Corona, Halbleiter, Kabelbäume, Ukraine: Die Autobranche ist derzeit massiven Verwerfungen und Lieferschwierigkeiten ausgesetzt. Wir haben fünf Experten zur Situation befragt und dazu einen kleinen Fragenkatalog vorgelegt. Teil drei von fünf: Bernhard Geringer, Vorstand des Instituts für Fahrzeugantriebe und Automobiltechnik an der TU Wien und Leiter des Wiener Motorensymposiums.

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STANDARD: Ist die nächste Energiekrise da (und brauchen wir bald wieder einen autofreien Tag pro Woche)?

Geringer: Wir haben keine reale Energie-, sondern eine Energieversorgungskrise – analog zur sogenannten Ölkrise in den 1970er-Jahren. Damals durch Förderbeschränkungen der Opec. Was wir aber real haben, ist ein Mangel an nachhaltiger Energie – weltweit. Kohle, Erdgas und Öl gibt es noch Jahrhunderte (bis zumindest Jahrzehnte bei Öl). Was wir aber brauchen, ist regenerative Energie. Also Wasserkraft, Windkraft, Fotovoltaik (PV) und Geothermie. Global gesehen werden fast 90 Prozent des Energieverbrauchs fossil gedeckt, also nur um die zehn Prozent kommen aus den genannten nachhaltigen Quellen. In Österreich ist das Verhältnis 70 zu 30. Der Druck auf eine Umstellung der Energieversorgung ist also riesig. Konkret auf die Frage antwortend: Der autofreie Tag bringt nichts, da sowohl der Berufsverkehr als auch der private Verkehr dann auf die restlichen Tage verlagert werden. Siehe das Beispiel in den 1970ern. Reine Kurzzeiteffekte. Besser wäre konsequentes Energiesparen, Isolieren der Häuser und einfach weniger Fahren beziehungsweise Reisen (Flüge, Wochenende et cetera).

STANDARD: Wirft das die E-Mobilität zurück – und wenn ja: wie sehr?

Geringer: Nein, im Gegenteil, durch höhere Autarkie bei der Energieumstellung kommt verstärkter Anreiz für die Umstellung. Aber nicht nur auf die E-Mobilität, sondern genauso auf Bioenergie – zum Beispiel Biogas – oder Wasserstoff aus nachhaltiger Erzeugung.

STANDARD: Bei Elektroautos zeichnet sich eine Preisexplosion ab, bei konventionell angetriebenen Pkws sind die Zeiten großzügiger Rabatte vorbei, der Gebrauchtwagenmarkt ist leergefegt, und Ökosteuerreformen verteuern das Autofahren zusätzlich: Kommt die Ära, da jeder sich ein Auto leisten konnte, an ihr Ende, oder sehen Sie das als vorübergehendes Phänomen?

Geringer: Das war absehbar: Aufwendige Abgasnachbehandlung, Stichwort Euro 7, CO2-Flottenvorgaben (Notwendigkeit von Hybriden oder reinen BEVs) sowie Covid und daraus resultierende Handelshemmnisse ergeben Mangel, dadurch massive Preissteigerungen und Druck auf Gebrauchte. Leider sehe ich künftig – aus Klimaschutz-, Emissions- und politischen/viralen Krisengründen – das "Luxusgut" Auto. Billigere Mobilitätsmittel werden steigen: Einspurige, ÖPNV und Fahrgemeinschaften.

STANDARD: Welches Antriebskonzept beim Automobil ist das krisensicherste – vielleicht doch der Diesel?

Geringer: Eine reine Frage der "krisensicheren" Energieversorgung. Mit einer Photovoltaik am Dach ist man sicherer als der beste Diesel. Hat man aber Zugang beziehungsweise ausreichend "Vorrat" an Diesel oder Benzin, dann ist man ganz bestimmt sicherer, als am Stromkabel der Versorger zu hängen. Strom kann leicht ausfallen oder – hoffentlich nicht bei uns – durch kriegerische Auswirkungen abrupt weg sein.

STANDARD: Was sollte die Politik im Zweifelsfall favorisieren: Energiewende oder Sicherstellung der Energie- und Mobilitätsversorgung für alle?

Geringer: Beides ist gleich wichtig: kurzfristig zwar die Energieversorgung, aber mittelfristig wird uns die Klimakrise viel härter treffen, wenn wir nicht gegensteuern. Bei den Klimamaßnahmen haben wir aber grundsätzlich das Problem der notwendigen globalen Handlung. Wenn nur wir Europäer eine Energiewende vollziehen, hilft das leider der Erde kaum etwas.

STANDARD: Entzerrung der Lieferketten, Rückführung strategisch wichtiger Produktionsbereiche nach Europa: Die politischen Lippenbekenntnisse haben bei Corona schon nicht funktioniert. Warum sollte es anlässlich des Ukraine-Konflikts anders sein?

Geringer: Die Notwendigkeit der Rückführung ist da, leider vergessen wir das schnell, wenn es um die Bereitschaft von Mehrkosten geht. Lieber das T-Shirt aus Asien als aus Österreich …

STANDARD: Chipkrise, Ukraine, Kabelbäume (das geht vielleicht am schnellsten) et cetera: Wann wird die Branche wieder zu "normalen" Lieferzeiten zurückfinden?

Geringer: Siehe voriger Punkt. Bevor nicht geliefert werden kann, wird dann eben woanders teurer produziert. Damit erklären sich die eingangs diskutierten höheren Fahrzeugpreise beziehungsweise reduzierten Rabatte.

STANDARD: Und schließlich: Warum bewältigen China, Korea, Japan das geballte Krisenszenario besser als Europa? Besteht nicht die Gefahr, dass überhaupt China als lachender Sieger hervorgeht?

Geringer: Einerseits geringere Diversifizierung der Lieferanten (siehe etwa Toyota oder auch Tesla), andererseits die dortige Nähe zu den Unterlieferanten im Bereich E-Mobilität (insbesondere Batterien). Die Gefahr, dass China als lachender Sieger hervorgeht, sehe ich auch: allerdings primär deshalb, da wir in Europa auf bewährte Technologien verzichten und uns komplett der E-Mobilität verpflichtet fühlen. China geht auch über Verbrennungsmotoren und synthetische Kraftstoffe sowie Plug-ins (New Energy Vehicles). (Andreas Stockinger, 18.5.2022)