Während es immer weniger Kassenarztverträge gibt, steigt die Zahl der Wahlarztpraxen.

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Wien – Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) sieht "ein Problem mit der jetzigen Praxis des Wahlärztesystems". Man müsse darüber reden, ob man Medizin-Absolventen nicht dazu verpflichten könne, für eine bestimmte Zeit als Kassenarzt oder Kassenärztin zu arbeiten – etwa ein, zwei Tage in der Woche, sagte der Minister in der "Tiroler Tageszeitung" (Freitag-Ausgabe). "Das wird ein Konflikt mit der Ärztekammer – und den bin ich bereit zu führen."

Rauch stößt sauer auf, dass "der größte Teil der ausgebildeten Ärzteschaft sofort in eine Wahlarztpraxis geht und niemand mehr bereit ist, einen Kassenvertrag im niedergelassenen Bereich anzunehmen". Dass es in Tirol noch kein Primärversorgungszentrum gibt, liegt für Rauch ebenfalls an der Ärztekammer. Er verstehe nicht, warum sich diese "unter fadenscheinigen Argumenten" gegen neue Modelle wehrt.

Tätigkeit des Kassenarztes attraktivieren

Die Ärztekammer lehnt diese Überlegungen entschieden ab. Präsident Thomas Szekeres verwies auf die "übermenschlichen" Leistungen der Ärztinnen und Ärzte während der Pandemie, man hätte sich Anerkennung erwartet und nicht, dass der Minister "Zwangsarbeit in Aussicht stellt". Dadurch sei der drohende Ärztemangel sicherlich nicht abzuwenden. Stattdessen müsse man die Tätigkeit des Kassenarztes und der Kassenärztin attraktiver gestalten. Laut Szekeres geschehe dies durch weniger Administration sowie durch bessere Honorierung für Zuwendung und ärztliche Gespräche.

"Entsetzt" zeigte sich auch Ärztekammer-Vizepräsident Johannes Steinhart. "Ich habe eigentlich gedacht, dass wir in einem freien Land leben und nicht in einem Land, in dem man offen totalitären Ideen von Zwangsarbeit nachhängt. Der Arztberuf ist ein freier Beruf und das muss auch so bleiben", sagte Steinhart, der sich für den von Rauch heraufbeschworenen Konflikt "jederzeit bereit" zeigte.

Kassenverträge gehen zurück, mehr Wahlarztpraxen

Auch aus der ÖVP gab es bereits Stimmen, die Ärzte stärker in die Pflicht zu nehmen: So schlug die oberösterreichische Landeshauptmannstellvertreterin Christine Haberlander (ÖVP) Pflichtdienste für Wahlärzte vor, etwa in der Therapie von Drogensüchtigen, bei Nachtdiensten im Hausärztlichen Notdienst sowie im Fall von Engpässen in Regionen. Schließlich werde das Medizinstudium öffentlich finanziert, argumentierte Haberlander. Die Ärztekammer lehnte Haberlanders Vorschläge als "völlig realitätsfremd" ab.

Über das Ausmaß des Problems hatte im September 2021 der Rechnungshof berichtet. Die Zahl der Kassenverträge stagnierte demnach von 2009 bis 2019 bei den Allgemeinmedizinern, bei den Fachärztinnen und Fachärzten ging sie sogar um sechs Prozent zurück – und das bei einem Bevölkerungszuwachs von sechs Prozent. Die Zahl der Wahlarztpraxen stieg hingegen bei Allgemeinmedizinerinnen und Allgemeinmedizinern um 42 Prozent, bei Fachärzten um 38 Prozent. In der Frauenheilkunde und Geburtshilfe lag ihr Anteil zuletzt schon bei 16 Prozent, über alle Gruppen hinweg jedoch noch bei vergleichsweise niedrigen 5,5 Prozent. (APA, 6.5.2022)