Amber Heard im Zeug:innenstand und ihr Ex-Mann Johnny Depp, der sie auf 50 Millionen US-Dollar klagt.

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Bei Gerichtsprozessen, die die Massen faszinieren, geht es meist nicht um Verstöße gegen das Steuerrecht. Es sind keine Kartellverfahren, Familienrechtsstreitigkeiten oder Erbschaftsprozesse. In jenen Prozessen, die eine wirklich breite Öffentlichkeit interessieren, die im Feuilleton ebenso behandelt werden wie in der Zeitschrift "In Touch", geht es meist um Vorwürfe von Gewalt, sexualisierte Übergriffe und ihre Folgen.

So wie nun der Verleumdungsprozess gegen Amber Heard, in dem der US-Schauspieler Johnny Depp 50 Millionen US-Dollar fordert, weil seine Ex-Frau in einem Beitrag in der "Washington Post" über Gewalterfahrungen geschrieben hat. Obwohl sie seinen Namen in der "Washington Post" nicht genannt hat, ist aufgrund des zeitlichen Rahmens klar, dass Depp gemeint war. In dem seit Mitte April andauernden Prozess in Fairfax (Virginia) soll nun geklärt werden, ob Heard ihren Ex-Mann verleumdet hat. Und ob Johnny Depp seine Ex-Frau verleumdet hat, denn Heard fordert in einer Gegenklage 100 Millionen Dollar. Das Gericht muss also klären, ob sie gelogen haben oder nicht – und trifft kein Urteil darüber, ob etwa Heard selbst gewalttätig war oder nicht, wovon jetzt aber viel die Rede ist.

Lesen Sie die "schockierendsten" Aussagen

Und hier sind wir nun: mitten in einem öffentlichen Prozess um häusliche Gewalt und zwei Menschen, die sich in einem fast zur Gänze live übertragenen Prozess im Zeug:innenstand gegenseitig Fürchterliches vorwerfen. Und da haben wir auch noch klassische wie soziale Medien, die sich an den "explosivsten" und "schockierendsten" Aussagen weiden. Hinzu kamen zuletzt immer mehr Johnny-Depp-Fans, die via Hashtags wie #justiceforjohnnydepp und grauenvolle Tiktok-Trends zeigen wollen, dass die Sache für sie klar ist.

Ist sie nicht, ganz und gar nicht. Um etwas Ordnung reinzubringen, beginnen wir von vorn. Warum sind es also Prozesse wie diese und eben nicht Steuerrechtsgeschichten, die uns mitreißen? Weil es um das Leben und den Alltag von uns allen geht. Um Bedrohungen und Klischeebilder, die auch uns treffen können. Um Beziehungen, um Liebe, um Hass. Es geht um Dinge, die angeblich keinerlei Hintergrundwissen benötigen, um mitzureden und urteilen zu können. Es sind Angelegenheiten, über die wir viel anekdotisches Wissen haben, eigene Erfahrungen vielleicht, und nicht zu vergessen: Vorurteile. Wohl deutlich mehr Vorurteile, als es bei Steuerrechtsfällen der Fall ist.

Lügen und psychische Störungen

Das heißt, alle wollen und können mitreden, mehr oder weniger emotional. Doch dieses Mitreden und auch Urteilen passiert natürlich nicht im luftleeren Raum. Es passiert in einem Klima, in dem für Frauen und Männer unterschiedliche soziale Regeln gelten – und in diesem interpretieren wir Zeug:innenaussagen, Medienberichte und die Social-Media-Diskurse. Demnach müsste zum Beispiel Amber Heard eine stets psychisch gesunde Frau sein, die in der Öffentlichkeit immer die ganze Wahrheit sagt – und nur die Wahrheit. Selbst bei völlig banalen Dingen. Zum Beispiel weiß nun ein Starmagazin, dass Heard bei Interviews über den Film "Rum Diary" – bei den Dreharbeiten zu dem Film hat sie Depp kennengelernt – bei der Frage gelogen habe, ob sie damals ein Fan von Depp war oder nicht. Damals habe sie gesagt, wie alle habe auch sie die Filmreihe "Pirates of the Caribbean" geliebt. Als Zeugin sagte sie aber dann, sie sein kein Fan gewesen. Sie habe Depp nicht gekannt. Ob persönlich oder nur die Figur des Jack Sparrow, bleibt unerwähnt.

Ja und? Schauspieler:innen prahlen oft bei Veröffentlichung eines Films, wie großartig man die jeweiligen Filmpartner:innen schon immer fand, dass man großer Fan war und ist. Das ist wohl nichts Besonderes. Aber: Es ist eine Lüge, und eine Frau, die jemandem Gewalt vorwirft, sollte in ihrem bisherigen Leben nicht gelogen haben. Niemals. Was sie auch nicht darf: psychisch krank sein. Ein psychologisches Gutachten der Gegenseite hat Amber Heard eine Borderline-Störung attestiert. Selbst wenn das zutrifft: Auch eine Frau mit einer Borderline-Störung, ja gar eine Lügnerin mit einer Borderline-Störung kann ein Opfer von Gewalt sein.

Größenordnungen im Blick behalten

Genau das ist es, was solche Prozesse in der Öffentlichkeit so giftig macht: Sie limitieren das Bild von Betroffenen. Unabhängig von der Frage, ob Heard von Depp misshandelt wurde oder nicht (diese Frage müssen die Gerichte klären), hat der Prozess eine verheerende Signalwirkung auf Frauen, die Opfer von Gewalt in Partnerschaften wurden. Denn er zeigt, welche Maßstäbe an Gewaltopfer gelegt werden, damit sie als glaubwürdig gelten. Diese Botschaft bleibt, ganz egal, wie der Promiprozess ausgeht. Und diese Botschaft betrifft ziemlich viele: Laut Weltgesundheitsorganisation erlebt jede dritte Frau zwischen 15 und 49 Jahren, 736 Millionen Frauen weltweit, irgendwann in ihrem Leben sexuelle Übergriffe oder Gewalt. Die große Mehrheit davon, 641 Millionen Frauen, erlebe Gewalt in der Ehe oder Partnerschaft. Verurteilungen deswegen sind etwa in Österreich selten.

Es sind vielleicht ein paar Dutzend Künstler, die wegen #MeToo einen Imageschaden davongetragen haben. Das ist mit der unglaublichen Zahl von 641 Millionen Betroffenen von häuslicher Gewalt wohl kaum vergleichbar. Wir müssen also angesichts eines solchen Prozesses die Größenordnungen im Blick behalten, denn das Gedöns um diesen vermittelt auch, dass sich hier Probleme des gleichen Ausmaßes gegenüberstehen: dort diese Frauen, die sagen, Gewalt erlitten zu haben, auf der anderen Seite Männer, die sagen, mit dem Vorwurf sei ein Imageschaden und damit große finanzielle Einbußen verbunden. Beides hat nicht das gleiche Ausmaß, es passiert nicht ungefähr gleich oft, bei weitem nicht.

Ebenso wenig dürfen wir nicht vergessen, dass es bei weitem nicht dieser angebliche Feldzug ohne Anhaltspunkte ist, als der er oft dargestellt wird: In den allermeisten Fällen, die ernst genommen wurden, handelt es sich um mehr als eine Person, die jemandem Gewalt oder sexuelle Übergriffe vorwirft – etwa bei den Vorwürfen gegen den Schauspieler Kevin Spacey, den Comedian Louis C.K. oder den Regisseur Dieter Wedel. Trotzdem wird das Narrativ, schon wegen ein paar Tweets könnten Hollywoodgrößen einpacken, weiter überstrapaziert. Wir dürfen also die Größenordnungen nicht außer Acht lassen, und angesichts von 641 Millionen betroffenen Frauen sollte sich selbst der Boulevard Titel wie "Amber Heard: So zerstört sie seine Karriere" verkneifen. Denn diese Zahlen, so viel Hintergrundwissen über häusliche Gewalt, wären das Mindeste, was man im Hinterkopf haben sollte.

Auch Täter sind nicht alle gleich

Doch schädlich ist nicht nur eine begrenzte und stereotype Vorstellung, wie Betroffene sein müssen, sondern auch eine begrenzte Vorstellung davon, wie Täter wohl so sind. Auch Autor:innen, die zu Recht den frauenfeindlichen Diskurs rund um öffentliche Promischeidungen und Prozesse anprangern, müssen – wie sie es für Frauen fordern – Geschichten rund um den Beschuldigten außen vor lassen, die nichts mit dem Fall zu tun haben. Dass Depp etwa, wie in einem Beitrag betont wurde, mit Geld nur so um sich geschmissen und 30.000 Dollar pro Monat für Wein ausgegeben habe, ist völlig irrelevant für die Sache an sich. Für Betroffene ist auch das Klischee vom Täter, der Drogen nimmt, säuft und in vielen anderen Dingen unkontrolliert ist, nicht immer hilfreich. Schließlich kann auch ein zurückhaltender Buchhalter zum Täter werden.

Öffentliche Prozesse triefen also oft nur so vor Klischees über Täter und Betroffene. Im Netz gewinnt derzeit die Geschichte über Amber Heard als Zerstörerin des genialen, coolen Johnny Depp die Oberhand, was keine große Überraschung ist. Der oft rauschige, aber freilich trotzdem (oder gerade deswegen?) coole und wahnsinnig talentierte Depp wird als solcher gerade online abgefeiert. Stellen wir uns vor, eine Frau, die ihrem Ex Gewalt vorwirft, würde offensichtlich viel trinken und liebend gern Drogen nehmen. Sie hätte wohl noch weniger eine Chance als Amber Heard derzeit. Deshalb: Lassen wir auch in Promiprozessen die Finger von Geschlechterstereotypen und billigen Klischees. Sie schaden allen. (Beate Hausbichler, 11.5.2022)