Es war vor genau einem Jahr, am Europatag, als die "Konferenz zur Zukunft Europas" ihre Arbeit offiziell aufnahm. Der Brexit war soeben nach einem für alle Seiten schmerzhaften Prozess vollzogen worden, die Corona-Pandemie schien, wieder einmal, überwunden zu sein. Nun galt es, die Kräfte zu sammeln, nach vorn zu schauen. In den knapp zwei Jahrzehnten seit dem Europäischen Konvent für Grundrechte, Verfassung, Wirtschafts- und Währungsunion hatte das "Haus Europa" wieder dringend eine Renovierung nötig. Auch die Banken- und die Finanzkrise hatten deutlich gezeigt: Die EU stößt rasch an ihre Grenzen, wenn sie von Normalbetrieb auf Krisenmodus umschalten muss.

Einer von hunderten Events in Österreich: Der EU Youth Talk im Museumsquartier Ende April.
Foto: APA/EU-Kommission

Daher also: Zukunftskonferenz, ins Leben gerufen von Europäischer Kommission und Europäischem Parlament, um Antworten auf die Fragestellungen der unmittelbaren und mittelbaren Zukunft zu finden. Sehr bemerkenswert war das Setting der Unternehmung: transparent, breit, partizipativ. Jede Bürgerin, jeder Bürger in der EU konnte virtuell oder persönlich Ideen einbringen, Vorschläge machen. Mehr als 50.000 Menschen, rund ein Prozent der EU-Gesamtbevölkerung, wurden bei Diskussionen, Bürgerforen und Online-Meetings gezählt.

Neun Themenkreise

Der vor wenigen Tagen von der Zukunftskonferenz beschlossene Themenkatalog – er wird am heutigen Europatag offiziell übergeben – formuliert in neun Themenkreisen zahlreiche Vorschläge, die der EU Wege in die Zukunft weisen sollen.

An prominenter Stelle wird eine Forcierung der Digitalisierung angeregt. Der Katalog weist aber auch auf Notwendigkeiten einer effizienteren Außenpolitik hin, macht Vorschläge zur Harmonisierung der Migrationspolitik und regt eine Debatte über Werte und Rechte, Rechtsstaatlichkeit und Sicherheit an – nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Ukraine. Nicht neu, aber deutlich vernehmbar: die Forderung nach einer Herabsetzung des Wahlalters von 18 auf 16 Jahre.

Bestimmte Vorschläge werden aber selbst bei wohlwollendster Prüfung an der Realität scheitern, wie zum Beispiel die Forderung nach einer kompletten Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips in der EU. (Gianluca Wallisch, 9.5.2022)