-Euro-Ticket, mit dem man das ganze Jahr über die Öffis benutzen kann, gilt international als Vorbild. Wer in Wien aber schon einmal Rad gefahren ist, weiß: Da gibt es freundlich gesagt noch Luft nach oben. Darum habe ich mein Rad eingepackt und bin Richtung Westen aufgebrochen, nach Lustenau, Freiburg, Köln, Münster und Berlin, um mir anzuschauen, wie es besser geht. Ein paar Eindrücke.

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Foto: Andreas Sator

Als Ringe kennt man in Köln die verschiedenen Straßen, die das Zentrum umkreisen. Sie sind also so etwas wie das Pendant zur Wiener Ringstraße. Vor fünf Jahren wurde hier Tempo 30 eingeführt, seither sind die Unfallzahlen um 60 Prozent gesunken. Außerdem werden die Straßen nach und nach umgebaut, die kleinen Radwege neben dem Gehweg werden durch eine drei Meter breite ehemalige Autospur ersetzt. Die gehört jetzt exklusiv dem Rad.

Das ist auf dem Bild schön zu sehen: Hier lässt es sich als Erwachsener komfortabel Rad fahren. Es gibt aber keine Trennungen wie Poller zum Autoverkehr, für Kinder ist das weiter ungeeignet. Köln ist eine absolute Autostadt, 35 Prozent der Wege werden mit dem Pkw zurückgelegt (in Wien: 26 Prozent). Aber: Seit einer Bürgerinitiative mit 20.000 Unterschriften für eine bessere Radinfrastruktur ist die Dynamik für bessere Radinfrastruktur groß.

Foto: Andreas Sator

Was außerdem positiv auffällt: Radwege sind immer wieder deutlich rot markiert. Das erhöht die Sichtbarkeit des Radverkehrs, die hier ohnehin größer ist als in Wien. In Wien werden in etwa sieben bis neun Prozent der Wege mit dem Rad zurückgelegt, in Köln sind es 18 bis 20 Prozent. Den Großteil der Fläche Kölns nehmen Straßen und Stellplätze für Autos in Anspruch, es gibt aber deutlich mehr Radfahrer als in Wien, Autofahrer rechnen eher mit ihnen.

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Noch einmal eine ganz andere Kategorie in puncto Sichtbarkeit ist Freiburg: Hier gehört das Fahrrad zum Stadtbild. Radfahrerinnen und Radfahrer sind überall, und das wirkt sich auch auf den Umgang zwischen Rad und Auto aus: Ich habe noch keine Stadt erlebt, in der Autofahrer so rücksichtsvoll mit Radfahrern umgehen. Verkehrsforscher nennen das "safety in numbers": Wenn es genügend Radfahrer gibt, rechnen Autofahrer mit ihnen und nehmen Rücksicht.

In Freiburg werden innerhalb der Stadt etwa 35 Prozent der Wege mit dem Rad absolviert, sagt Bernhard Gutzmer von der Stadt Freiburg. "40 bis 50 Prozent wären sicher möglich."

Foto: Andreas Sator

Was Sie hier am Bild oben sehen, ist der Vorplatz vor dem Theater Freiburg. Hier waren früher vier Autospuren, jetzt fährt hier nur mehr die Bim, Räder und Fußgänger queren die Straße. Ich denke auch hier wieder an die Wiener Ringstraße und den Vorplatz vor dem Burgtheater. Wie viel besser wäre hier die Lebensqualität, würde man den öffentlichen Raum umwidmen?

Foto: Andreas Sator

Freiburg hat eine selbstbewusste Radcommunity, und der Druck, die Infrastruktur besser zu machen, ist groß. Für jemanden, der es in Wien gewohnt ist, Rad zu fahren, ist Freiburg quasi schon das Paradies. Aber der Radfahrverband ADFC sieht das anders. Vor allem für unsichere Radfahrer ist die Infrastruktur noch lange nicht so gut, wie sie sein müsste, damit etwa auch mehr Kinder oder risikoscheue Menschen aufs Rad steigen.

Bernhard Gutzmer, der Radverkehrsbeauftragte der Stadt, meint, man versuche jetzt mehr auf diese Gruppen zu schauen. Es wird nun mehr mit klaren roten Markierungen gearbeitet, vor allem an Kreuzungen. Das soll die Sicherheit der Radfahrer erhöhen.

Foto: Andreas Sator

Was bei mir außerdem bleibende Eindrücke hinterlassen hat: der "autoreduzierte Stadtteil" Vauban. Dieses Verkehrsschild "Wohnstraße" mit spielenden Kindern kennt man auch aus Wien. Nur: Hat sich in der Stadt schon jemand einmal die Frage gestellt, warum dort eigentlich keine Kinder spielen? Meistens parken dort links und rechts Autos, und ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich würde meine Kinder nicht zwischen parkenden Autos spielen lassen.

Foto: Andreas Sator

Hier in diesem Teil von Vauban gibt es gar keine öffentlichen Stellplätze für Autos. Das sind Wohnstraßen, in denen man Kinder tatsächlich spielen lassen kann. So geht Stadt auch! Was für eine andere Lebensqualität. Hier darf man weiter Auto fahren, auch Parkgaragen gibt es, man kann nur einfach nicht vor der Haustür parken. Außerdem ist der Stadtteil gut mit der Straßenbahn angeschlossen, und auch mit dem Rad ist man schnell im Zentrum.

Münster in Nordrhein-Westfalen ist die Fahrradstadt Deutschlands. Hier werden 43 Prozent der Wege mit dem Fahrrad zurückgelegt, das sind niederländische Verhältnisse. Noch einmal der Vergleich zu Wien: Hier sind es sieben bis neun Prozent. Hier sieht man auch Arbeiter oder Pensionisten mit dem Rad fahren, das sind in Wien seltene Anblicke. Die Verkehrsmittelwahl ist neben Infrastruktur und Topografie auch eine Mentalitäts- und Kulturfrage.

Foto: Andreas Sator

Denn das Spannende ist: Hier in Münster ist die Infrastruktur fürs Rad maximal mittelmäßig. Teilweise bekam ich als Radfahrer fast Heimweh nach Wien: Das Bild oben erinnert mich etwa stark an das Radfahren in Wien. Eine kleine, keinen Meter breite Spur, auf der man von den links fahrenden Autos eingequetscht wird. Was für Wien noch fehlt, wären die parkenden Autos rechts, die jederzeit die Tür öffnen und mich als Radfahrer treffen können.

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Ein Traum für Radfahrer ist die innerstädtische Promenade, auf der man das Zentrum mit dem Rad oder zu Fuß auf 4,5 Kilometern umkreisen kann. Hier war früher einmal die Stadtmauer, in Dortmund sei das Gebiet der ehemaligen Stadtmauer zur Autostraße geworden, in Münster habe man sich für das Rad entschieden, sagt Matthias Herding von der Stadt Münster.

Foto: Andreas Sator

Viel passiert auch in Berlin. Am Bild: Ein Teil der Friedrichstraße, eine wichtige Verkehrsachse im Zentrum Berlins. Ein Teil der Straße wurde als Pop-up-Radweg für Autos gesperrt, jetzt können Radfahrer hier in beide Richtungen seelenruhig fahren. Die Atmosphäre der Straße ändert das gewaltig und sie wird auch für Fußgänger viel attraktiver. Das merkt man schnell, wenn man auf den "gewöhnlichen" Teil der Friedrichstraße kommt. Dort ist dann lustigerweise der Radweg plötzlich kurz mal ganz weg.

Foto: Andreas Sator

Auch ein ambitioniertes Projekt zieht die grüne Stadträtin Saskia Ellenbeck am Tempelhofer Damm im Süden Berlins durch. Auf einer Strecke von drei Kilometern wird durchgehend eine Autospur zum Radweg umgewidmet. Noch ist der Weg großteil nur durch gelbe Linien vom Autoverkehr getrennt, es werden aber durchwegs Poller aufgestellt. Das Projekt zeigt, dass Verkehrspolitik Möglichkeiten nutzen muss: Die U-Bahn entlang des Weges wurde saniert, daher brauchte es Platz für den Schienenersatzverkehr, einen Bus.

Die Busroute wurde gleichzeitig auch für Räder freigegeben. Nachdem die U-Bahn wieder saniert ist, wird die Straße aber nicht mehr für den Autoverkehr geöffnet. In Berlin werden 18 Prozent der Wege mit dem Rad zurückgelegt. Noch ist die Infrastruktur alles andere als gut, seit dem Radentscheid 2016, einem Volksbegehren mit über 100.000 Unterschriften für eine bessere Radinfrastruktur, ist die Dynamik in der deutschen Hauptstadt aber groß.

Foto: Andreas Sator

So bringt man auch unsichere Menschen aufs Rad: Die Invalidenstraße im Zentrum Berlins verfügt teilweise über Poller, die den Radweg vom Autoverkehr abtrennen. Übrigens hört man in Wien immer wieder das Argument, es gäbe so wenig Radfahrer, weil die Stadt so groß ist. Zu meinem Termin in Tempelhof mit Frau Ellenbeck bin ich eine Dreiviertelstunde und elf Kilometer mit dem Rad unterwegs gewesen. Berlin ist viel größer und hat viel mehr Radler.

Auch spannend zu sehen hier: Kluge Verkehrspolitik ist schnell. Statt jahrelang umbauen und Millionen Euro ausgeben zu müssen, braucht man für den Radweg in Tempelhof oder auf der Invalidenstraße bloß die Straßenmarkierungen ändern und Poller aufstellen. Das geht schnell.

Foto: Andreas Sator

Zu guter Letzt noch ein Blick in den Westen Österreichs, nach Lustenau. Hier ist das Rad auch deutlich präsenter als im Osten, Lustenau kommt auf einen Radanteil von 22 Prozent an allen Wegen. Was positiv auffällt: In vielen Teilen der Gemeinde gilt Tempo 30 oder 40, Autos fahren hier angenehm langsam. Weil Lustenau mit gut 20.000 Bewohnern generell relativ klein ist und der Ort gleich am Rhein keine Steigungen kennt, ist Radfahren hier sehr angenehm.

Foto: Andreas Sator

Was mir in Lustenau besonders positiv auffällt: Vor den Schulen der Gemeinde tummeln sich die Räder. Dass Kinder und Jugendliche selbstständig und sicher mobil sein können, ist eine schöne Vision für alle Städte dieser Welt. Radfahrverbände sprechen vom Konzept "8 to 80". Radinfrastruktur soll für einen Achtjährigen und für eine 80-Jährige geeignet sein. Das heißt übrigens nicht, dass für das Auto kein Platz mehr da wäre. Nur eben ein bisschen mehr Platz für das emissionsfreie, leise und platzsparende Fahrrad.

Im nächsten Beitrag der Serie geht es darum, wie wir die Landwirtschaft nachhaltiger gestalten können. Melden Sie sich für den kostenlosen Newsletter an, um ihn nicht zu verpassen. (Andreas Sator, 8.5.2022)