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Einige der geflüchteten ukrainischen Mädchen und Buben gehen bereits in den Kindergarten (Sujetbild, weil die Kinder nicht fotografiert werden dürfen).

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Darja zieht ein Gesellschaftsspiel aus dem Holzregal und setzt sich damit auf einen der runden, grauen Teppiche, die auf dem Boden liegen. Eine Pädagogin geht neben ihr in die Hocke. "Möchtest du das spielen?", fragt sie und sieht das Mädchen mit den blonden Haaren an. Es nickt. Das Spiel heißt "Lotti Karotti" und ist das Lieblingsspiel ihres Cousins Aleks, der neben ihr sitzt. Die Spieler decken Karten auf, um mit ihren Hasen den Berg hinaufzuhüpfen. Wer als Erstes mit seinem Hasen bei der Karotte ankommt, hat gewonnen. Die Pädagogin zieht den Deckel von dem Karton, Darja holt eine gelbe Spielfigur heraus und stellt sie auf das Spielbrett. Aleks hat sich die blauen Hasen ausgesucht.

Seit drei Wochen gehen Darja und Aleks in den Kindergarten im dritten Wiener Gemeindebezirk, gemeinsam mit zwei weiteren Kindern aus der Ukraine. Insgesamt sind in Wiens städtischen Kindergärten derzeit 192 ukrainische Kinder eingeschrieben. Wie viele private Kindergärten besuchen, dazu gibt es keine Zahlen.

Die Eingewöhnung im Kindergarten funktioniert wie bei jedem anderen Kind auch: An den ersten Tagen sind die Eltern dabei – fühlt sich das Kind dann wohler, spielt es mit den anderen Kindern und weint nicht mehr, verlassen Mama und Papa für wenige Minuten den Raum. Die Dauer wird immer weiter verlängert, bis sie irgendwann ein paar Stunden wegbleiben. Bei den ukrainischen Kindern habe die Eingewöhnung problemlos funktioniert, sagt die Pädagogin Miriam Geisberger. "Sie sind definitiv angekommen." Wobei die Situation für die vier Kinder aber auch nicht gänzlich neu sei – sie seien schon in der Ukraine im Kindergarten gewesen. Was ihnen auch dabei helfe, sich wohlzufühlen: die Offenheit und Hilfsbereitschaft der anderen Kinder. "Sie zeigen ihnen, wo das Frühstück ist oder wo ihre Lade ist. Sie fragen sie, ob sie ihnen helfen sollen."

Noch kein Deutsch

Da die Kinder noch kein Deutsch sprechen, würden sie sich in den Übergangssituationen manchmal noch unwohl fühlen – wenn es etwa Essen gibt oder die Gruppe in den Garten geht. "Einmal hat ein Mädchen so geweint, weil sie nicht gewusst hat, was passiert", schildert Geisberger. Dann habe sie ihr ein ukrainisches Kinderlied vorgespielt, "und es ist ihr besser gegangen".

Erst langsam beginnen die Kinder zu verstehen, was die Pädagoginnen ihnen sagen. Geisberger nimmt es gelassen: Wenn sie mit Sprache nicht weiterkommt, kommuniziert sie mit Händen und Füßen. Auch die Kinder könnten sich ohne Worte verständigen und würden ihr zeigen, was sie gerade brauchen. "Sie tippen mich an, wenn etwas ist, oder deuten auf den Radio, wenn sie ein Lied hören wollen", sagt Geisberger. Das Glück: In dem Kindergarten gibt es eine Kollegin, die Russisch spricht, was viele verstehen. So können kompliziertere Angelegenheiten geklärt werden.

Eine Sprachförderkraft gibt es in dem Kindergarten nicht, die Pädagoginnen fördern die Kinder selbst in Deutsch. "Wir machen das auch so, dass wir uns Bücher in Deutsch/Ukrainisch ausborgen. " Auch Vorlesen, Reime oder Spiele wie etwa "Memory" würden beim Lehren der Sprache helfen.

Umgang mit Traumata

Die Einschreibung für einen Kindergarten der Stadt Wien funktioniert über eine Servicestelle. Je nach Wohnort und freien Plätzen werden die Kinder einem Standort zugeteilt. Bei der Anmeldung fragt Michaela Pexider, die den Kindergarten im dritten Bezirk leitet, ob die Kinder eine speziell schlimme Erfahrung hinter sich haben, ob es ein Trauma gibt, von dem die Pädagoginnen wissen sollten. Wenn ja, wird eine Psychologin oder ein Krisenteam zurate gezogen.

Bisher seien jedoch ausschließlich Kinder da, die stabil wirken, sagt Pexider. Sie hat bereits 2015, als viele syrische Flüchtlinge ankamen, einen Kindergarten geleitet, und erzählt: "Die Kinder hatten massive Traumata, die sich auch im Spielverhalten gezeigt haben." Sie hätten Szenarien aus dem Krieg oder von der Flucht nachgespielt. Wenn sie sich ärgerten, etwa weil ihnen ein anderes Kind einen Ball wegnahm, hätten sie übermäßig traurig oder aggressiv reagiert.

Das bemerke sie bei den ukrainischen Kindern nicht. Allerdings seien ihre Eltern ganz offensichtlich belastet. "Manchmal stehen bei uns weinende Mütter in der Tür." Auch bei der Einschreibung habe sie bemerkt, dass die Mütter und Väter meist viel am Handy sind und Nachrichten checken. Sie bemühe sich, immer ein offenes Ohr für sie zu haben und ihnen mit viel Empathie und Wertschätzung zu begegnen. Die Eltern seien sehr dankbar, dass ihre Kinder in den Kindergarten gehen können. Die gewonnene Zeit würden sie für Amtswege, einen Deutschkurs oder die Jobsuche nutzen. (Lisa Breit, 16.5.2022)