Stromversorger wie der Verbund streifen dank hoher Energiepreise immense Zusatzgewinne ein. Vorstände können aber gar nicht anders, als die aktuelle Situation für das Unternehmen zu nutzen.

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Bis zu 200 Milliarden Euro könnten die Stromversorger Europas heuer zusätzlich einnehmen. Die Branche zählt – neben einigen anderen – zu den großen Gewinnern der Krise. Grund ist der Marktmechanismus, mit dem die europäischen Strompreise bestimmt werden. Nach der sogenannten Merit-Order orientiert sich der Markt stets am teuersten Kraftwerk, auch wenn die Anbieter selbst billiger produzieren.

Während die Politik darüber nachdenkt, die zusätzlichen Gewinne der Energiekonzerne abzuschöpfen, rechtfertigen sich Vorstände wie Verbund-Chef Michael Strugl mit ihren rechtlichen Pflichten. Selbst wenn sie wollten, könnten sie nicht von den hohen Marktpreisen abweichen, bestätigen auch Juristinnen und Juristen. Denn Vorstände sind neben dem Wettbewerbsrecht vor allem an aktienrechtliche Vorgaben gebunden.

Wohl des Unternehmens

Laut Aktiengesetz sind Vorstände in erster Linie dazu verpflichtet, zum Wohl des Unternehmens zu handeln. Sie müssen dabei zwar auch die "Interessen der Aktionäre und der Arbeitnehmer sowie das öffentlichen Interesse" berücksichtigen, oberste Maxime bleibt jedoch der Zustand der Aktiengesellschaft. "Der Vorstand ist letztlich dem Unternehmen verpflichtet und nicht der Allgemeinheit", sagt Ludwig Hartenau, Rechtsanwalt und Experte für Gesellschaftsrecht bei Freshfields.

Würden Vorstände freiwillig auf zusätzliche Gewinne verzichten und damit das Unternehmen schädigen, könnten sie dafür zur Kassa gebeten werden. Von ihrer Haftung sind sie nur dann befreit, wenn sie bei ihren Entscheidungen davon ausgehen dürfen, auf Basis der verfügbaren Informationen zum Wohl des Unternehmens zu handeln. Sachfremde Interessen wie etwa niedrige Preise für Menschen, die von der Inflation betroffen sind, dürfen deshalb keine Rolle spielen.

Florian Stangl, Energierechtsexperte bei NHP Rechtsanwälte, glaubt dennoch, dass Vorstände "gewisse Spielräume" haben. Sie müssen sich "jedenfalls nicht sklavisch am Marktpreis orientieren", sagt er.

Aktionäre ohne Einfluss

Auch der Staat hat aktienrechtlich wenig Möglichkeiten, gegen Zufallsgewinne vorzugehen – selbst wenn er wie beim Verbund Mehrheitseigentümer ist. Denn im Gegensatz zur Geschäftsführung einer GmbH ist der Vorstand einer AG weisungsfrei. Die Aktionäre dürfen ihm in der Hauptversammlung nur in sehr wenigen Fällen Aufträge erteilen. Änderungen bei der Preisgestaltung zählen nicht dazu.

Dass das im Fall des Tiroler Energieversorgers Tiwag im Jahr 2016 offenbar anders war, hat der Rechnungshof in einem Bericht zuletzt deutlich kritisiert. Eine Strompreissenkung sei damals auf Wunsch der Landesregierung höher ausgefallen als vom Vorstand geplant, was das Jahresergebnis belastet habe. Der Vorstand müsse aber unabhängig agieren und das Unternehmenswohl in den Vordergrund rücken.

Völlig machtlos ist der Staat bei Maßnahmen gegen Zufallsgewinnen freilich nicht. Denkbar ist etwa eine Sondersteuer für alle Energieversorger. Laut Expertinnen wäre eine derartige "Abschöpfung" verfassungsrechtlich zulässig. (Jakob Pflügl, 9.5.2022)