Karl Nehammer hätte jetzt die Chance, sich zu profilieren und aus den Fußstapfen von Sebastian Kurz herauszutreten.

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Im Grunde genommen haben Elisabeth Köstinger und Margarte Schramböck mit ihren Rücktritten Karl Nehammer einen Gefallen getan – auch wenn der Zeitpunkt so kurz vor dem Parteitag nicht ganz ideal und mit Nehammer offenbar nicht im Konsens abgestimmt war. Aber beide Ministerinnen sind und waren nicht Nehammers Wahl, sie waren und sind Vertraute von Sebastian Kurz, woraus beide im Abgang auch keinen Hehl gemacht haben.

Nehammer hatte ein Team übernommen, das er selbstverständlich gut gekannt hatte, weil er als Innenminister ja selbst zwei Jahre Teil dessen war, aber es ist eben nicht sein Team. Und als Bundeskanzler und ÖVP-Chef hätte er eigentlich das Anrecht und sogar die Pflicht, sich selbst ein Team zusammenzustellen, mit dem er bestmöglich zusammenarbeiten kann. Dieses Anrecht hatte sich sein Vorvorgänger Kurz sogar explizit in die Parteistatuten schreiben lassen – und er hatte davon Gebrauch gemacht. Nicht unbedingt mit großem Glück, denn nicht alle Besetzungen erwiesen sich als Glücksfall. Das hat jetzt offenbar auch Schramböck selbst erkannt – und Susanne Raab könnte man hier auch noch nennen. "Elli" Köstinger hingegen war so bedingungslos und schmerzfrei loyal zu Kurz, dass sie ihre Aufgabe jedenfalls mit Bravour erfüllt hatte – aus der Sicht von Kurz.

Ein Team formen, eine Vision entwickeln

Nehammer hat jetzt Handlungsbedarf – und das könnte ihm durchaus gelegen kommen. Der Anlass ist schon gegeben, theoretisch könnte er jetzt eine noch größere Regierungsumbildung vornehmen, als bloß die beiden zurückgetretenen Ministerinnen nachzubesetzen. Er könnte sich jetzt sein Team formen, nach seinen Wünschen, Vorstellungen und Bedürfnissen. Und damit auch eine Vision entwickeln, wo er eigentlich hinwill.

Aber glaubt das jemand? Nehammer ist in der Partei viel zu schwach, um sich gegen jene durchzusetzen, die hier die eigentliche Macht haben: die Landeschefs, insbesondere jene, die auch Landeshauptleute sind. Für die ist es immer noch ganz selbstverständlich, dass sie den Ton angeben und ihre Wünsche nach Wien melden. Nehammer hat keineswegs freie Hand, er muss in erster Linie Länderinteressen befriedigen und in zweiter Linie auch darauf schauen, dass die Bünde in der Partei mit von der Partie sind.

Gleich mehrere Königsmacher

Anders als Kurz ist Nehammer ja nicht durch eigenen Willen und Vorsatz an die Macht gekommen, sondern wurde durch die Kraft der Umstände, des Bekanntwerdens der Chats und des Beharrens der Grünen, dorthin gespült. Die Rolle der Königsmacher nehmen in der ÖVP in diesem Fall gleich mehrere Landeschefs (und die eine Chefin) für sich in Anspruch. Nehammer wurde nicht Kanzler, weil er so charismatisch und zielstrebig ist, sondern weil halt grad niemand anderer da war, auf den sich die schwarzen Landeshauptleute schnell einigen konnten.

Aber jetzt ist er eben einmal Kanzler. Und in wenigen Tagen soll er auch formal zum Parteichef gewählt werden. Eigentlich wäre er jetzt in der Position, Bedingungen zu stellen. Das sollte er tun. Er braucht den Spielraum, wenn er sich als Kanzler und als Parteichef ernst nimmt: sein Team, seine Regeln, seine Arbeit, seine Verantwortung. Und beim Blick in den Spiegel tut es sicher auch gut, die Fäden als Marionette eines ohnedies schwer angeschlagenen Parteiapparats durchtrennt zu haben. (Michael Völker, 10.5.2022)