Jan Teunen geht es darum, eine Umgebung kulturell aufzuladen. Das gilt auch für sein Büro, das, wie er sagt, einer Wunderkammer ähnelt.

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STANDARD: Herr Teunen, mit Corona kam eine Zäsur in der Arbeitswelt: Plötzlich mussten fast alle ins Homeoffice. Damals sagten viele, sie wollten nie wieder zurück. Heute hat man das Gefühl, einige sind heilfroh, wieder ins Büro zu dürfen. Wie erklären Sie sich das?

Kulturphilosoph Jan Teunen.
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Teunen: Menschen wollen glücklich sein, zumindest gelegentlich. Und Glück entsteht aus Geborgenheit, aus der Berücksichtigung individueller Wünsche und Bedürfnisse. Um es auf eine einfache Formel zu bringen: Wir sind vierdimensionale Wesen. Körper, Ich, Geist und Seele. Sie alle haben Bedürfnisse, die werden im Homeoffice meistens nicht berücksichtigt.

STANDARD: Dabei haben viele Unternehmen ihren Angestellten doch äußerst flexible und selbstbestimmte Arbeitsmodelle ermöglicht.

Teunen: Aber diese neue Struktur wurde aus der Not heraus geboren. Die Probleme im Homeoffice sind mannigfaltig. Das fängt bei der Ergonomie an, geht über Belichtung und Belüftung hin zum Lärmschutz; gute Türen sind Mangelware. Man sieht das ja, wenn man mit den Leuten zoomt, die sitzen dann am Küchentisch, und die Kinder laufen durch, das ist kein probater Arbeitsplatz. Haltungsschäden, Bewegungsmangel – Arbeitsmediziner schlagen die Hände über dem Kopf zusammen.

STANDARD: Wie könnte es denn besser laufen?

Teunen: Wir können uns das anhand der U-Theorie von Otto Scharmer verdeutlichen: Wenn man eine Leberzelle ist und möchte eine Lungenzelle werden, kann man nicht auf dem direkten Weg dorthin. Das heißt: Wenn man ständig im Firmen-Office ist und plötzlich ins Homeoffice will, muss man durch das U hindurch: zurück zur Urzelle. Um also effektiv zu Hause zu arbeiten, muss man zum Ursprung des Büros zurück.

STANDARD: Der da wäre?

Teunen: Das Büro wurde 1179 erfunden, im Hochmittelalter. Ein Mönch stellte einige ungehobelte Bretter auf zwei Holzblöcke und legte seine Kutte darüber, um die Pergament- und Ledereinbände nicht zu beschädigen. Die Kutte hieß übrigens "burra", so entstand das Wort "Büro". Es war, wenn man so will, das erste Homeoffice, und es entstand, um das Kostbare zu schützen. Paradoxerweise ist das in den meisten Homeoffices nicht der Fall. Die meisten Menschen wohnen so, als ob sie gerade Opfer einer Naturkatastrophe geworden wären.

STANDARD: Das klingt etwas harsch.

Teunen: Sie haben nicht gelernt, wie man seine Umgebung kulturell auflädt. Wir haben früher in der Natur gelebt, zu der wir eine funktionale wie poetische Beziehung hatten. Das Büro – egal ob in der Firma oder zu Hause – ist zur zweiten Natur des Menschen geworden. Die Funktion mag da sein, aber die Poesie fehlt: Viele Menschen haben es versäumt, die Welt in ihr Haus zu holen.

STANDARD: Wie in der Renaissance?

Teunen: Die Menschen sind dort nicht viel rausgegangen, aber sie haben sich die Welt zu sich geholt. Sie haben Wunderkammern kreiert und konnten sich dort unendlich lang aufhalten. Mein Homeoffice ähnelt so einer Wunderkammer. Ein Rückzugsraum, an dem ich bis an mein Lebensende glücklich sein kann. Ich lade die Menschen ein, die ich sehen will, ich bin zufrieden mit meinen Räumen. In mir steckt nicht das romantische Verlangen, dass das Glück dort ist, wo ich gerade nicht bin. Und das sollte die Regel sein – nicht nur im Homeoffice, auch im Büro.

STANDARD: In Ihrem Buch "Officina Humana" charakterisieren Sie Büros als "seelenlose Räume" und "Wüsten für die Menschen". Ist es denn wirklich so schlimm?

Teunen: Die Zahlen des Gallup-Instituts sind eindeutig. 15 Prozent aller Beschäftigten sind mit Herz und Seele bei der Arbeit, 70 Prozent machen Dienst nach Vorschrift, 15 Prozent haben innerlich gekündigt. New Work und Digitalisierung sind die Begriffe der Stunde, aber kaum jemand erkennt das eigentliche Problem: Die Krise des Büros ist eine Krise des Menschlichen. Die meisten Büros sind reine Wirtschaftsräume, keine humanen Lebensräume. Aber Menschen sind keine Ressourcen. Sie brauchen Poesie, Wertschätzung und Schönheit. Gerade in der Krise sucht der menschliche Geist ein Gegengewicht zu negativen Informationen.

STANDARD: Sie sagen: "Da gibt es Stühle, bei denen das Hinsetzen zum Niedergang und das Aufstehen zum Aufstand wird."

Teunen: Wir brauchen Arbeitsplätze, aus denen Menschen Kraft schöpfen können, an denen sie aufblühen. Von Dostojewski stammt der Satz: "Die Schönheit wird die Welt retten." Wir reden hier nicht vom schönen Schein, sondern von der Idee eines Büros, das so eingerichtet ist, dass alle auf ihre Kosten kommen. Dass die vier Dimensionen des Menschen – die physische, die soziale, die psychische und die spirituelle – bedient werden. Die letzten beiden werden in der Regel sträflich vernachlässigt: der Geist, der Stimmigkeit in Umfeld und Umgang verlangt, und die Seele, die genährt werden will. Das gelingt unter anderem über die Kunst. Aber es muss auch ein Zugang zu diesem Tiefenraum geschaffen werden, sie darf nicht nur zu Repräsentationszwecken da hängen. Neurowissenschafter haben herausgefunden, dass die Qualität der Umgebung einer Person ihr stärkster Motivationsfaktor ist, noch vor sozialen Interaktionen.

STANDARD: Für viele Unternehmen ist das primär eine Kostenfrage. Den Mehrwert kann man schließlich schlecht beziffern.

Teunen: Leider sehen viele Menschen die Schönheit in der Natur und die Schönheit in den Dingen nicht mehr. Aber ein Großteil der Arbeit, die heute im Büro von Menschen verrichtet wird, wird bald von Maschinen mit künstlicher Intelligenz gemacht werden. Was für die Menschen an Arbeit bleibt, ist das gemeinsame Schöpfen, die Co-Creation. Und das ist etwas Tolles, weil wir geborene Schöpfer sind. Aber in einer von der wirtschaftlichen Rationalität dominierten Arbeitswelt kann man nicht co-kreativ arbeiten. Die Büros, egal ob Zuhause oder Firma, müssen also zu Gewächshäusern für Kreativität werden. Zu Räumen, wo Potenziale sich entfalten können. Und dann muss man sie mit Schönheit fluten. Ein schlechtes Arbeitsumfeld führt zu Stress, Depression und Angst. Wem Sinnhaftigkeit und Verbundenheit mit etwas Höherem fehlen, der fällt auf Emotionen wie Angst, Wut und Trauer zurück. Nur: Mit so einer müden Truppe können Sie die Welt nicht verändern.

STANDARD: Wie ist es überhaupt so weit gekommen?

Teunen: Die Kontore der Renaissance (Handelsniederlassungen, Anm.) waren noch stimmige Lebensräume, in denen die Entfaltung menschlicher Potenziale mühelos gelang. Aus Kontoren wurden Manufakturen, aus Manufakturen entstanden Fabriken. Immer größer wurden die Betriebe, immer zahlreicher die Beschäftigten, immer komplexer die Abläufe. Unmittelbar nach der Renaissance haben die Menschen deshalb angefangen zu fragmentieren, damit sie die Übersicht noch behalten. Dabei haben sie das Einfache gegen das Vielfache ausgetauscht, und jetzt finden sie kein Ende mehr, weil sie den Anfang verloren haben. Büros unterliegen der totalen Dominanz wirtschaftlicher Rationalität; sie sind zu Toträumen geworden, die Menschen schwächen und entkräften, statt ihre Arbeit zu beflügeln. Das Büro sollte aber wie ein Garten sein: ein Ort der Kreation und Rekreation.

STANDARD: Schärft die Krise unseren Blick dafür?

Teunen: Ich glaube, dass wir uns, wenn wir durch diese sogenannte Krise hindurch sind, in einem Dilemma befinden – wir müssen raus aus der Situation, können nicht weitermachen wie bisher, aber auch nicht zurück. Wir müssen einen Ausweg über Transformation finden. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir gerade einen kollektiven Bewusstseinssprung erleben, und zwar vom rationalen hin zum ganzheitlichen Denken. Der wurde zwar nicht von der Krise verursacht. Sie hat ihn aber verstärkt. Alle spüren, dass es gerade nicht gut läuft. Dass wir, wenn wir so weitermachen, unseren Nachfahren keine lebenswerte Welt hinterlassen. Und das ist das große Geschenk, das uns gerade gemacht wird: dass wir die Dinge wieder in ihrer Ganzheit betrachten lernen.

STANDARD: Wie wird sich das auf die Gestaltung von Arbeitswelten auswirken?

Teunen: Vielleicht indem wir zu den Idealen der Renaissance zurückkehren, als Humanismus, Kapitalismus und Ästhetik noch eine Einheit bildeten. Die Ersten, die den Gedanken des Homeoffice aufgelöst haben, waren übrigens die Reichen und Mächtigen der Renaissance. Die Kontore etwa der Medici waren Prunkbüros, sie waren unerhört schöne Orte. Vielleicht ist diese Büroform eine zukunftsträchtige. Das Büro als Ort, an dem Mitarbeiter aus dem Homeoffice oder dem Coworking-Space kommen, um verbunden zu sein mit den Visionen ihres Unternehmens, mit etwas, das größer ist als sie selbst. Das ist eine große Sehnsucht des Menschen, und in turbulenten Zeiten ist Identität einer der wenigen Stabilitätsfaktoren. Der Designer Michele de Lucchi hat sogenannte "Festival Offices" ins Leben gerufen: provisorische Büros an den schönsten Orten der Welt, an denen ausgelaugte Menschen wieder aufgeladen werden.

STANDARD: Können Büros also die Gesellschaft zum Besseren wenden?

Teunen: In der modernen Welt ist die Büroarbeit zur wichtigsten gesellschaftlichen Tätigkeit geworden. Das Büro ist zu einem Steuerungselement avanciert, das großen Einfluss auf Veränderungen hat. Egal ob Homeoffice, Büro oder Coworking-Space – und das muss uns bewusst sein: Der Feind ist nicht derjenige, der das Auto aus der Tiefgarage klaut. Der Feind ist die Mittelmäßigkeit. Wenn wir es schaffen, sie hinter uns zu lassen und eine Arbeitsumgebung zu schaffen, die so stimmig ist, dass Menschen dort lebendig sind und angeregt werden, eigenständig und motiviert zu schöpfen, sind wir auf einem guten Weg. (Florian Siebeck, RONDO, 12.5.2022)