Innsbruck hat jetzt ein Guggenheim Museum: Der aufblasbare Kunststoffzwilling wird von God’s Entertainment bespielt.

Foto: Günter Richard

Wieder schwitzen, wieder stinken: Was technologisch optimierten Retortenkörpern planmäßig ausgetrieben wird, gerät bei Doris Uhlich zum Manifest gegen die Normiertheit. Tank heißt das 2019 uraufgeführte Stück der österreichischen Tänzerin und Choreografin, die ihren nackten Körper in einem Reagenzglas knetet, schüttelt, zu wummernden Beats zucken und hinter den vom eigenen Dunst beschlagenen Scheiben fast verschwinden lässt. Oder ihn effektvoll neben eine von Egger-Lienz gemalte Horde aufständischer Tiroler Bauern stellt.

Vier Stunden dauerte Uhlichs ortsspezifisch adaptierte Tank-Performance im Ferdinandeum, sie führte auch durch die Sammlungen. Ein Höhepunkt am Auftakt-Wochenende der Biennale Innsbruck International, die sich mit Vorliebe in versteckte und vergessene Orte der Stadt einschreibt. Neuerdings dockt man aber auch an bestehende Institutionen an – oder erschafft sich kurzerhand seine eigenen: Nach der ersten Station in Wien-Floridsdorf hat das Kollektiv God’s Entertainment seinen aufblasbaren Kunststoffzwilling des New Yorker Guggenheim-Museums in Innsbruck aufgebaut.

Gut gewählt

Dort steht das GGGHM vor einer beliebten Fotokulisse, nämlich der bunten Häuserzeile von Mariahilf und der Nordkette. Der Platz ist aber nicht nur deshalb gut gewählt: Jahrzehntelang wurde in Innsbruck über ein Haus der Kunst an diesem Standort diskutiert.

Innsbruck International ist vor nunmehr zehn Jahren angetreten, das von manchen bis heute bedauerte institutionelle Vakuum auf andere Art zu füllen, mit einer Kunstbiennale. Ein ambitioniertes Ziel, auch angesichts eines Budgets von knapp unter 200.000 Euro. Das Programm soll jedenfalls an brennenden Fragen rühren.

Cookies als Gedächtnis

"Human Capital" lautete der Titel der Ausgabe 2020, "Cookie" knüpft treffsicher daran an, "wurden doch persönliche Daten, die im Laufe von Homeoffice und Onlinesitzungen mit anderen geteilt wurden, zum wichtigen Wertstoff für Staaten, Firmen und Konzerne", sagt Biennale-Direktorin Tereza Kotyk.

Dass selbst der Browser am eigenen Laptop durch Cookies zum Gedächtnis wird, wissen wir längst. Wenn Nada Prlja ihre als simple analoge Hinweisschilder nachgebauten Cookie-Buttons mit Aufschriften wie "Allow" oder "Agree" in die Kirchenbänke einer barocken Kapelle stellt, entfalten die Zeichen der Zustimmung eine schöne ambigue Wirkung.

Ruben Aubrechts Rechnung, wonach die Gegenwart minus all die sinnlos im Internet versurfte Zeit das Jahr 2018 ergibt, sollte man auch nicht als moralinsauren Aufruf zum Digital Detox verkennen. Dann kommt der Künstler nämlich mit einer telefonbuchdicken Publikation daher, in die all die Cookies gedruckt sind, die beim Besuch der Website eines Kunstmagazins gespeichert werden.

Offene Debatte

Während Michael Strasser, dem der Anerkennungspreis 2022 zuerkannt wurde, in der Historie eines alten Adelssitzes schürft, wandelt Shirin Neshat bildgewaltig zwischen den Welten von Ost und West. Dazu gesellen sich im Kunstpavillon Fotografien von Lars Eidinger, der den Skurrilitäten des Alltags auf der Spur ist. Dass unterdessen weiter die Debatte um den von ihm mitunterzeichneten sogenannten Emma-Brief tobte, kommentierte der Schauspieler und Fotograf gegenüber dem STANDARD so: "Unser Anliegen war es, eine offene Debatte anzuregen. Aber die Heftigkeit, in der diese Diskussion geführt wird, hat mich schon sehr überrascht." Es sage "schon einiges über unsere Gesellschaft und unser Wertesystem aus, wenn man für Pazifismus einen Shitstorm bekommt".

God’s Entertainment erkundete derweil im GGGHM die Geschichte von Vertriebenen und NS-Opfern. Man wird diese Woche außerdem erfahren, was sie mit "Tirol isch lei oans" meinen. (Ivona Jelcic, 8.5.2022)