Corona, Halbleiter, Kabelbäume, Ukraine: Die Autobranche ist derzeit massiven Verwerfungen und Lieferschwierigkeiten ausgesetzt. Wir haben fünf Experten zur Situation befragt und dazu einen kleinen Fragenkatalog vorgelegt. Teil 1 von 5: Ferdinand Dudenhöffer, Direktor CAR – Center Automotive Research, Duisburg.

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STANDARD: Ist die nächste Energiekrise da (und brauchen wir bald wieder einen autofreien Tag pro Woche)?

Dudenhöffer: Wir haben einen Ukraine-Krieg, der vom menschenverachtenden russischen Präsidenten Putin losgetreten wurde. Da Russland als einzig wirklich wichtiges Produkt Kohle, Gas, Öl besitzt, haben wir eine kurzfristige, aber keine Energiekrise. Die wahre Krise ist die Klimakrise, und die wird jetzt medial verdrängt, aber sie ist die zentrale Herausforderung für die Menschheit. Von daher birgt der verbrecherische Krieg von Putin auch eine Chance: jetzt endlich schneller Schluss mit Kohle, Erdgas und Öl zu machen. Dabei laufen viele – etwa in Deutschland – mit einem Brett vorm Kopf durch die Welt und ignorieren die Möglichkeiten der Kernkraft und überschätzen deutlich die Risiken.

STANDARD: Wirft das die E-Mobilität zurück und, wenn ja, wie sehr?

Dudenhöffer: Es wirft den Verbrennungsmotor zurück, und das ist gut so.

STANDARD: Bei Elektroautos zeichnet sich eine Preisexplosion ab, bei konventionell angetriebenen Pkw sind die Zeiten großzügiger Rabatte vorbei, der Gebrauchtwagenmarkt ist leergefegt, und Öko-Steuerreformen verteuern das Autofahren zusätzlich: Kommt die Ära, da jeder sich ein Auto leisten konnte, an ihr Ende, oder sehen Sie das als vorübergehendes Phänomen?

Dudenhöffer: Nein, in zwei oder drei Jahren gibt es die Lieferkettenprobleme nicht mehr, werden die Produktionskapazitäten der Autobauer wieder voll ausgefahren, und damit kommt der Preis- und Rabattdruck zurück. Gleiches gilt für das batterieelektrische Auto, nur etwa später. Derzeit sind die Kapazitäten für Zellproduktion knapp, Kobalt oder Nickel braucht morgen nicht mehr jede Zelle. Die Feststoffzelle sollte nach 2025 industrialisierbar sein, sprich: höhere Reichweiten, niedrigere Kosten. Also, in fünf Jahren sieht auch hier die Welt anders aus. Unterschätzen Sie nicht die Kreativität der Elektrochemiker. Zusätzlich erhöhen hohe Rohstoffpreise das Tempo beim Recycling und bei der Entdeckung neuer Lagerstätten. Wir haben eine Zeit hoher Kosten, daher brauchen wir die richtigen Politikparameter, um das Elektroauto nicht abzubremsen.

STANDARD: Welches Antriebskonzept beim Automobil ist das krisensicherste – vielleicht doch der Diesel?

Dudenhöffer: Der Diesel kommt nicht mehr zurück, und das gilt auch für die Nutzfahrzeuge. Wichtig ist die Langfristlösung, und kurzzeitige Krisen sollten nicht der Maßstab für unsere langfristige Mobilität sein. Elon Musk und Tesla haben die Welt verändert. Electric only und all die anderen Bezeichnungen zeigen die Richtung.

STANDARD: Was sollte die Politik im Zweifelsfall favorisieren: Energiewende oder Sicherstellung der Energie- und Mobilitätsversorgung für alle?

Dudenhöffer: Die beiden Ziele schließen sich mittel- und langfristig gegenseitig nicht aus, sondern ergänzen einander.

STANDARD: Entzerrung der Lieferketten, Rückführung strategisch wichtiger Produktionsbereiche nach Europa: Die politischen Lippenbekenntnisse haben bei Corona schon nicht funktioniert. Warum sollte es anlässlich des Ukraine-Konflikts anders sein?

Dudenhöffer: Richtig. Es wäre der falsche Weg, sich in Isolation zu begeben und nur auf der eigenen Scholle zu sitzen. Putin-Russland muss man zu 120 Prozent isolieren. Aber der Rest der Welt sollte willkommen sein. Daher ist es wichtig, in ein vernünftiges Verhältnis zu China zu kommen.

STANDARD: Chipkrise, Ukraine, Kabelbäume (das geht vielleicht am schnellsten) et cetera: Wann wird die Branche wieder zu "normalen" Lieferzeiten zurückfinden?

Dudenhöffer: Zwischen 2023 und 2024, denn dann ist die größte Herausforderung gelöst, gibt es genügend Kapazitäten für Halbleiter.

STANDARD: Und schließlich: Warum bewältigen China, Südkorea, Japan das geballte Krisenszenario besser als Europa? Besteht nicht die Gefahr, dass überhaupt China als lachender Sieger hervorgeht?

Dudenhöffer: Asien hat eben nicht die Ukraine vor der Haustür. Und in Asien ist man dynamischer unterwegs als etwa in Deutschland oder vielen anderen europäischen Ländern. Wenn der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck von Tesla-Tempo spricht, offenbart das unser gesamtes Regulierungsproblem. Wir haben uns "zureguliert" und sind teilweise in Gesetzen und Verordnungen erstarrt. China oder andere sind dynamisch unterwegs. Daher entwickelt sich dort die Technologie, etwa beim autonomen Fahren oder im Softwarebereich, im Tesla-Tempo und nicht wie bei uns mit Schneckentempo. Eine Zusammenarbeit mit Asien erlaubt unseren Unternehmen, schneller zu werden, sich etwas aus diesen Fesseln zu befreien. Daher wäre es falsch, die Grenzen zu China zu kappen. Das Umgekehrte ist der richtige Weg. (Andreas Stockinger, 16.5.2022)