Am 15. Mai dieses Jahres wird Arthur Schnitzlers 160. Geburtstag gefeiert. Zu diesem Anlass blickt die Literaturwissenschafterin Konstanze Fliedl im Gastblog auf das Leben des Autors. Die Stimme des Schriftstellers, aufgenommen 1907 im Phonogrammarchiv der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien, ist hier zu hören.

1862 wurde Arthur Schnitzler als Sohn eines prominenten Vaters geboren: Johann Schnitzler, im ungarischen Groß-Kanizsa als Sohn eines Tischlers auf die Welt gekommen, verdiente sich sein Medizinstudium als Hauslehrer und übernahm 1880 die Leitung der von ihm mitbegründeten Allgemeinen Poliklinik in Wien. Dass sein ältester Sohn in seine Fußstapfen treten sollte, war für den Selfmademan ausgemacht.

Arthur Schnitzler, 1885
Foto: Josef Löwy (ÖNB)

Medizin und Poesie

Nicht so für Arthur Schnitzler selbst: Im auf Wunsch des Vaters aufgenommenen Medizinstudium fühlte er sich "versplittert", hin- und hergerissen zwischen Wissenschaft und Poesie. Nach der Promotion 1885 verschärfte sich der Konflikt zwischen der väterlichen Dominanz und den eigenen Neigungen noch, zumal als er ab 1889 erste literarische Beiträge publizierte. 1890 fand sich dann eine lockere Gruppierung von Autoren zusammen, darunter Hugo von Hofmannsthal und Richard Beer-Hofmann, die als "Jung-Wien" in Erscheinung treten sollte. Aber erst 1893, nach dem Tod seines Vaters, hat sich Schnitzler endgültig für eine Schriftstellerlaufbahn entschieden.

Dramaturgie der Seele

Schon Ende 1892 war ein Einakterzyklus erschienen, der als typisch für Schnitzlers Frühwerk gelten sollte: eine lose Episodenreihe um den Lebemann Anatol und dessen zahlreiche Affären. Schnitzlers turbulentes Privatleben in diesen Jahren hat freilich dazu beigetragen, den Habitus der Figur auf ihren Autor zurückzuführen. Aber obwohl er selbst die männlichen Privilegien seiner Zeit in Anspruch nahm, haben seine Texte die geschlechtsspezifischen Asymmetrien in eroticis durchaus kritisch reflektiert. Das Schauspiel "Liebelei", mit dem Schnitzler 1895 der Durchbruch als Dramatiker gelang, führte außerdem ein charakteristisches soziales Gefälle ein: das zwischen den privilegierten Söhnen der Bourgeoisie und ihren kleinbürgerlichen Partnerinnen.

Büste Arthur Schnitzlers von Paul Peschke im Wiener Türkenschanzpark.
Foto: Daniela Angetter-Pfeiffer

Darüber hinaus zogen vor allem Schnitzlers Prosatexte durch profunde Einsichten in seelische Mechanismen die Aufmerksamkeit auf sich. Als Erzähler reüssierte er, ebenfalls 1895, mit der Novelle "Sterben", die beim renommierten S.-Fischer-Verlag in Berlin erschien. Die Schilderung der Affekte eines Todkranken und seiner Gefährtin zeigte eine tiefenpsychologische Subtilität, die zum Charakteristikum seines Werks werden sollte.

Karriere und Krisen

In der zweiten Hälfte der 1890er-Jahre nahm Schnitzlers Laufbahn einen steilen Aufschwung. Dabei gab es um ihn aber immer wieder Kontroversen: Vor allem die satirische Monolognovelle "Lieutenant Gustl" (1900) brachte ihm wütende, antisemitisch motivierte Attacken der völkisch-nationalen Presse ein. Dennoch stieg Schnitzler im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts zum international bekanntesten österreichischen Schriftsteller auf. Das Gesellschaftsstück "Das weite Land" wurde 1911 von neun großen Bühnen des deutschen Sprachraums gleichzeitig uraufgeführt. Und 1912 feierten nicht nur die Theater Schnitzlers 50. Geburtstag; zu seinen "schönen und ernsten poetischen Schöpfungen" gratulierte niemand Geringerer als Sigmund Freud.

Schnitzler mit Suzanne Clauser und Olga, 1931.
Foto: Bildarchiv Austria der Österreichischen Nationalbibliothek

Solche Anerkennung traf zusammen mit scheinbar ungetrübtem privatem Glück. 1902 war – noch unehelich – sein Sohn Heinrich auf die Welt gekommen. Dessen Mutter, die Gesangs- und Schauspielschülerin Olga Gussmann, heiratete er 1903; 1909 wurde Tochter Lili geboren. Allerdings legt Schnitzlers Tagebuch Zeugnis davon ab, dass auch diese Jahre nicht sorgenfrei waren. Schon seit Herbst 1896 litt er unter Schwerhörigkeit und quälenden Ohrgeräuschen. Ins Jahr 1911 fiel der Tod seiner Mutter Louise Markbreiter; 1912 starb sein Berliner Regisseur Otto Brahm, und zwar während der Premiere der "Komödie" "Professor Bernhardi": Inhalt des Stücks ist eine Intrige gegen einen jüdischen Spitaldirektor, die sich ins Politische ausweitet – eine zeitlose Darstellung von Opportunismus und Populismus.

Schnitzlers Tochter Lili und ihr Ehemann Arnoldo Cappelllini, 1927.
Foto: Bildarchiv Austria der Österreichischen Nationalbibliothek

Krieg und Katastrophen

Im Ersten Weltkrieg hat sich Schnitzler, im Gegensatz zu vielen Schriftstellerkollegen, zu vaterländischer Propaganda nicht hergegeben. In postum veröffentlichten Notizen, "Und einmal wird der Friede wiederkommen", äußerte er seine Verzweiflung und Fassungslosigkeit. Der Proklamation der Republik im November 1918 stand Schnitzler dann skeptisch gegenüber; politisch votierte er für die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutschösterreichs, weil er sich von einem Regime der Christlich-Sozialen – zu Recht – nichts Gutes versprach.

In der Tat führte die Inszenierung des schon 1896/97 entstandenen Einakterzyklus "Reigen"– eine ironische Darstellung der Liebesrhetorik vor und nach dem Geschlechtsakt, und zwar quer durch die sozialen Schichten – 1921 zu einem spektakulären Theaterskandal: Der spätere Bundeskanzler Ignaz Seipel trat persönlich gegen das "Schmutzstück" auf, drei Tage später wurde die Aufführung gestürmt. Fortan spaltete sich die Rezeption Schnitzlers: Einerseits galt er als veralteter Repräsentant der untergegangenen Monarchie, andererseits wurde sein Spätwerk, etwa die Novelle "Fräulein Else" (1924), wegen der Verbindung von triftiger Psychologie und scharfer Milieubeobachtung durchaus gewürdigt.

Grabstätte von Arthur Schnitzler, seinem Bruder Julius und seinem Sohn Heinrich auf dem Wiener Zentralfriedhof, Israelitische Abteilung.
Foto: Irene Nawrocka

In die Zwischenkriegszeit fielen private Katastrophen: 1921 wurde Schnitzlers Ehe geschieden. Seine Tochter starb 1928 an den Folgen einer Schussverletzung, die sie sich selbst zugefügt hatte; diesen Verlust hat er nicht mehr überwunden. Am 21. Oktober 1931 ist Schnitzler gestorben. Die Katastrophe des "Dritten Reiches", das seine Werke umgehend auf die "Schwarzen Listen" setzte und verbrannte, musste er nicht mehr miterleben. (Konstanze Fliedl, 12.5.2022)