Theatercombinat-Chefin Claudia Bosse lässt nicht nur performen. Sie legt sich im Wald des Praters auch selbst mit einer Rinderleber an.

Wenn etwas über die Leber läuft, wird mancher Mensch sensibel. Nicht nur, weil große Persönlichkeiten wie etwa Helmut Qualtinger allzu früh am Leberleiden verblichen sind, sondern auch, weil gewisse tierische Lebern, mit Geschick zubereitet, echte Gaumenfreuden spenden können. Und natürlich, weil weise babylonische Hepatomanten bereits vor 4.000 Jahren die Zukunft aus der Leber gelesen haben.

Claudia Bosse, Kopf, Herz (und Leber) des Wiener Performancekörpers Theatercombinat, hat am Muttertag im Wald des Praters ihr neues Werk Oracle and Sacrifice in the Woods uraufgeführt. Das Publikum wird in einem rund dreistündigen Frischluftparcours zu einer Kulturexpedition in die Natur geleitet. Beteiligt sind zwei Dutzend Performerinnen und Performer als "Chor".

Was zu tun ist und welche Gedanken in dieser Arbeit stecken, wird via Audiofiles vermittelt, die aufs Handy geladen werden können.

Es geht, grob gesagt, um die Beschaffenheit des Verhältnisses zwischen Mensch und Natur. Um deren sinnliche Erfahrung auch für Überzivilisierte, die ihre Körper auf das Wahrnehmen der auf Kompostierung und Wachstum angelegten Kreisläufe im Wald einlassen.

Ritualistische Schauplätze

Für manche mag es eine narzisstische Kränkung sein, zu bemerken, dass die selbsternannte "Krone der Schöpfung" nur ein erdgeschichtlich ganz junges und womöglich nicht sonderlich gelungenes Experiment der Natur ist. Ein Indiz dafür: Während Tiere, Pflanzen oder Pilze ihre Sozietäten artgemäß hervorragend organisieren können, hapert es bei Menschen auf dieser Ebene ganz gewaltig. Die Performance lässt das Publikum seine Entfremdung von der Natur sanft spüren.

Bosse und ihr Chor machen deutlich, dass unsere Kräfte und Schwächen aus dem mehr oder weniger sinnvollen Hantieren mit Fiktionen resultieren. Die Performerinnen – überwiegend Frauen – richten poetische und ritualistische Schauplätze auf Wiesen und im Gebüsch ein. Bosse selbst setzt sich als Artemis einmal eine große Rinderleber auf den Kopf, als Frisur, als Last und auch als ironische Metapher für menschliche Beschränktheit.

An Bäumen wird gesungen, im Unterholz auf die enorme Vernetztheit von Pilz-Myzelen verwiesen. Unter Decken werden die Darstellerinnen zu bunten Gespenstern, während die Schatten der anbrechenden Nacht alle Konturen verschwimmen lassen.

Oracle and Sacrifice in the Woods erinnert aufs Beste an das Waldritual Night Tripper der finnischen Choreografin Ingri Fiksdal, das vom Brut vor genau zehn Jahren im Rahmen der genialen Kuratierung Up to Nature im Wald des Wilhelminenbergs gezeigt wurde. Aber auch an die zauberhafte Wanderung The Light Forest der Dänin Mette Ingvartsen auf den nächtlichen Salzburger Kapuzinerberg beim Sommerszene-Festival zwei Jahre davor.

Die von Claudia Bosse mitgegründete "transdisziplinäre Kompanie" Theatercombinat, für die die 1969 in Deutschland geborene Regisseurin, Choreografin und Künstlerin seit Jahren allein verantwortlich ist, feiert dieses Jahr ihr 25-Jahr-Jubiläum. In dieser Zeit hat Bosse mit ihren Performances oder Interventionsprojekten vor allem in Österreich und Deutschland eine ungeheure Produktivität gezeigt.

Claudia Bosses ästhetische Handschrift ist – in der Kombination von performativen Körpern, Texten und Räumen – unverwechselbar. Die Werke der Nestroypreisträgerin 2009 sind stets explizit politisch aufgeladen, aber sie wechseln trotzdem nie hinüber in banale aktivistische Propaganda.

Sehr gerne führt Bosse ihre Arbeiten außerhalb von Theaterräumen auf, sie setzt sich aber genauso mit Museen und Archiven auseinander. Eine freie Szene in Wien ohne Claudia Bosses Impulse ist definitiv nur schwer vorstellbar. Bis 21. Mai. (Helmut Ploebst, 9.5.2022)