Ankunftszentrum für Ukraine-Vertriebene in Wien: Die Erstversorgung wurde von den Ländern vorfinanziert, jetzt wollen sie dafür Geld sehen.

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Wien – Im föderalistischen Dickicht des Sozialstaats vergeht zwischen Maßnahmenbeschluss und Umsetzung oft überraschend viel Zeit. Kommt die Verbesserung dann trotz Ankündigungen nicht und nicht bei den Berechtigten an, so sorgt das für Frust.

Genau das ist im Fall der Ukraine-Vertriebenen und anderen schutzsuchenden Menschen geschehen, die in Österreich in Grundversorgung sind. Bei einem Landesflüchtlingsreferententreffen am 30. März wurde einstimmig beschlossen, die Tagsätze und Zahlungen für sie zu erhöhen. Statt bisher 21 Euro werde es etwa für die Versorgung eines Erwachsenen 25 Euro pro Tag geben.

Bund-Länder-Zusatzvereinbarung

Das Problem ist nur: Ausbezahlt wurden die erhöhten Summen in den fünf Wochen seitdem nirgends, mancherorts gab es gar überhaupt kein Geld. Bei NGOs und in sozialen Medien mehrten sich die Beschwerden.

Das könnte sich nun endlich ändern. Bei einem weiteren Treffen der Landesflüchtlingsreferentinnen am Dienstag mit Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) und Flüchtlingskoordinator Michael Takacs soll dem Vernehmen nach eine zusätzliche Bund-Länder-Vereinbarung unterzeichnet werden. Sie soll den Ländern Finanzsicherheit geben, sodass das Zusatzgeld an die Anspruchsberechtigten fließen kann.

Direktgelder vom Bund

Weiters war im Vorfeld von geplanten Direktzahlungen des Bundes an die Länder die Rede, über die abgestimmt werden könnte. Das Zusatzgeld soll primär dazu dienen, die Erstversorgung der inzwischen mehr als 350.000 Ukraine-Vertriebenen zu bezahlen, die in Österreich angekommen – und meist durchgereist – sind. Die Erstversorgung der Ukrainer ist eine Aufgabe des Bundes, in der Praxis jedoch wird sie meist von den Ländern organisiert.

In Deutschland wurden derlei Ausgleichszahlungen bereits beschlossen. Dort überweist der Bund den Ländern ab heuer jährlich zwei Milliarden Euro für die Versorgung der Ukraine-Flüchtlinge. Ebenfalls geklärt ist im Nachbarland, aus welchem Sozialtopf die Kriegsvertriebenen letztlich versorgt werden sollen. Sie erhalten ab ersten Juli Sozialhilfe, sprich Hartz IV.

Sozialhilfe? Eher nicht

In Österreich hatte diesbezüglich vor zwei Wochen ÖVP-Klubobmann August Wöginger für Aufhorchen gesorgt. Die Ukrainerinnen sollten aus der an sich für Asylwerber vorgesehenen Grundversorgung heraus und in die Sozialhilfe übersiedelt werden, sagte er.

Nach raschem Widerspruch innerhalb der ÖVP versiegte diese Diskussion –und auch vor dem Dienstagtreffen der Flüchtlingsreferenten wurde signalisiert, dass mit einem derartigen Transfer eher nicht zu rechnen sei.

Zuverdienst und Betreuung

Damit jedoch würden wichtige Fragen sozialer Absicherung der Vertriebenen ungeklärt bleiben. Die aus der Ukraine Geflohenen, meist Frauen mit Kindern, haben Arbeitsmarktzugang, dürfen aber laut Grundversorgung nur höchsten 110 Euro pro Monat dazuverdienen. Bei mehr droht Grundversorgungsverlust. Wie sollen sie angesichts dessen den Übergang in voll bezahlte Jobs schaffen, wie genug Geld für Kinderbetreuung aufbringen?

Auf ein weiteres Problem weist der Wiener Caritas-Geschäftsführer Klaus Schwertner hin. Aus der Ukraine kämen immer mehr Menschen mit Behinderungen, demente sowie schwerkranke Personen, sagt er. Es fehlten jedoch die Beschlüsse und damit öffentliche Gelder, um sie zu ausreichend zu pflegen.

Karners "Aktion scharf"

Unterdessen hat Minister Karner nach einer Woche "Aktion scharf" gegen Schlepper sowie gegen die "Aushöhlung" der Grundversorgung durch "Missbrauch" Bilanz gezogen. Es seien 900 Verwaltungsübertretungen festgestellt, den Ländern seien mehr als 30 Verdachtsfälle mangelnder Hilfsbedürftigkeit übermittelt worden – weil grundversorgte Menschen mehr als erlaubt dazuverdient haben sollen. Vier Menschen seien unter Schleppereiverdacht festgenommen worden. (Irene Brickner, 10.5.2022)