Acht Millionen Dollar liegen bar auf dem Tisch. Scheinwerferlicht brennt in sein Gesicht. In den Fingern Pokerspielsteine. Unentwegt lässt Koray Aldemir sie rasselnd durch seine Finger gleiten. Zwei Spielkarten liegen verdeckt vor ihm. Es sind die Karosieben und die Karozehn. Zwanzig Minuten später wird klar sein: Mit diesen Karten gewinnt er die Pokerweltmeisterschaft 2021 und den riesigen Haufen Geld.

Bei einem Treffen in Wien erzählt er, wie Pokern seine Leidenschaft wurde und wie er die letzten Minuten des entscheidenden Spiels, das auf Youtube anzusehen ist, empfunden hat.

Koray Aldemir (31) verdient sein Geld mit Pokerspielen. Im Herbst 2021 gewann er die Weltmeisterschaft.
Foto: Heribert Corn

Die Bond-Filme Casino Royale und ein Ein Quantum Trost liefen 2006 und 2008 in den Kinos, die großen Pokerspiele wurden im Fernsehen übertragen: Das war die Zeit, als Koray Aldemir seine erste Partie spielte und gewann. 15 Jahre später ist er professioneller Pokerspieler. Er jettet von einem hochdotierten Event zum nächsten: Amerika, Macau, Australien.

Konzentrationsmarathon

Im Herbst 2021 sitzt er in Las Vegas bei den World Series of Poker 2021 (WSOP). Sieben Wochen lang pokerten dort 120.000 Pokerprofis und Amateure in insgesamt 88 Turnieren. Das sogenannte Main Event ist eines davon und vor allem das wichtigste der WSOP. 6.650 Personen nahmen daran teil. Übrig blieben nur Koray Aldemir und ein weiterer Spieler, George Holmes.

An einem hellerleuchteten Tisch sitzen sie sich gegenüber. Knall-blaue Tequilawerbung flackert auf den Bildschirmen der hüfthohen Trennwand, die die Zuschauer von den zwei Spielern separiert. Der Rest des Saals liegt im Schatten. Aus der Dunkelheit dringt Männergegröle. In der Hoffnung, das Geschrei um sich herum auszublenden, zieht er sich die Kapuze seiner grauen Strickjacke tief ins Gesicht.

Neun Tage dauerte dieses Spiel bereits. Jeweils zehn bis 14 Stunden am Tag mit nur wenigen Pausen. Ruhe und Schlaf – Mangelware. "Man muss durchgehend hochkonzentriert sein. Ich war voller Adrenalin, aber gleichzeitig auch unendlich müde. Da das Spiel mit einer Stunde Zeitverzögerung live übertragen wird, wissen die Fernsehzuschauenden, welche Karten man hat. Die Angst, sich durch einen Fehler zu blamieren, sitzt einem tief im Nacken."

Veränderung gesucht

Doch wie kam es dazu, dass Pokern sein Leben bestimmte? Nach dem Abitur und dem darauffolgenden Freiwilligen Sozialen Jahr als Kindergartenpädagoge ging er für das Betriebswirtschaftsstudium nach Cottbus. Doch weder die Stadt noch das Studium sagten ihm zu. Er wollte eine Veränderung.

Und warum nicht Psychologie studieren? Deutschland kam dafür nicht infrage. Denn sein anfänglicher Eifer in der Schule – er übersprang die erste Klasse der Grundschule – währte nicht bis zum Ende seiner Schullaufbahn. Sein Abiturnotendurchschnitt reichte nicht für das Psychologiestudium in seiner Heimatstadt Berlin. Sein Weg führte ihn deshalb im Jahr 2012 für dieses Studienfach nach Wien. In dieser Zeit nahm Poker in seinem Leben eine immer wichtigere Rolle ein. Bald schon verdiente er seine Brötchen mit dem Onlinepokern. Das Studium geriet in den Hintergrund – bald darauf brach er es ab.

Die Pokerprofiszene ist überschaubar – man kennt sich. "Das jährlich in Las Vegas stattfindende Turnier fühlt sich immer ein bisschen nach Klassenfahrt an", meint der 31-Jährige.

Vorurteil versus Realität

Mit zwei Freunden, die er auf diesen Events kennenlernte, wohnt er heute zusammen – in einer Dachterrassenwohnung im ersten Bezirk Wiens. Vielen Pokerspielern dient Österreich als Wahlheimat. Denn Onlinepoker ist hier legal, und die Gewinne müssen nicht versteuert werden – im Gegensatz zu vielen anderen Ländern.

Was er mit acht Millionen Dollar macht? Anlegen hauptsächlich. Luxus heißt für ihn, nicht über Geld nachdenken zu müssen.

Doch nicht alles ist reiner Gewinn. Ein Teil des Geldes erhalten befreundete Pokerspieler. Dieses System wird "swap" genannt, zu Deutsch Tausch. "Das ist in der Szene üblich – um sich gegenseitig zu unterstützen und die 'down-swings' wie Pokerspielende Pechsträhnen nennen, zu überwinden." Bei noch teureren Turnieren geht ein gewisser Anteil auch an die Investoren zurück, die dadurch am Gewinn beteiligt sind.

Wenn Koray Aldemir über die Details des Spiels spricht, hellt sich sein Gesicht auf. Mit den Händen zeichnet er eine Koordinatenachse in die Luft, rechnet im Kopf Prozente aus und wechselt schnell von einer Kalkulation zur nächsten und beobachtet aufmerksam, ob man ihm folgen kann.

Auch wenn Pokern jetzt seine einzige Einkommensquelle ist, zögert er es, seinen Beruf zu nennen. "Ich habe nie mit dem Ziel gepokert, damit Geld zu verdienen. Das ergab sich mit der Zeit." Wenn er preisgibt, dass er mit Pokern sein Geld verdient, stellt das Gegenüber meist viele Fragen. Und da Pokern ein schlechtes Image hat, muss er jedes Mal erst erklärend ausholen. Das stört ihn.

Die entscheidende Hand

Sein finaler Mitspieler George Holmes geht aufs Ganze – all in. Koray Aldemir muss sich entscheiden: Geht er mit und setzt genauso viele Jetons wie Holmes oder nimmt er das Risiko nicht in Kauf? Er geht mit und setzt alles. Die Karten werden aufgedeckt. Und: Aldemir hat die höhere Kartenkombination. Er reißt die Arme in die Luft – taumelt sofort auf seine Freunde im Zuschauerbereich zu – wilde Umarmungen. Er zieht seine Corona-Maske über die Augen, vergräbt sein Gesicht in die vor Jubel juchzenden und springenden Freunde. Aus seinem gesamten Körper entweicht die Spannung.

Er erzählt, die amerikanischen Fotografen zerrten ihn von den Jubelnden weg, hin zu dem Stapel Geld. Er solle einen Packen Scheine mit beiden Händen nehmen und in die Luft halten. Er lächelt in die Kamera, berichtet aber später mit sichtlichem Unbehagen: "Es war nicht meine Idee, so zu posieren." Noch heute kommt es ihm manchmal surreal vor – wie ein Traum: Er hat wirklich gewonnen.

Seit der Weltmeisterschaft gönnt er sich eine kleine Auszeit. Er genießt es, wieder mehr Fußball zu spielen und sich in seine zwei neuen Hobbys reinzufuchsen: Schach und Spanisch. Die kleine Verschnaufpause neigt sich aber schon wieder dem Ende zu: Bald schon wird er wieder an den Tischen der großen Turniere sitzen. (Natascha Ickert, 10.5.2022)