Ein heute 65-jähriger Pensionist soll vor über 16 Jahren seine Noch-Ehefrau getötet haben, ist die Staatsanwältin überzeugt. Sie sieht eine "geschlossene Indizienkette" – eine Leiche, eine Todesursache oder ein sicheres Motiv kann sie aber nicht präsentieren.

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Wien – Angeklagter Heinrich G. soll seine in Scheidung lebende Ehefrau getötet haben. Und zwar bereits im Dezember 2005. Erst nun sitzt der 65-jährige Pensionist deshalb vor einem von Claudia Zöllner geleiteten Geschworenengericht: Staatsanwältin Julia Kalmar wirft dem Unbescholtenen vor, die 18 Jahre jüngere Elisabeth "auf unbekannte Art getötet und an einem unbekannten Ort abgelegt" zu haben. Fest steht für die Anklagevertreterin nur, dass G. ein Mörder sei. "Warum steht das fest? Weil wir eine geschlossene Indizienkette haben", erklärt sie den Laienrichterinnen und Laienrichtern.

Ganz so einfach ist es dann doch nicht, deshalb sind für das Verfahren auch vier Verhandlungstage anberaumt. Bei den Eröffnungsplädoyers herrscht keine Waffengleichheit: Kalmar verwendet einen Projektor, der die Bildschirminhalte ihres Laptops neben und über dem Kopf von Beisitzer Johannes Varga an die Wand wirft. Zu sehen sind dabei unter anderem Bilder des Opfers, eines, das die Frau mit der Tochter, die sie mit dem Angeklagten hat, zeigt.

Frau 2018 für tot erklärt

Dass es keine Leiche der 2018 auf Betreiben ihrer Eltern für tot erklärten Architektin gibt und damit naturgemäß auch keine Todesursache, gesteht die Anklägerin zu. Sie ist dennoch überzeugt davon, dass der Angeklagte des Mordes schuldig ist und erzählt fast eine Stunde lang die Vorgeschichte.

Am 6. Dezember 2005 soll Elisabeth von G. in seinem Haus getötet worden sein, ist sich Kalmar sicher. Es habe zwar danach zwei Jahre lang Ermittlungen gegen den Angeklagten gegeben, diese seien aber mangels Beweisen für seine Täterschaft eingestellt worden. Erst die "Cold Case"-Gruppe des heimischen Bundeskriminalamts habe mittels weiterer Zeugenbefragungen und besserer technischer Analyse das Puzzle aus Kalmars Sicht vervollständigt. Es kam zur Mordanklage, seit eineinhalb Jahren sitzt G. in Untersuchungshaft.

Elf Monate zwischen Beziehungsstart und Geburt des Kindes

Unstrittig ist die Vorgeschichte: G., ein erfolgreicher Amateursportler, war von 1993 bis 2000 mit einer Sportkollegin verheiratet. Zwei Jahre später lernte er Elisabeth ebenfalls im Rahmen der Sportausübung kennen. Dann ging es recht schnell: Im Herbst 2002 kamen die beiden sich näher, nach Schätzung des Angeklagten sei die Frau im Dezember schwanger geworden, im August 2003 kam das Kind zur Welt, auch der Bund der Ehe wurde geschlossen.

Die Geburt löste bei der Frau psychische Probleme aus, nach Darstellung des Angeklagten habe er vorgeschlagen, dass Elisabeth wieder arbeiten gehen solle und er sich um die Tochter kümmere. Die Anklägerin behauptet dagegen, G. habe systematisch das Kind entfremdet – über den Kopf des Beisitzers wird ein Mutter-Kind-Pass projiziert, bei dem G. offenbar handschriftlich "Mutter" durch "Vater" ersetzt hat.

Die Beziehung geriet in eine immer stärkere Krise – Weihnachten 2004 feierte die Frau bei ihren Eltern und sprach von Scheidung und Suizid. Angeklagter G. behauptet umgekehrt, er habe ab Sommer 2005 eine Trennung als Option angesprochen. Dass dann doch die Frau im September 2005 die Scheidung eingereicht hat, habe ihn aber überrascht. Ein Monat später wurde vor Gericht vereinbart, dass das Scheidungsverfahren bis Sommer 2006 ruhend gestellt werden soll und die Tochter jeweils 50 Prozent bei einem Elternteil verbringen soll.

Kinderbetreuungsgeld als mögliches Motiv

Hier ortet die Staatsanwältin ein mögliches Motiv: Geld. Denn Elisabeth zog im November in eine eigene Wohnung, einen Tag vor ihrem Verschwinden meldete sie sich und ihre Tochter dort an. Damit wäre der Angeklagte aber plötzlich ohne Einkommen dagestanden, da der Bezug des Karenzgelds und der Familienhilfe an einen gemeinsamen Wohnsitz mit dem Kind gekoppelt sei. Auf eine entsprechende Frage vom Vorsitzenden Zöllner entgegnet G., er habe damit kein Problem gehabt, dann hätte er sich eben wieder einen Job gesucht.

Am 5. Dezember 2005 meldete Elisabeth jedenfalls die neue Adresse an, am 6. Dezember telefonierte sie mit ihrem Vater und sagte, sie wolle sich am Nachmittag noch einige Dinge aus G.s Wohnung holen. Um 16.02 Uhr meldete sie sich nochmals, der Vater wollte sie davon überzeugen, die Gegenstände erst am 7. Dezember zu holen, wenn sie G. vereinbarungsgemäß die Tochter bringe. Der Vater hatte ein schlechtes Gefühl, die Tochter beruhigte ihn: Sie wolle "stark sein" und sich "zur Wehr setzen", falls G. ihr die Tochter wegnehmen wolle.

Falsche Spur via Handkommunikation?

Danach soll Elisabeth bis zum Abend des 9. Dezembers telefonisch nur noch mit G. kommuniziert haben. Aus Sicht der Anklage verdächtig: Das Mobiltelefon der Frau war bei jeder Betätigung in diesen drei Tagen bei einem von drei Sendemasten eingeloggt, in deren Mitte das Haus des Angeklagten lag. Theoretisch könnte sie irgendwo in dem Flächenbezirk gewesen sein, allerdings sicher nicht in ihrer neuen Wohnung. Kalmar geht daher davon aus, dass G. sich selbst von Elisabeths Handy angerufen und SMS geschrieben hat, um eine falsche Spur zu legen. Denn auf Nachrichten von Verwandten und Freundinnen habe sie in den fraglichen drei Tagen nicht reagiert.

Verdächtig mache den Angeklagten auch, dass er seine Version der Ereignisse mehrmals geändert habe und Dinge ursprünglich nicht erwähnt hat, die erst von den BK-Ermittlern entdeckt wurden. Wie die Tatsache, dass er sich am 7. Dezember 2005 in einem Baumarkt eine Rolle Baufolie, Trockenbeton und Bitumenanstrich besorgt hatte. Und sich am 9. Dezember für zwei Stunden einen Kleintransporter von einem Bekannten ausborgte.

Verteidiger hält Anklage für "manipulativ"

Verteidiger Thomas Reissmann kontert die Vorwürfe ruhig und kühl. "Es ist eine außergewöhnliche Anklage. Auch weil sie äußerst manipulativ ist", hält er der Staatsanwältin vor. Wenn Kalmar Zeugen zitiere, die seinen Mandanten als "Psychopathen" bezeichnen, unterschlage sie, dass andere Personen ihn als ruhigen und hilfsbereiten Menschen schildern. Selbst Elisabeths Psychotherapeutin habe nach ihrem Verschwinden berichtet, es habe keine Hinweise auf Gewalt in der Beziehung gegeben. Umgekehrt habe die Verschwundene mehrmals eine Selbsttötung an einem spezifischen Ort angekündigt. "Bitte, lassen Sie sich nicht manipulieren. Weder von mir noch von der Staatsanwältin", bittet er die Geschworenen.

Dann ist der bis auf ein gelegentliches Zittern seiner linken Hand ruhig wirkende Angeklagte an der Reihe. "Haben Sie Ihre Frau am 6. Dezember 2015 getötet?", fragt Vorsitzende Zöllner ganz direkt. "Nein", hört sie als Antwort. G. schildert, seine Gattin sei eine "grundsätzlich sehr temperamentvolle Frau" gewesen, die bereits im Sommer 2005 für 13 Tage alleine untergetaucht gewesen sei. Dass Elisabeth in Psychotherapie war und Medikamente nahm, will er nicht gewusst haben.

Kurzfristiges Training eingeschoben

Die Frau sei am Nachmittag des 6. Dezember jedenfalls mit der Tochter zu ihm gekommen und habe gepackt. Danach habe sie eröffnet, dass sie trainieren gehen wolle, und gefragt, ob er auf das Kind aufpassen könne. Wo sie hin wollte, kann der Angeklagte nicht sagen – polizeiliche Befragungen brachten keinen Hinweis darauf, dass sie in einem von mehreren nahen Vereinslokalen war. "Vielleicht ist sie auch laufen gegangen", kann G. nur mutmaßen.

Er sei mit dem Kind jedenfalls in ein Einkaufszentrum gefahren, wo er erwiesenermaßen um 17.43 Uhr mit seiner Karte am Bankomaten Geld behob. Gegen 19.30 Uhr seien er und die Tochter wieder bei ihm gewesen, da sei auch Elisabeth gekommen. Sie habe einen verärgerten Eindruck gemacht, da sich die Mitfahrgelegenheit, mit der sie den Karton mit ihren Sachen transportieren wollte, zerschlagen hatte, behauptet der Angeklagte. Dann sei auch die zweieinhalbjährige Tochter bockig gewesen und wollte lieber bei ihm bleiben, worauf Elisabeth verärgert sagte, sie hole ihre Sachen morgen.

In der Nacht habe sie ihm noch zwei SMS geschrieben, am nächsten Tag um 6.44 Uhr angerufen und ihm dann schriftlich mitgeteilt, dass sie um 8 Uhr wieder erscheinen werde. Das sei passiert, er habe eine Kiste mit ihren Habseligkeiten hinausgetragen, sie habe die Sachen auf die Rückbank eines dunklen Autos mit einem ihm unbekannten Mann am Steuer gestellt und sei dann gefahren. Er, G., habe weiter mit seiner Tochter gefrühstückt, "dann habe ich die Elisabeth, ah –", er korrigiert sich und nennt den Namen des Kindes, "in den Kinderwagen gesetzt und bin zu meinen Eltern gegangen.

Baufolie für Sportgerät

Dort habe er sich das Auto der Mutter ausgeborgt, habe noch seine Schwester besucht und Einkäufe erledigt – unter anderem die im Baumarkt. Der Angeklagte sagt, die Materialien habe er als passionierter Heimwerker für Ausbesserungsarbeiten in seinem Mietobjekt gebraucht. Die Baufolie wiederum eigne sich gut dazu, sein Sportgerät transportsicher zu verpacken, versichert er. Auch den Kleintransporter des Freundes am 9. Dezember habe er sich aus harmlosen Gründen ausgeborgt – um alte Heizkörper zu entsorgen.

Er bleibt auch dabei, dass ein in seiner Wohnküche gefundener gut zehn Zentimeter großer Blutfleck, der DNA von Elisabeth und ihm enthielt, bereits älter sei. Seine Frau habe einen Unfall gehabt und habe stark geblutet, er habe sie damals verarztet. Wann der Fleck entstanden ist, kann Sachverständige Christina Stein einer Geschworenen nicht beantworten, ebenso wenig, ob das entdeckte Blut vom Angeklagten oder der Frau stammt.

Sachverständiger sieht keine psychischen Erkrankungen

Der psychiatrische Sachverständige Peter Hofmann weiß, wie heikel die Angelegenheit ist, und fasst sich ungewöhnlich kurz. Er widerspricht aus fachlicher Sicht nur Zeugenaussagen, G. sei ein "Psychopath": "Da wird man schon in der Jugend auffällig", ist er überzeugt. Wie jeder Mensch habe G. zwar "Akzentuierungen" der Persönlichkeit, diese würden aber keinen Krankheitswert erreichen, meint Hofmann. Aus psychiatrischer Sicht sieht er keine Hinweise darauf, dass der Angeklagte an einer psychischen Erkrankung leidet, die seine Schuld ausschließt oder ihn so gefährlich macht, dass er eingewiesen werden müsste.

Die Verhandlung wird am Mittwoch mit ersten Zeugenaussagen fortgesetzt. Insgesamt sind 39 Zeuginnen und Zeugen geladen. Drei weitere Verhandlungstage sind anberaumt. Das Urteil soll am 19. Mai fallen. (Michael Möseneder, 9.5.2022)