Corona, Halbleiter, Kabelbäume, Ukraine: Die Autobranche ist derzeit massiven Verwerfungen und Lieferschwierigkeiten ausgesetzt. Wir haben fünf Experten zur Situation befragt und dazu einen kleinen Fragenkatalog vorgelegt. Teil 4 von 5: Peter Fischer, Vorstand des Instituts für Fahrzeugtechnik der TU Graz.

Foto: Helmut Lunghammer

STANDARD: Ist die nächste Energiekrise da (und brauchen wir bald wieder einen autofreien Tag pro Woche)?

Peter Fischer: Energiekrise im Sinne von "zu wenig Energie vorhanden" gibt es sicherlich keine. Fossile Energie wäre theoretisch (falls wir diese nutzen wollen) für mehrere Jahrhunderte vorhanden, erneuerbare Energie (falls sie entsprechend rasch ausgebaut wird) wäre in vielfacher Leistung vorhanden, als die ganze Menschheit brauchen könnte. Wenn jetzt von einer möglichen "Krise" gesprochen wird, ist das aus meiner Sicht selbstgemacht – und wahrscheinlich auch damit verbunden, dass an einigen Wegpunkten zwischen Energiegewinnung und Endkundenverteilung ziemlich dicke Gewinne gemacht werden.

STANDARD: Wirft das die E-Mobilität zurück und, wenn ja, wie sehr?

Fischer: Nein, im Gegenteil. Das sollte ein starker Boost sein, die Gewinnung lokaler und erneuerbarer Energien so rasch wie möglich voranzutreiben. Die höheren Preise und die politische Situation begünstigen (wenn nicht sogar fordern) intensive Investitionen in erneuerbare Energieformen – und machen vielleicht auch vielen Bevölkerungsschichten klar, wie notwendig das ist. Vielleicht auch Menschen, die bisher nichts davon wissen wollten und sich lieber im gewohnten Wohlfühlniveau bewegten.

STANDARD: Bei Elektroautos zeichnet sich eine Preisexplosion ab, bei konventionell angetriebenen Pkw sind die Zeiten großzügiger Rabatte vorbei, der Gebrauchtwagenmarkt ist leergefegt und Öko-Steuerreformen verteuern das Autofahren zusätzlich: Kommt die Ära, da jeder sich ein Auto leisten konnte, an ihr Ende oder sehen Sie das als vorübergehendes Phänomen?

Fischer: A: "Preisexplosion" beim Händler kann ich nicht beurteilen, ich verfolge aktuelle Händlerpreise momentan nicht. Kostenexplosion in der Herstellung von E-Autos gibt es definitiv keine – im Gegenteil, die Kosten der teuersten Komponente (der Batterie) sinken kontinuierlich und noch immer überraschend stark. Und das wird, vielleicht abgesehen von kurzfristigen Spekulationsschwankungen, auch langfristig so bleiben. Abgesehen von der Batterie ist die Kostenentwicklung von E-Autos auch nicht viel anders als bei konventionell (und hybrid) angetriebenen Fahrzeugen. Durch Skaleneffekte von höheren E-Fahrzeug-Zulassungszahlen sehe ich im Vergleich zu konventionellen Fahrzeugplattformen relativ gesehen eine Vergünstigung der E-Fahrzeuge. B: Deutlich erhöhte Kosten wird es in Abgasnachbehandlungssystemen geben, deutliche Kostensteigerung ergeben sich auch durch die Hybridisierung von verbrennungsmotorischen Antrieben. C: Der Anteil jener Menschen, die sich ein Auto leisten können, wird kontinuierlich steigen, solange wir nicht "die halbe Welt" in die Luft jagen. In hochentwickelten Volkswirtschaften sind die Märkte gesättigt – kein Bedarf an mehr Autos pro Person. Siehe Grafik, schwarze Linie "worldwide", welche sich durch lokale und zeitlich begrenzte tragische Effekte (Vietnam, Iran, Irak, Jugoslawien, Syrien, Ukraine etc.) kaum beeindrucken lässt.

STANDARD: Welches Antriebskonzept beim Automobil ist das krisensicherste – vielleicht doch der Diesel?

Fischer: Batterieelektrisch auf der Kurz- und Mittelstrecke, längerfristig vielleicht auch auf der Langstrecke. Der Diesel ist derzeit leider völlig in Ungnade gefallen. Aber er ist, speziell auf der Langstrecke, die CO2-sparendste Verbrennertechnologie. Und auf Verbrennertechnologie werden wir kurz- bis mittelfristig sicherlich nicht verzichten können. Diesel (und auch Otto) sind in Verbindung mit Biokraftstoffen auch deutlich CO2-sparender hinzukriegen, bis hin zu komplett CO2-neutral. E-Fuels sehe ich dabei aber extrem kritisch: Eine Größenordnung von sieben bis zehn Prozent Energieausnutzung (im Kundenbetrieb) ist viel zu schade, um das derzeit knappste Gut – die regenerative Energie – zu über 90 Prozent in Verluste umzuwandeln. Auch wenn diese Energie in der Wüste erzeugt werden soll.

CO2 ist ein Weltproblem. Falls wirklich in solchen Ländern einmal in signifikantem Maße regenerative Energie erzeugt wird, dann muss diese dazu dienen, dort vorrangig fossile Energiequellen zu ersetzen. Erst wenn rund um die Welt in Ländern mit hohem regenerativem Energiepotenzial die fossile Energienutzung weitestgehend eliminiert ist, sollten wir daran denken, diese als E-Fuel zu verpulvern. Anmerkung: Biodiesel und Konkurrenz zur Nahrungskette: Ein Pferd braucht pro Jahr circa einen bis zwei Hektar Weidefläche. Wer sieht eine Pferdekutsche oder ein Hobby-Reitpferd als Konkurrenz zur Nahrungskette? Mit einem Hektar Rapsanbau erzeugt man Kraftstoff für etwa 15.000 bis 40.000 Pkw-Kilometer (je nachdem, was von der Pflanze alles verwendet wird: nur die Ölfrüchte oder auch das Grün). Natürlich kann man nicht alle Pkw damit versorgen, aber in vielen Ländern einen wichtigen Beitrag leisten (Österreich, Europa etc.).

STANDARD: Was sollte die Politik im Zweifelsfall favorisieren: Energiewende oder Sicherstellung der Energie- und Mobilitätsversorgung für alle?

Fischer: Ich fürchte, ich verstehe die Frage nicht: Energiewende ist Sicherstellung lokaler Energieversorgung. Und damit auch ein wesentlicher Beitrag zur Sicherstellung der Mobilität für alle.

STANDARD: Entzerrung der Lieferketten, Rückführung strategisch wichtiger Produktionsbereiche nach Europa: Die politischen Lippenbekenntnisse haben bei Corona schon nicht funktioniert. Warum sollte es anlässlich des Ukraine-Konflikts anders sein?

Fischer: Ich bin Techniker und möchte mich zu politisch subjektiven Begriffen wie "Lippenbekenntnisse" nicht äußern. Aus meiner Sicht hat man es aber geschafft – trotz aller Unkenrufe und vielem, was im Detail vielleicht nicht optimal gelaufen ist –, in Zusammenwirken von Wissenschaft, Politik und Wirtschaft die weltweit lebensbedrohende Corona-Erkrankung in zwei Jahren so weit in den Griff zu bekommen, dass wir halbwegs damit umgehen können. Der Ukraine-Konflikt besorgt und betrifft uns in Europa sehr tief. Verständlicherweise haben wir hier stark die Europa-Brille auf. Es gab jedoch immer Konflikte – nur eben woanders, meist weit weg gefühlt, primär andere Menschen betreffend …

STANDARD: Chipkrise, Ukraine, Kabelbäume (das geht vielleicht am schnellsten) etc.: Wann wird die Branche wieder zu "normalen" Lieferzeiten zurückfinden?

Fischer: Das fragen Sie bitte einen Wirtschaftsexperten – aber auch, was vorher falsch gelaufen ist, dass es so weit kommt, und wer jetzt daran verdient, dass es so ist. Aus meiner subjektiven Sicht könnten Antworten auch beinhalten, dass möglichst geringe Einkaufspreise höher gewichtet wurden als Lieferstabilität und die Streuung von Risiken. Wenn man wirklich will, kann man sehr schnell zurückfinden. Allerdings: Knappes Gut kann man teuer verkaufen. Die Zahlen zeigen: Die Automobilindustrie und viele andere machen trotz Krise und geringerer Produktionsmengen historische Rekordgewinne.

STANDARD: Und schließlich: Warum bewältigen China, Südkorea und Japan das geballte Krisenszenario besser als Europa? Besteht nicht die Befahr, dass überhaupt China als lachender Sieger hervorgeht?

Fischer: Erstens: Wer sagt das? Zweitens: Ich kann mich mit Sieger-und-Verlierer-Denken nicht wirklich anfreunden. Es gibt selten ein eindeutiges Schwarz-Weiß. Beispiel: Warum produzieren fast alle europäischen Firmen in China und in Asien? Vielleicht, weil es für die europäischen Firmen dort billiger ist, sich gute Geschäfte machen lassen und ein Teil der Kosteneinsparung auch bei europäischen Kunden ankommt? (Andreas Stockinger, 19.5.2022)