Protestierende fordern Anfang Mai in Berlin ein Energie-Embargo gegen Russland.

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Wien – Die zähen Verhandlungen innerhalb der Europäischen Union um das jüngst angekündigte Ölembargo gegen Russland gehen weiter. Ungarn etwa will gegen das Embargo sein Veto einlegen. "Ungarn wird (im EU-Rat) nicht für dieses Paket stimmen, denn die ungarischen Menschen dürfen nicht den Preis für den Krieg (in der Ukraine) bezahlen", sagte Außenminister Péter Szijjártó am Montag im Budapester Parlament. Damit das Sanktionspaket umgesetzt werden kann, müssen alle Länder zustimmen.

In Verhandlungen, die seit letzter Woche andauern und in dieser Woche weitergehen, erzielten die EU-Länder noch keine Einigung über ein Ölembargo gegen Russland. Die EU-Kommission hatte vorgeschlagen, Ungarn, der Slowakei und Tschechien noch mehr Zeit einzuräumen, um den Lieferstopp vollständig umzusetzen. Ungarn – aber auch anderen Ländern – ging der Vorschlag allerdings nicht weit genug. Das Land fordert laut EU-Diplomaten deutlich längere Übergangsfristen und finanzielle Hilfen für die Umstellung der Versorgung. Konkret geht es um den Bau einer neuen Pipeline, über die Ungarn von Kroatien aus mit Öl versorgt werden soll.

Brüsseler Vorschlag für Budapest "Atombombe"

Das Sanktionspaket bedeute für Ungarn "nur Probleme", meinte Szijjártó am Montag. Es halte keine Lösungen dafür bereit, wie das von russischem Öl abhängige Land die ausfallenden Importe ersetzen könne. "Dieser Brüsseler Vorschlag kommt einer Atombombe gleich, die auf die ungarische Wirtschaft abgeworfen wird", sagte er. Denselben Vergleich hatte bereits der rechtsnationale Ministerpräsident Viktor Orbán in einem Rundfunk-Interview am letzten Freitag bemüht.

Am späten Montagnachmittag wurde bekannt, dass aufgrund der verhärteten Fronten EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen persönlich nach Ungarn reist. Von der Leyen wolle noch am Montag den ungarischen Regierungschef Viktor Orbán treffen, um mit ihm über die Versorgungssicherheit zu sprechen, teilte ein Sprecher in Brüssel mit.

Auch Bulgarien zieht Veto in Betracht

Zuvor hatte auch Bulgarien als viertes Land nach Ungarn, der Slowakei und Tschechien eine Ausnahme vom Ölembargo der EU gefordert. Andernfalls werde Bulgarien sein Veto einlegen, sagte der Vize-Ministerpräsident Assen Wassilew am Sonntagabend dem bulgarischen Sender BNT, wie Reuters berichtete. Eine Ausnahme sei notwendig, weil die bulgarische Raffinerie Burgas Zeit für die Ausweitung ihrer Entschwefelung benötige, sollte sie nur noch nicht russisches Öl verarbeiten.

Die Hälfte des dort verarbeiteten Öls kommt derzeit noch aus Russland. Angesichts der derzeitigen Gespräche mit der EU dazu glaube er aber nicht, dass Bulgarien am Ende sein Veto einlegen müsse, sagte Wassilew.

Bulgarische Expertin kalmiert

Konstanza Rangelowa, Energie- und Klimaexpertin am bulgarischen Zentrum für Demokratie-Studien (Center for the Study of Democracy), sieht das anders. Europa – und damit auch Bulgarien – könne ohne russisches Öl auskommen, "wahrscheinlich auch ohne russisches Gas", fügte sie am Sonntag in einem Hintergrund vor österreichischen Journalisten in Sofia hinzu.

Nur ein Viertel des Erdöls, das Europa importiere, komme aus Russland. "Die meisten Stimmen gegen ein Ölembargo sind mit russischen Interessen verbunden, die von den gegenwärtig niedrigen Preisen für russisches Öl profitieren", sagte Rangelowa. Jede Raffinerie, die russisches Öl verarbeite, verdiene derzeit prächtig; die hohe Gewinnspanne ergebe sich aus dem billigen Öl, das Russland auf den Markt geworfen haben.

Burgas ist die einzige Raffinerie in Bulgarien und die größte auf dem Balkan. Sie gehört zum russischen Lukoil-Konzern, der die derzeit hohen Gewinne abschöpfe und nach Russland transferiere. "Das ist definitiv ein Problem." Wenn es heiße, man könne das russische Öl nicht ersetzen, sei das wohl nicht wahr. Burgas liegt am Schwarzen Meer, das auch zum Schauplatz des Ukraine-Krieges geworden ist. Es sei zwar derzeit schwieriger und teurer, Öltanker zu versichern, die ins Schwarze Meer einfahren, aber es könnten genauso gut Tanker aus dem Nahen Osten einfahren und Öl nach Burgas liefern, so die Expertin.

Schallenberg kritisiert russische "Gaskeule"

Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg traf am Montag in Sofia Vize-Premier Wassilew sowie seine bulgarische Amtskollegin Teodora Gentschwoska. Er erwarte den Beschluss des nächsten EU-Sanktionspakets gegen Russland samt Ölembargo "in den nächsten Tagen", so Schallenberg, der Verständnis für den bulgarischen Wunsch nach Einschleifregelungen zeigte. Er betonte vor mitgereisten österreichischen Journalisten, dass die Sanktionen vor allem "massiv auf den militärischen Industriekomplex Russlands" abzielten.

"Der Erpressungsversuch Russlands mit der Gaskeule ist inakzeptabel", sagte er mit Blick darauf, dass Russland Bulgarien sowie auch Polen seit Ende April kein Gas mehr liefert und Gaslieferungen auch an andere EU-Staaten einstellen könnte. Derzeit bekommt Bulgarien etwa von Griechenland griechisches Gas sowie russisches Gas, das für Griechenland bestimmt ist, das Griechenland aber Bulgarien überlässt. Erdgas macht nur elf Prozent am bulgarischen Energiemix aus, zugleich hatte sich Bulgarien bis vor kurzem fast völlig auf Gas aus Russland verlassen. Die Industrie braucht es, und in der kühlen Jahreszeit wird damit Fernwärme für private Haushalte zur Verfügung gestellt. (APA, red, 9.5.2022)