Die Absicherung von Baustellen, die individuelle Schutzausrüstung, moderne Maschinen sind nur Teile der Unfallprävention. Vor allem die Arbeitszeiten gelten als Unfalltreiber.

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"Arbeiter rammt sich Eisenstange in den Hals: Bei einem Arbeitsunfall in Pfarrwerfen (Pongau) ist am Mittwochnachmittag ein 32-jähriger Bauarbeiter schwer verletzt worden. Der Mann war laut einem Bericht der Polizei gerade mit Schalungsarbeiten beschäftigt, als er mit einer Eisenstange in der Hand stolperte und sich diese in den Hals rammte.

Arbeitskollegen leisteten sofort Erste Hilfe. Die Besatzung des Notarzthubschraubers Martin 1 und Sanitäter des Roten Kreuzes führten die Erstversorgung an der Unfallstelle durch. Um den Patienten transportfähig zu machen, musste die Feuerwehr mit einem hydraulischen Werkzeug zunächst die Eisenstange verkürzen. Die geschockten Ersthelfer mussten vom Kriseninterventionsteam des Roten Kreuzes betreut werden."

Meldungen über Arbeitsunfälle wie diese der Austria Presse Agentur vom vergangenen Donnerstag schaffen es nur bei spektakulären Ereignissen in die Medien. Arbeitsunfälle klingen oft zu profan, und vielfach ist für Medienmenschen wie für das Publikum die Welt der körperlichen Arbeit weitgehend fremd geworden. Zudem hat der gesellschaftliche Stellenwert manueller Tätigkeiten in Industrie und Gewerbe in den vergangenen Jahrzehnten deutlich abgenommen.

Eine Frage der Meldemoral

Auch wenn sich die Sicherheitsbedingungen in den vergangenen Jahrzehnten massiv verbessert hätten, das Thema Arbeitssicherheit sei nach wie vor brisant, sagt der Salzburger Landesgeschäftsführer der Gewerkschaft Bau-Holz, Kurt Neckermann, im STANDARD-Gespräch – gerade am Bau: "In Österreich sind vergangenes Jahr 30 Bauarbeiter tödlich verunglückt." Insgesamt seien 2021 rund 16.500 Arbeitsunfälle am Bau gemeldet worden.

Dieselbe Zahl, anders formuliert: Von 1.000 im Hoch- und Tiefbau sowie im Baunebengewerbe Beschäftigten verunglücken in Österreich statistisch gesehen 57,8 pro Jahr. Am höchsten ist die Unfallrate laut Gewerkschaft mit 86,7 in Kärnten, dicht gefolgt von Salzburg mit 82. Am niedrigsten ist sie im Burgenland mit 37 Verunglückten pro 1.000 Beschäftigten.

Warum die Bundesländerzahlen so weit auseinanderliegen, ist auch für die Gewerkschaft ein Thema. Andreas Huss, Obmann der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) und selbst Bau-Holz-Gewerkschafter, hat zwei Erklärungen: In den Bundesländern mit einer kleineren Betriebsstruktur sei die Unfallrate höher, sagt er. Aber es sei auch eine Frage der "Meldemoral": In Ländern, in denen die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA) ein Krankenhaus betreibe, würden Arbeitsunfälle konsequenter gemeldet.

Arbeitsdruck und Übermüdung

Schaut man inhaltlich in die Unfallmeldungen, dann gibt es eine Hauptursache: Stolpern. Deshalb sagt auch Huss: "Eine zusammengeräumte Baustelle ist ein wesentlicher Sicherheitsfaktor." Der eingangs geschilderte Unfall bestätigt das. Die Gewerkschafter berichten in diesem Zusammenhang allerdings von einem enorm gestiegenen Arbeitsdruck. "Früher waren acht Männer in einer Partie, heute sind es fünf", sagt Gewerkschaftssekretär Neckermann.

Auch die Praktiker sehen das so. Josef Krenn, Betriebsratsvorsitzender der Salzburger Niederlassung des Baukonzerns Porr, berichtet von regelmäßigen Zwölfstundentagen. Die Fristen und Bauzeiten würden immer kürzer, der Achtstundentag werde seltener. Damit erhöhe sich auch die Unfallgefahr. "Die Arbeitszeit ist der Unfalltreiber", sagt ÖGK-Chef Huss, ab der neunten Arbeitsstunde verdopple sich das Unfallrisiko, die Leute seien dann einfach müde. Deshalb fordert die Gewerkschaft eine rigorosere Kontrolle der Arbeitszeiten und höhere Strafen bei Übertretungen.

Eine App zur Prävention

Die großen Leitbetriebe der Branche hätten die Arbeitssicherheit aber selbst als wichtiges Thema erkannt, sagen die Gewerkschafter. Schließlich seien Arbeitsunfälle auch ein Kostenfaktor. Neben Schulungen und Ausbildung wird die Arbeitssicherheit inzwischen auch digital erhöht.

Mit einer eigenen Handy-App sollen in Hinkunft am Bau Beschäftigte die Möglichkeit erhalten, Gefahrenstellen oder Beinaheunfälle schnell und anonym zu melden, damit die Bauleitungen entsprechend reagieren können. Derzeit werden solche Meldungen noch schriftlich über ein Gefahrenquellenheft und per Mail verfasst. Dieses System sei träge und langsam.

Wobei die Prävention oft schlicht am Sprachproblem scheitere, erzählen die Gewerkschafter. Es gebe Baupartien, in denen überhaupt nur mehr ein Arbeiter gut Deutsch spreche; dazu komme, dass viele Arbeiter aus anderen Staaten einfach nicht wüssten, was in Österreich Gesetz sei und welche Rechte – auch bezüglich Arbeitszeiten oder Sicherheitsvorkehrungen – sie haben. (Thomas Neuhold, 10.5.2022)