Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) anlässlich des Gedenkens an die Befreiung vom Nationalsozialismus im Bundeskanzleramt.

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Wien – Die Regierung hat am Sonntag dem 8. Mai, dem Tag des Endes des Zweiten Weltkrieges, der Befreiung vom Nationalsozialismus durch die Alliierten gedacht. Bei einem Festakt im Kanzleramt waren zahlreiche Gäste geladen, unter ihnen Bundespräsident Alexander Van der Bellen und sein Vorgänger Heinz Fischer. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) setzte einen breiten Rahmen vom NS-Regime über die Aggression Russlands in der Ukraine bis zum Erstarken des Antisemitismus in der Corona-Pandemie.

In den Reden wurde auch die Verantwortung Österreichs an den Gräueln des Nationalsozialismus betont: "Es gab Opfer und es gab Täter", betonte Nehammer. Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) ergänzte, dass die Beteiligung vieler an den NS-Verbrechen "fanatisch und perfide" gewesen sei. Zu danken sei den Alliierten wie Widerstandskämpfern, die Österreich befreit haben.

Russischer Botschafter nicht eingeladen

Der grüne Bundessprecher Kogler erinnerte auch daran, dass viele ukrainische Städte Opfer des Vernichtungsfeldzugs der Nazis gewesen seien. Dieser habe dort große Zerstörung und besonders viele Opfer gefordert. Dass der russische Präsidenten Wladimir Putin diese heute für seine politischen Vorstellungen instrumentalisiere, sei aufs Schärfste abzulehnen.

Auch Nehammer zeigte sich erschüttert, dass sich "der Wahnwitz des Krieges" heute in der Ukraine fortsetze. Man müsse alles zu tun, um Kriege zu vermeiden. Der russische Botschafter war zu dem Festakt, bei dem neben Regierungsmitgliedern auch Vertreter der Religionsgemeinschaften geladen waren, explizit nicht eingeladen.

Nehammer warnt vor NS-Verharmlosung

Es Österreichs Pflicht und Aufgabe, sich mit den Gräueln und Schrecken des Nationalsozialismus auseinanderzusetzen, betonte Nehammer. Daher habe man auch, wo dies möglich gewesen sei, Liegenschaften des ehemaligen Konzentrationslagers Gusen erworben, um das Gedächtnis an die damaligen Ereignisse aufrecht zu erhalten.

Als Impulsredner bei der Gedenkveranstaltung war auch der Historiker Stefan Karner geladen, der unterstrich, dass die unmittelbare Erinnerung langsam schwinde. Er hob hervor, dass das NS-Regime nicht von innen zusammengebrach, sondern militärisch von den Alliierten besiegt wurde. Reue und Buße vormaliger Nazis seien nach dem Krieg oft bloß formal geblieben. Ein Bewusstsein für die Verantwortung Österreichs habe sich erst in den 1950er und 1960er-Jahren entwickelt.

Nehammer warnte vor den Gefahren, die in Krisen wie der Pandemie entstehen könnten. Der Kanzler verwies auf die Verharmlosung des Holocaust bei Anti-Maßnahmen-Demonstrationen: "Jeder hat das Recht zu demonstrieren, aber wir müssen wachsam sein." Solche Bewegungen würden gerne gekapert: "Es geht um die Zukunft der Republik."

Kränze an Shoah-Gedenkemauer niedergelegt

Vor der Veranstaltung im Kanzleramt hatten Van der Bellen, Nehammer und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) gemeinsam mit dem Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde Oskar Deutsch an der Shoah-Gedenkemauer Kränzer niedergelegt.

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner und SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch mahnten indes per Aussendung zum Tag der Befreiung "vollen Einsatz für Friede, Freiheit und Demokratie" ein, "um die Grundwerte unserer freien und offenen Gesellschaft zu verteidigen". Allen autoritären, antidemokratischen und nationalistischen Tendenzen müsse gemeinsam entschlossen entgegentreten werden – und zwar weltweit. (APA, 8.5.2022)