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Franzobel, Autor, Romancier ("Die Eroberung Amerikas"), überzeugter Pazifist: "Es wird alles niedergebrüllt, was nicht der eigenen Meinung entspricht!"

Foto: Guenther Perouthka/picturedesk.com

Ein Monat war seit dem beispiellosen Aggressionsakt der Russischen Föderation vergangen: Ungezählte Panzer der Putin-Invasoren waren unter dem Feuer der ukrainischen Abwehr liegengeblieben oder ausgebrannt. Russische Verbrechen wurden ruchbar. Deutsche Stimmen formulierten die Aufforderung, den Himmel über der Ukraine "schließen" zu lassen.

Die Pazifisten unter bundesdeutschen Intellektuellen? Hatten noch kein Briefpapier von Emma zur Hand. Da meldete sich in Österreich schon der heimische Autor Franzobel zu Wort: sonst ein überschäumender Formulierer in der Nestroy-Nachfolge, ein friedliebender Schwadroneur mit widersetzlichem Stachel. Und zuletzt Urheber großer Romanwerke mit antikolonialistischem Zug. Was würde er Wladimir Putin, bei entsprechender Gelegenheit, heute persönlich an den Kopf werfen? "Ich würde ihm Bilder von Kriegsopfern zeigen und ihn fragen, ob er wirklich als barbarischer Schlächter in die Geschichte eingehen will."

Franzobels Ende März im STANDARD abgedruckter Essay war – für viele eine Provokation – mit Lob der Feigheit betitelt. Der Text enthielt nicht nur das wortgewaltige Eingeständnis eigener Ratlosigkeit. In ihm vertrat der Sprachartist die – mit zahlreichen Hinweisen auf die ewige "Schwanzvergleich-Logik" von Kombattanten gespickte – Überzeugung, die Ukraine solle kapitulieren: eine Exilregierung bilden, die Bevölkerung zu gewaltlosem Widerstand aufrufen.

Unweigerliche Eskalation?

Ob er, Franzobel, mit seinem Text seiner Zeit voraus gewesen sei? Seine Antwort fällt heute, etliche offene Briefe später, nüchtern aus: "Ich habe das aus einer Fehleinschätzung der militärischen Kräfteverhältnisse geschrieben. Ich dachte, die Ukraine hätte ohnehin keine Chance und würde durch die Gegenwehr nur das Leid der Bevölkerung vermehren. Mittlerweile hat sich herausgestellt, dass die russische Armee schwächer und die ukrainische stärker ist als gedacht. Ich bewundere den Heldenmut der Verteidiger. Aber das ändert nichts an meiner pazifistischen Grundhaltung. Krieg, das steht bei Clausewitz, führt unweigerlich zur völligen Eskalation."

Franzobel hat den Shitstorm, der sich wider ihn erhob, nachdenklich durchquert. Als Russentroll möchte er unter keinen Umständen gelten. Den Begriff "Putinversteher" hält er für "besonders unglücklich": Als Autor habe er die verdammte Pflicht, sich in Täter, Opfer, Mitläufer einzufühlen. Nicht, um jemanden zu rechtfertigen, sondern "um künftiges Unglück zu verhindern". "In den sozialen Medien ist jeder Sinn für das Zuhören, Nachdenken, Argumentieren verlorengegangen", sagt Franzobel. Es werde alles niedergebrüllt, was nicht der eigenen Meinung entspreche.

Ihn erschüttere, wie Leute, die ihre berechtigten Ängste vor einem Atomkrieg formulierten, derart niedergemacht würden. "Wie schnell in unserer friedlichen Gesellschaft die Kriegsbegeisterung Einzug gehalten hat, ist ungeheuerlich. Es gibt überhaupt keinen Raum mehr für Zwischentöne. Dafür hat man Totschlagargumente wie, dass jeder wohlmeinende Ratschlag aus dem Westen einem verwundeten Ukrainer oder einer vergewaltigten Ukrainerin als Gipfel des Zynismus erscheinen mag. Das stimmt natürlich, sollte uns aber moralisch nicht von der Pflicht entbinden, nach friedlichen Lösungen zu suchen."

Lauter Experten

Man wird den 55-jährigen Franzobel (bürgerlich: Stefan Griebl) bestimmt nicht in Putins fünfte Kolonne einreihen können. "Ich bin vor allem überrascht, dass wir es plötzlich mit lauter Experten zu tun haben. Alle vermitteln das Gefühl, sie würden alles wissen und verstehen. Ich verstehe seit diesem Krieg überhaupt nichts mehr. Alle Werte, die mir als Richtschnur für ein richtiges Leben gegolten haben, scheinen nun nicht mehr zu gelten."

Franzobel gibt nicht vor, klüger zu sein als andere. Er sagt: "Jetzt hat der Westen noch einen Trumpf, das Gasembargo. So lange wir wöchentlich Milliarden Euro nach Russland überweisen, ist jede Scheinsolidarität mit der Ukraine durch Waffenlieferungen zynisch. Gegenwärtig finanziert der Westen beide Seiten des Krieges. Natürlich wird uns ein Stopp der Gaslieferungen schwer treffen. Teile der Industrie werden stillgelegt, es kommt zu Arbeitslosigkeit, massiverer Inflation. Wirklich wollen kann man das nicht. So aber führt man einen schrecklichen Krieg, der das Leid der Menschen in der Ukraine in Kauf nimmt."

Dass sich nun wieder Autoren für Waffenlieferungen aussprechen, sei "grotesk". Franzobel: "Die Menschen scheinen vergessen zu haben, was Krieg bedeutet. Verbrechen wider die Menschlichkeit sind ja nicht alleine das Produkt einer barbarischen russischen Gesinnung, sondern logische Konsequenz des Krieges. Man hat das in Vietnam gesehen, bei der deutschen Wehrmacht. Sobald Krieg herrscht, gibt es keine Moral mehr. Die Folgen sind verheerend. Wenn ich an all die traumatisierten Kinder denke, denen das jahrzehntelang nachhängt, wird mir schlecht." (Ronald Pohl, 8.5.2022)