Es sollte ein Feiertag für Europa sein – für einen Kontinent, der die Lehren aus zwei Weltkriegen gezogen hat und sich seitdem als Promotor von Frieden und Freiheit versteht. Es sollte auch ein Fest für die Jugend sein – sie wird über kurz oder lang die Verantwortung für die Europäische Union übernehmen. In Vorbereitung darauf hatten EU-Kommission und EU-Parlament dazu eingeladen, im Rahmen einer "Konferenz zur Zukunft Europas" Ideen zu entwickeln.

Emmanuel Macron: nachdenken über Europa – aber auch handeln.
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Doch am Montag, dem Europatag, standen einmal mehr nicht Zukunftschancen im Mittelpunkt, sondern die Gefahren, die der Ukraine-Krieg für Europa bedeutet. Die Präsidentin der EU-Kommission Ursula von der Leyen sagte, halb warnend, halb hoffend: "Die Zukunft Europas ist auch die Zukunft der Ukraine!" In diesem Zusammenhang stellte sie, zumindest indirekt, das Einstimmigkeitsprinzip bei Kernthemen der EU-Außenpolitik infrage: Dieses ergebe keinen Sinn, wenn Europa schnell handeln müsse.

Die Ukraine war auch Leitthema der Rede des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron, der in diesem ersten Halbjahr 2022 den rotierenden Ratsvorsitz innehat. Die Ukraine allein habe das Recht, Bedingungen für Friedensverhandlungen mit Russland zu formulieren – die EU werde jedenfalls auf der Seite der Ukraine stehen.

Änderung der EU-Verträge?

Letztlich dürfe aber eine Krise wie jene in der Ukraine die EU nicht dazu bringen, ihre Zukunftsagenda zu stoppen. Der am Wochenende für eine zweite Amtszeit bestellte französische Präsident verpflichtete sich dazu, die Vorschläge der EU-Zukunftskonferenz zu beherzigen. Auch er sprach sich dafür aus, das Prinzip qualifizierter Mehrheiten zu propagieren – und sprach sich damit indirekt für eine Änderung der EU-Verträge aus. Außerdem schlug Macron die Schaffung einer "Europäischen Konföderation" vor: eine Art "politische Gemeinschaft" mit der EU als Kern, aber auch mit Partnern außerhalb der EU, wie etwa der Ukraine. Damit griff Macron einen Vorschlag seines Vorgängers François Mitterrand auf, der dies schon 1989, am Ende des Kalten Krieges, anregte. Deutschlands Kanzler Olaf Scholz bezeichnete das nach einem Treffen mit Macron am Montagabend als eine "sehr interessante" Idee seines Pariser Partners.

Am Europatag kam natürlich auch Österreichs Bundespräsident, Alexander Van der Bellen, auf die Ukraine zu sprechen: "In diesen dunklen Tagen leuchten die Sterne der Europäischen Union besonders hell", sagte er als Gast im Haus der EU in der Wiener Innenstadt. "Präsident Putin hat rote Linien überschritten – und Europa hat geantwortet" und verteidige damit auch seine wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Interessen und Werte.

"Gerade jetzt müssen wir mehr denn je zuvor unsere liberale Demokratie hochhalten", mahnte Van der Bellen, "wir müssen gemeinsam das schätzen und verteidigen, was wir durch viele Jahrhunderte gemeinsamer leidvoller Geschichte errungen haben."

"Aufbau, nicht Zerstörung"

Der Vertreter der EU-Kommission in Österreich, Martin Selmayr, sagte: "Europa ist die Stärke des Rechts – und nicht das Recht des Stärkeren." Europa stehe für Aufbau und nicht für Zerstörung. "Europa heißt Frieden und nicht Krieg."

Vor einer Gefährdung des "European Way of Life" warnte Europaministerin Karoline Edtstadler im Rahmen einer Feierstunde im Bundeskanzleramt. Nicht zuletzt aufgrund dieser Bedrohung von außen sei es nötig, dass die EU sich weiterentwickle, sich reformiere.

Und damit schlug sie gekonnt die Brücke zum eigentlichen Thema des Europatages 2022: zu den Zukunftsperspektiven. Leider, musste die Ministerin einräumen, sei der einjährige Diskussionsprozess in der EU-Zukunftskonferenz nicht immer so verlaufen, wie sie es sich erhofft habe. "Zu viel Zeit ging mit prozeduralen Fragen und interinstitutionellen Streitigkeiten verloren. Zu wenig wurde über akute Probleme und konkrete Lösungen diskutiert."

Dennoch stecke Europa voller Potenzial – und geht es nach Edtstadler, dann wird die EU nicht auf 27 Staaten beschränkt bleiben: Auch die Ukraine könnte dort einen Platz finden – aber nur, wenn dies auch für die bereits in der Warteschleife befindlichen Länder am Westbalkan gelte. (Gianluca Wallisch, 9.5.2022)