Vergangenen Jänner sorgte die französische Handelskette Leclerc für heftige Proteste. Nachdem sie in ihren Filialen Baguette um 29 Cent das Stück anbot, sahen Bäcker und Landwirte ihre Existenz bedroht und protestierten, unterstützt von Gewerkschaften und einem Teil der Politik, gegen das, was sie als Schleuderpreis geißelten.

Tatsächlich gilt das emblematische Weißbrot nicht nur im Ausland als Symbol für französischen Lebensstil, sondern auch im Land selbst als Gradmesser für Wohlstand und als Index für Inflation. Was auch erklärt, dass der Brotpreis in Frankreich bis 1978 vom Staat vorgegeben war. Erst 1987 wurde jede Form von Regulierung endgültig aufgehoben. Mit der 29-Cent-Baguette des Supermarktriesens wurden Rufe nach einer Regulierung wieder laut: diesmal aber nicht nach einem Höchst-, sondern nach einem Mindestpreis; was nicht nur in der französischen Geschichte ein absolutes Novum wäre. Nachdem erhöhte Weizen- und Brotpreise die Revolution von 1789 mit auslösten, waren alle nachfolgenden Regierenden darauf bedacht, den Untertanen beziehungsweise Bürgerinnen erschwingliche Preise für Grundnahrungsmittel zu garantieren.

Staatliche regulierte Lebensmittelpreise gab es aber lange zuvor. Immer wieder hatte die Politik im Laufe der Geschichte Aktionen gestartet, um in die Ernährungsgewohnheiten der Bevölkerung einzugreifen. Spätestens seit der Antike wussten die Herrschenden, dass sie, um ihr Volk bei Laune zu halten und Aufstände zu vermeiden, für Ernährungssicherheit zu sorgen hatten.

Der Preis fürs Baguette war in Frankreich lange geregelt.
Foto: Heribert Corn/www.corn.at

Stockfisch für die Sklaven

Ein weiteres spektakuläres Beispiel aus dem zeitnahen späten 20. Jahrhundert liefert der portugiesische Diktator Salazar. Er erließ Gesetze, die den Kabeljaufang regelten. Eingesalzen und getrocknet ist er als Stockfisch bekannt und als solcher für die Portugiesen ein ebenso essenzielles Grundnahrungsmittel wie die Baguette für die Franzosen. Bis zur Nelkenrevolution im Jahr 1974 durfte Kabeljau ausschließlich mit hölzernen Segelbooten gefangen werden. Was umso beeindruckender ist, als die Spezies in Portugal gar nicht heimisch ist – und die Fischer in ihren archaischen Schiffen über den Atlantik segeln mussten, um bis zu den Fanggründen vor den Küsten Neufundlands zu gelangen. Ziel der Regelung war zum einen, die traditionellen Schiffswerften und die zahlreichen Arbeitsplätze zu erhalten, und zum anderen das scheinbar fortschrittliche Bestreben, die Kabeljaubestände ausschließlich auf nachhaltige Art und Weise zu befischen – was weniger der Bewahrung der biologischen Vielfalt galt als vielmehr der dauerhaften Versorgung des Volks mit dessen liebstem Eiweiß, um dem Regime Dauerhaftigkeit zu garantieren. Auch in einigen, vom nordatlantischen Kabeljau gleichfalls gemiedenen Ländern Süd- und Zentralamerikas steht Stockfisch bis heute auf dem Speiseplan. Dies erklärt sich nur durch seinen ehemals sehr geringen Preis, der ihn zur kostengünstigen Proteinquelle für die Plantagensklaven machte.

Basta, Pasta!

Der Import beziehungsweise Anbau von Lebensmitteln zwecks günstiger Ernährung funktionierte aber auch in die umgekehrte Richtung. Vor allem von der Verbreitung damals neuer und ertragreicher Kohlenhydratquellen aus der Neuen Welt, wie Kartoffeln und Mais, versprachen sich die Herrscher in Europa große Einsparungen bei der Versorgung der Bevölkerung. Während sich die Kartoffel im Norden des Kontinents, etwa in Irland, durchsetzte, ließ man in Norditalien ab dem 18. Jahrhundert große Mengen an Mais anbauen. Doch bereits wenige Jahrzehnte später häuften sich etwa in Venetien die Fälle von Pellagra, einer Krankheit, die durch einseitige Ernährung und einhergehendem Vitaminmangel verursacht wird. Verantwortlich dafür war der Mais für die Polenta, die zwar die Massen ruhigstellte, jedoch nicht genügend Vitamine enthält, um als alleinige Nahrung den menschlichen Organismus zu versorgen. Die europäischen Schnäppchenjäger hatten übersehen, dass Mais in seiner Heimat Zentralamerika vor der Verarbeitung zu Mehl mit Kalk gemischt wird, was die essenziellen Nährstoffe löst – eine Technik, die bereits die Azteken anwandten. Die paradoxe Folge der Pellagra-Epidemie war, dass Hunderttausende ihre Heimat verließen und dorthin auswanderten, von wo das Getreide herstammt, also nach Nord- und Südamerika.

Die massive Auswanderung war mit ein Grund, dass Mussolinis Faschisten in den 1920er-Jahren die sogenannte Weizenschlacht ausriefen. Die Kampagne sollte die Weizenproduktion drastisch erhöhen. Dies gelang auch kurzfristig, allerdings auf Kosten der Produktion proteinreicherer Lebensmittel – mit der Folge, dass im Jahr 1938 ein Drittel aller Italiener an Mangelernährung litten, während es 1922 im Jahr der faschistischen Machtergreifung lediglich ein Fünftel war, wie Historiker betonen.

Ausbeutung von Böden und Tieren

In demokratischeren Gesellschaften ist es weniger die Absicherung des Regimes als vielmehr die Verbesserung der Volksgesundheit, die Staaten in die Ernährungsgewohnheiten der Bürger eingreifen lassen. Man denke nur an die Schulmilchaktion, bei der Kuhmilch an Schulkinder ausgegeben wird. Was in Zeiten von Mangelernährung Berechtigung hatte, wirkt heute anachronistisch: zum einen, weil Milch als wertvolles Nahrungsmittel umstritten ist, zum anderen, weil die Auswirkungen der Tierhaltung auf die Umwelt bekannt sind.

In unseren Überflussgesellschaften braucht es freilich andere Maßnahmen, um einerseits die Volksgesundheit zu verbessern und andererseits die Umwelt zu schonen. Was – im Regelfall – nach dem Eingreifen des Staates in marktwirtschaftliche Bereiche verlangt. Doch dabei zeigen sich die meisten Regierungen zögerlich oder erzielen kontraproduktive Ergebnisse – wie im Fall der Subventionen für den Maisanbau, wie sie an Landwirte in den USA ausgeschüttet werden. Dank diesen fiel der Preis für Maissirup, einem Nebenprodukt der Maisproduktion, unter den des Zuckers. Was den Süßstoff für die Lebensmittelindustrie attraktiv macht, die ihn oft zum Süßen etwa von Softdrinks einsetzt – mit dem Problem, dass Maissirup noch gesundheitsschädlicher ist als herkömmlicher Zucker. In Europa hält sich der Einsatz bislang noch in Grenzen – was sich im Rahmen eines neuen Handelsabkommens mit den USA schlagartig ändern könnte.

Aber nicht nur aus den Böden, auch aus den Tieren bemühte sich die Landwirtschaft über Jahrzehnte, mit Unterstützung der Politik, das Maximum herauszuholen. Das führte zum Dilemma des Billigfleischs inklusive horrender Haltungsbedingungen für die Nutztiere – ungeachtet der Tatsache, dass der viel zu hohe Fleischkonsum sowohl Gesundheit als auch Umwelt schadet. Gefragt wären Aktionen seitens der Politik, die beispielsweise darauf ausgerichtet sind, die tatsächlichen Kosten industrieller Tierhaltung, also auch gesundheitliche und ökologische, mit einzuberechnen. Und so der Tatsache gerecht zu werden, dass heute (wohlgemerkt: in den reicheren Gesellschaften dieser Welt) nicht Mangel, sondern Überfluss die Gefahr Nummer eins ist. Wie lange uns diese Art von Überfluss noch erhalten bleibt, und ob es auch in Zukunft Schnitzel und Baguette zum Schleuderpreis geben wird, steht angesichts der derzeitigen Weltlage freilich auf einem ganz anderen Blatt. (Georges Desrues, 9.5.2022)