Eine Aufhebung der strikten Eindämmungsmaßnahmen in Schanghai hätte dramatische Folgen für Chinas Gesundheitssystem.

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Die Bilder und Videos, die in den letzten Wochen aus Schanghai kamen, waren mitunter verstörend. Und laut neuesten Informationen verschärft die chinesische Millionenmetropole ihre bereits strengen Corona-Beschränkungen noch einmal weiter. Damit soll der Virusausbruch bis Ende des Monats in den Griff bekommen werden. Auch wenn die Neuansteckungen zuletzt gesunken seien, sollten die Restriktionen bis Ende Mai in Kraft bleiben, um einen erneuten Ausbruch zu verhindern.

Das Land hält also weiter an seiner "dynamischen" Null-Covid-Politik fest, die darauf abzielt, Übertragungsketten zu unterbrechen und Ausbrüche schnell zu beenden, und die seit August 2021 nicht zuletzt wegen Delta und Omikron in Kraft ist. Doch nicht nur die unmittelbar Betroffenen, sondern auch Menschen hier fragen sich, ob ein derart restriktives Vorgehen gerechtfertigt ist. Denn die Omikron-Varianten sind zwar deutlich ansteckender, aber im Krankheitsverlauf weniger schwer als etwa die Delta-Variante.

Berechnungen mit neuesten Daten

Was aber würde tatsächlich passieren, wenn man die restriktive Eindämmungspolitik jetzt lockern würde? Das haben chinesische Forschende um Hongjie Yu (Fudan-Universität in Schanghai) durchgerechnet. Yu gilt als internationaler Experte für Covid-19-Modellrechnungen, und die dazugehörige Studie erschien am Dienstag im angesehenen Fachblatt "Nature Medicine". Insofern ist nicht davon auszugehen, dass es sich bei der Untersuchung um eine ideologisch motivierte Rechtfertigung der chinesischen Covid-Politik handelt.

Dazu ist es zunächst einmal nötig, die aktuellen Infektions- und Impfzahlen Chinas zu kennen. Lauf offiziellen Angaben hatten Mitte April mehr als 91 Prozent der chinesischen Bevölkerung über drei Jahren eine zweifache Covid-19-Impfung erhalten, und 53,7 Prozent waren zudem mit einer Auffrischungsimpfung versorgt. Diese Immunität reicht jedoch möglicherweise nicht aus, um Ausbrüche zu verhindern. Vom 1. März bis zum 22. April 2022 wurden in fast allen Provinzen Chinas mehr als 500.000 Omikron-Infektionen gemeldet, davon 93 Prozent in Schanghai.

2,7 Millionen Intensivpatienten

Ausgehend von diesen Zahlen entwickelten Hongjie Yu und Kollegen ein mathematisches Modell der Sars-CoV-2-Übertragung, das für die anfängliche Wachstumsphase des Omikron-Ausbruchs 2022 in Schanghai angepasst wurde, um die Covid-19-Belastung zu prognostizieren, falls die dynamische Null-Covid-Politik aufgehoben wird.

In ihrem Basisszenario, das eine mit dem Booster geimpfte Bevölkerung und das Fehlen verstärkter nichtpharmazeutischer Interventionen (NPIs) – also Massentests und Mobilitätseinschränkungen – sowie antivirale Therapien berücksichtigt, könnte das Auftreten der Omikron-Variante das Potenzial haben, innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten bis September 2022 bis zu 5,1 Millionen Krankenhauseinweisungen, 2,7 Millionen Einweisungen in Intensivstationen und 1,55 Millionen Todesfälle zu verursachen.

Die Forschenden prognostizieren zudem, dass 74,7 Prozent aller Todesfälle aufgrund der Lücke im Impfschutz auf nichtgeimpfte Menschen im Alter von 60 Jahren und älter entfallen werden.

Drei Strategien, am besten kombiniert

Schließlich untersuchte die Studie auch die Auswirkungen von drei Strategien zur Abschwächung der Covid-19-Belastung: erstens eine Förderung weiterer Impfungen (einschließlich Auffrischungsdosen und Impfungen von bisher ungeimpften Menschen im Alter von 60 Jahren und älter), zweitens antivirale Therapien und drittens verstärkte NPIs.

Keine der bewerteten individuellen Eindämmungsstrategien allein reicht laut den Forschenden aus, um die Zahl der Todesfälle auf das Niveau einer Grippesaison zu senken oder zu verhindern, dass die Nachfrage nach Intensivpflege steigt. Doch zusammengenommen können die drei Strategien die Zahl der Todesfälle verringern und eine Überlastung des Gesundheitssystems verhindern. (tasch, 10.5.2022)