Die aus unwegsamen Gelände geborgene Leiche wurde identifiziert: es handelte sich um einen 1963 geborenen Mann, der schon vor mehreren Jahren im ausgesetzten Gelände verstorben sein dürfte.

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Bruno Berloffa ist Leiter der Bergrettung Innsbruck. Er wunderte sich, dass niemand den Toten als vermisst gemeldet hatte.

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Die steilen und felsdurchsetzten Hänge im Nordwesten Innsbrucks, wo die skelettierte Leiche gefunden wurde, kennt Berloffa wie seine Westentasche.

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Innsbruck – Am frühen Abend des 21. April erkundeten zwei Kletterer das unwegsame Terrain östlich der Martinswand zwischen Innsbruck und Zirl, direkt über dem Klettergarten an der Bahngalerie. Auf der Suche nach neuen Routen stießen sie im steilen Wald auf ein Zelt. Darin befand sich die bereits skelettierte Leiche eines Mannes.

"Es ist erstaunlich, dass er niemandem abging", sagt Bruno Berloffa. Der Leiter der Innsbrucker Bergrettung kennt den Fundort, der in Sichtweite der Stadt liegt: "Aber hier oben ist selten wer unterwegs, es gibt kaum Steige und keine Hütten." Was dem Toten passiert ist, bleibt ein Rätsel. Fremdverschulden wird ausgeschlossen. Die DNA-Analyse ergab, dass es sich um einen 1963 geborenen Mann handelte, dessen Leiche schon mehrere Jahre am Fundort gelegen haben muss. Der Mann hatte den Kontakt zu seinen Angehörigen abgebrochen, weshalb ihn niemand als vermisst gemeldet hat.

Ungewisse Schicksale

Berloffa kann nur mutmaßen, was geschehen ist: "Ich denke, er kam nicht von unten, sondern aus dem Karwendel. Irgendwann wurde das Gelände zu steil, und er biwakierte." Vor ein paar Jahren ereignete sich ein ähnlicher Fund am Achselkopf, ein Stück weiter östlich. Damals wurde eine Kohlenmonoxidvergiftung durch den Gaskocher im Zelt als Todesursache ermittelt.

Bis zu 500-mal müssen Alpinpolizei und Bergrettung in Österreich pro Jahr ausrücken, um Vermisste zu suchen, erzählt Oberst Hans Ebner: "Ein bis drei pro Jahr bleiben unauffindbar." Oft stehen die Alpinpolizisten vor einem Rätsel. "Vor etwa 15 Jahren verschwand ein Ehepaar, beide um die 80 Jahre alt, spurlos am Nassfeld in Kärnten. Trotz intensiver Suche blieben sie verschollen", sagt Ebner.

Spurlos verschwunden

Auch in Innsbruck beschäftigt die Bergrettung ein aktueller Vermisstenfall. Im Mai 2021 verschwand der 19-jährige Rida Zoundri aus den Niederlanden spurlos. Handydaten zeigten, dass er sich zuletzt in Innsbruck aufgehalten hatte, Angehörigen sagte er, er wolle eine Bergtour unternehmen. Dann verliert sich seine Spur. Der Fall erregte in den Niederlanden so großes Aufsehen, dass manche auf eigene Faust nach Tirol reisten, um Zoundri zu suchen.

"Wir haben dann bergunerfahrene Holländer in Turnschuhen auf der Nordkette vorgefunden, die den Vermissten suchen wollten", erzählt Berloffa. Den Bergrettern wurde sogar vorgeworfen, nicht genug zu unternehmen. Berloffa kann nur den Kopf schütteln: "Es ist fast unmöglich, jemanden ohne einen Anhaltspunkt in diesem riesigen, unwegsamen Areal zu finden."

"28 Bergsteiger fehlen uns"

Im Großvenedigergebiet führt Bergretter Peter Ladstätter Buch über die Vermissten: "28 Bergsteiger fehlen uns." Sie dürften Opfer von Gletscherspalten geworden sein, sagt Ladstätter. Wer ins ewige Eis stürzt, den gibt der Gletscher womöglich nie wieder frei, weiß der Experte: "Das Eis zermalmt die Körper." Nur selten spuckt der Gletscher Leichen nach Jahren oder gar Jahrzehnten wieder aus.

Leichtsinniger seien die Menschen nicht geworden, sagt Ladstätter: "Niemand riskiert bewusst sein Leben." Aber immer bessere Ausrüstung wiege viele in falscher Sicherheit. Denn Berge bleiben gefährlich. (Steffen Arora, 10.5.2022)