Teamchef Bader schmerzt die Absage der in den USA engagierten Spieler Michael Raffl und Marco Rossi nicht: "Mich schmerzt keine Absage. Ich mache mir nur Gedanken über Spieler, die da sind. Ich schaue immer nach vorne."

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Österreichs Eishockeyteam trifft ab Samstag bei der A-WM in Finnland auf Schweden (11.20 Uhr), USA, Tschechien, Norwegen, Lettland, die Gastgeber und Großbritannien. Teamchef Roger Bader blickt auf eine gelungene Vorbereitung zurück und wünscht sich hinsichtlich Etablierung in der A-Klasse eine Optimierung der "flankierenden Maßnahmen". Heißt: deutliche Verbesserung der Nachwuchsarbeit und mehr Geld im System, damit sich etwa die Klubs hauptamtliche Nachwuchstrainer leisten können.

STANDARD: Sind die Sanktionen im sportlichen Bereich gegen Russland und Belarus, die letztlich dem ÖEHV-Team erst die Teilnahme an der A-WM ermöglicht haben, gerechtfertigt?

Bader: Die Umstände, die dazu geführt haben, sind sehr bedauerlich. Der Krieg in der Ukraine ist eine Tragödie, aber wir sind dankbar für dieses Geschenk und wollen zeigen und beweisen, dass die Teilnahme zurecht erfolgt. Der Sport ist ein Mittel, Druck zu erzeugen.

STANDARD: Der Kader für die WM umfasst 25 Spieler. Mit dabei sind zwölf Neulinge. Ist genug Routine im Team?

Bader: Man muss berücksichtigen, warum es zwölf Neulinge sind. Zum einen hat es einen Generationswechsel gegeben, zum anderen haben wir wegen Corona die letzten zwei Jahre keine Weltmeisterschaft gespielt. Von den zwölf Spielern hätten sonst sicher mehrere bei einer WM gespielt.

STANDARD: Im Zuge des Testspiels in Tschechien wurde das Team von einer Lebensmittelvergiftung geschwächt. Ist die Vorbereitung trotzdem in etwa nach Ihren Vorstellungen verlaufen?

Bader: Man muss auch mit unvorhersehbaren und unangenehmen Dingen fertig werden. Das ist die Definition für mentale Stärke. Es war nicht angenehm, ich war selbst auch betroffen. Aber das ist jetzt ausgestanden. Es geht nie alles perfekt, das ist klar, aber die Vorbereitung ist grundsätzlich annähernd so verlaufen, wie ich mir das vorgestellt habe.

STANDARD: Die Leistungen in den Testspielen gegen Topnationen (0:1 gegen Schweden, 2:4 gegen Finnland, 1:4 gegen Tschechien) waren überraschend gut, auch zuletzt bei der WM-Generalprobe am Sonntag gegen Deutschland (1:3) durchaus passabel.

Bader: Passabel finde ich sehr untertrieben. In den deutschen Medien werden wir sehr gelobt, dass wir ein sehr starker Gegner waren, stärker als erwartet. Nach 56 Minuten stand es 1:1, das Spiel hätte nach beiden Seiten kippen können. Deutschland war ein glücklicher Sieger. Ich hoffe, dass wir dieses Glück dafür mal bei der WM haben. Aber die Leistung und das Auftreten waren sehr gut, wir waren den Deutschen 60 Minuten in jeder Hinsicht ebenbürtig und das ist nicht selbstverständlich. Die Niederlagen gegen die Topnationen waren erwartbar, aber wir haben auch gegen diese Teams in vielen Phasen sehr gut mitgehalten. Normalerweise haben wir gegen solche Gegner 15:45 Schüsse. Die individuelle Qualität, die diese Gegner mitbringen, vor allem bei der WM, wenn sie noch mehrere NHL-Spieler dazubekommen, ist enorm. So weit sind wir noch nicht, aber wir sind auf einem guten Weg.

STANDARD: Bei der WM gilt es sieben Spiele in zehn Tagen zu bewältigen. Das vermutlich entscheidende um den Klassenerhalt gegen Großbritannien ist allerdings erst das letzte der Gruppenphase. Welchen Turnierplan legen Sie sich zurecht?

Bader: Man soll sich nicht über Dinge aufregen, die man nicht beeinflussen kann. Es geht darum, dass wir die Einsätze gut planen und vor allem, dass wir die drei spielfreien Tage gut für Regeneration nützen. Und auch dass die Spieler zwischen den Matches gut regenerieren. Wir wollen zeigen, dass wir zurecht in der A-Gruppe sind, wollen uns oben etablieren. Und wir wollen in jedem der Spiele den Weg zum Sieg suchen. Laut Ranking ist Großbritannien der Konkurrent, den wir schlagen müssen, wenn wir unser Ziel erreichen wollen. Aber schauen wir einmal, was vorher passiert.

STANDARD: Wird man nach Möglichkeit versuchen, Kräfte zu sparen?

Bader: Nein, das funktioniert nur in der Theorie, nicht in der Praxis. Was hieße das? Absichtlich nicht in die Zweikämpfe zu gehen? Dann würden wir überfahren werden. Wir müssen ganz normal spielen. Es geht ja nicht nur um Kräfte, es geht auch darum, den Rhythmus zu finden. Wir werden jedes Spiel gleich angehen.

STANDARD: Sie sind seit 2016 Teamchef in Österreich. Wie hat sich die Mannschaft entwickelt und ist man den A-Nationen näher gerückt?

Bader: Man muss schon berücksichtigen, dass wir zwei Jahre keine WM spielen konnten. Wir haben vergangenes Jahr beim WM-Ersatzturnier in Ljubljana hervorragend performt. Ich sehe in jedem Fall eine positive Entwicklung in den letzten fünf Jahren. Wir haben die Mannschaft verjüngt, haben einen modernen Spielstil integriert. Aber es geht nicht immer nur nach oben, es gibt auch immer wieder mal Rückschläge. Wichtig ist, dass die Richtung stimmt und sie stimmt, wenn man sich ansieht, wie die Mannschaft mit vielen neuen jungen Spielern zuletzt aufgetreten ist. Ich bekomme extrem viel Lob aus dem Ausland, viel mehr als in Österreich.

STANDARD: Wie sehr schmerzen die Absagen der in den USA engagierten Spieler Marco Rossi und Michael Raffl?

Bader: Mich schmerzt keine Absage. Ich mache mir nur Gedanken über Spieler, die da sind. Ich schaue immer nach vorne. Bei einem Aufgebot für eine WM stehen nie alle Spieler zur Verfügung, die man sich vielleicht hätte vorstellen können. Aber ich muss sagen, ich bin sehr glücklich mit den Spielern, die hier sind und sehr glücklich mit dem Team, das wir zusammenstellen konnten.

STANDARD: Bedarf es einer Verbesserung der Rahmenbedingungen, um eine Eishockey-Topnation zu werden?

Bader: Wir müssen uns auf allen Ebenen verbessern, wenn wir uns zu einer ständigen A-Nation entwickeln wollen. Unsere Vision ist, eine Top-12-Nation zu werden, weil dann ist man fix in der A-Gruppe. Wenn man das erreichen will, reicht es nicht nur vom Team zu verlangen, dass sie oben bleiben, dann muss man auch die flankierenden Maßnahmen dazu ergreifen, damit man rundherum A-klassig ist. Das bedeutet, dass die Nachwuchsarbeit noch deutlich verbessert wird. Natürlich braucht es auch mehr Geld im System. Die Klubs müssen sich auch hauptamtliche Nachwuchstrainer leisten können, damit sie das Umfeld noch mehr professionalisieren können. Auch wir im Verband brauchen mehr Geld, damit wir die Programme so hochfahren können, dass sie im Einklang mit den Top-12-Nationen sind.

STANDARD: Ab kommender Saison müssen in der ICE-Liga zumindest zwölf Österreicher am Spielplan jedes Teams stehen. Ist es realistisch, noch mehr zu fordern?

Bader: Ich kämpfe seit dem ersten Tag als Teamchef dafür, dass mehr Österreicher in der Liga zum Einsatz kommen. Es gibt viel mehr Spieler, die in einer Profiliga spielen können, als allgemein wahrgenommen wird. Wenn man junge Spieler einsetzt, dann braucht man als Coach und als Verein Mut. Dann kommt der Erfolg vielleicht nicht gleich in den ersten Wochen, aber er kommt, wenn man nachhaltig arbeitet und den richtigen Coach hat dafür. Zwölf Österreicher sind ein guter erster Schritt, aber das darf noch nicht das Ende der Fahnenstange sein. Andererseits darf man auch die Klubs nicht mit einer allzu radikalen Lösung überfordern. Und Spieler dürfen aber auch nicht gratis einen Platz bekommen, sie müssen sich schon auch durch Leistung beweisen.

STANDARD: Darf man vorsichtig optimistisch auf die WM blicken oder ist sogar etwas mehr drin?

Bader: Wir müssen auf dem Boden bleiben. Nur weil wir gute Auftritte hatten, sollten wir nicht zu viel erwarten. Unser Ziel ist der Klassenerhalt, das heißt, wir wollen einen Gegner hinter uns lassen. Das streben wir an und alles andere wäre als Aufsteiger überheblich.

STANDARD: Sie stehen für Kontinuität. Ihr Vertrag läuft aber nach der WM aus. Reizt es sie, das Engagement zu verlängern?

Bader: Es ist nicht ungewöhnlich, dass rund um Großereignisse Verträge auslaufen oder verlängert werden. Ich bin mit Leib und Seele österreichischer Teamchef. Und ich glaube, man spürt auch, dass ich es mit großer Leidenschaft mache. Ich bin auch gerne Sportdirektor, halte das für eine ideale Kombination in Österreich. Ich kann mir gut vorstellen, weiterzumachen. Aber mein Fokus gilt jetzt voll und ganz der WM. (Thomas Hirner, 12.5.2022)

25-Mann-Kader für die WM in Finnland:

Tor: David Kickert (Vienna Capitals/76 Länderspiele), David Madlener (Dornbirn/52), Bernhard Starkbaum (Vienna Capitals/136)

Verteidigung: Nico Brunner (VSV/27), Dominic Hackl (Vienna Capitals/30), Dominique Heinrich (RB Salzburg/82), Erik Kirchschläger (Graz99ers/52), David Maier (KAC/27), Clemens Unterweger (KAC/54), Philipp Wimmer (RB Salzburg/9), Bernd Wolf (Lugano/SUI/46), Kilian Zündel (RB Salzburg/21)

Sturm: Oliver Achermann (La Chaux-de-Fonds/SUI/9), Benjamin Baumgartner (Lausanne/SUI/29), Nico Feldner (Sheffield Steelers/GBR/8), Manuel Ganahl (KAC/115), Lukas Haudum (KAC/78), Paul Huber (RB Salzburg/10), Marco Kasper (Rögle/SWE/4), Brian Lebler (RB Salzburg/80), Benjamin Nissner (RB Salzburg/19), Thomas Raffl (RB Salzburg/107), Peter Schneider (RB Salzburg/47), Ali Wukovits (RB Salzburg/25), Dominic Zwerger (Ambri-Piotta/SUI/47)

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Gruppe A (in Helsinki): Kanada (Platz 2 in Weltrangliste), Deutschland (9), Schweiz (6), Slowakei (8), Dänemark (10), Kasachstan (15), Italien (16), Frankreich (13)

Gruppe B (in Tampere): Finnland (1), USA (4), Tschechien (7), Schweden (5), Lettland (11), Norwegen (12), Großbritannien (18), Österreich (17)

Spielplan für das ÖEHV-Team

Samstag, 14. Mai, 11:20 Uhr: Schweden vs. Österreich

Sonntag, 15. Mai, 15.20 Uhr: Österreich vs. USA

Dienstag, 17. Mai, 15:20 Uhr: Tschechien vs. Österreich

Mittwoch, 18. Mai, 15:20 Uhr: Norwegen vs. Österreich

Freitag, 20. Mai, 19.20 Uhr: Lettland vs. Österreich

Samstag, 21. Mai, 15:20 Uhr: Österreich vs. Finnland

Montag, 23. Mai, 19:20 Uhr: Österreich vs. Großbritannien (alle live auf ORF Sport+)