Die Eliteeinheit der Gebirgsjäger genießt in Italien hohes Ansehen – das freilich nicht zum ersten Mal angekratzt wird.

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Es ging hoch her am Samstagabend während der Feier der Alpini im Adria-Badeort Rimini; die Kapelle spielte, die Menschen tanzten auf der Straße und der Meerpromenade, Grappa, Bier und Wein flossen in Strömen. Und plötzlich sah sich die 27-jährige Adriana auf der Piazza Kennedy umringt von acht bis zehn Männern, alle über 50 Jahre alt. Sie zerrten sie vor einen weißhaarigen Mann, der ihre Jacke und den BH zur Seite schob und ihr an die Brüste fasste. "Ich habe mich gewehrt und 'basta' gerufen, dann geschrien, aber die Männer haben nur gelacht. Niemand hat mir geholfen, nur meine Freundin. Ich fühlte mich erniedrigt, ich wurde behandelt, als wäre ich eine Ware im Supermarkt, ein Objekt", berichtete Adriana danach in der Zeitung "La Stampa". Alle Angreifer hätten den typischen Hut der Alpini getragen, der mit einer Feder geschmückt ist.

Vergleichbare Erniedrigungen und Demütigungen haben an dem Wochenende in Rimini auch dutzende andere Frauen erlitten. Über 150 weibliche Opfer berichteten nach der Militärfeier von Grapschereien, obszönen Gesten, Anzüglichkeiten, lästigen Komplimenten. Die 34-jährige Hotelrezeptionistin Azzurra berichtete, dass sie von zwölf angetrunkenen Gebirgsjägerveteranen in der Hotellobby eingekreist und aufgefordert worden sei, mit ihnen duschen zu gehen. "Zum Glück war auch noch einer meiner Kollegen anwesend – ich weiß nicht, wie das ausgegangen wäre ohne ihn", sagte Azzurra. Die Schilderungen erinnern an die massenhaften sexuellen Übergriffe in der Silvesternacht 2015 in Köln und 2022 auf der Piazza Duomo in Mailand – auch wenn in Rimini offenbar weniger physische Gewalt angewendet wurde.

Betretenheit in der Politik

Eigentlich handelt es sich bei den Alpini um eine Einheit, die in großen Teilen der Bevölkerung hohes Ansehen genießt. Die Truppe der Gebirgsjäger feiert in diesem Jahr ihr 150-jähriges Bestehen: Ursprünglich sollten die Alpini die Grenzen des italienischen Königreichs gegen die nördlichen Nachbarn Österreich-Ungarn, die Schweiz und Frankreich schützen; während der Kolonialkriege des italienischen Königs und dann während des Ersten und Zweiten Weltkriegs wurden sie aber als besonders kampfstarke Truppe auch auf anderen Schlachtfeldern eingesetzt, insbesondere in Afrika. Bei ihrer dreitägigen Versammlung in Rimini waren rund 80.000 Veteranen und aktive Alpini anwesend, mehrere Hunderttausend Fans und Schaulustige reisten aus dem ganzen Land an.

Auf der Ehrentribüne saßen Minister aus Rom und hochrangige Regionalpolitiker. Staatspräsident Sergio Mattarella lobte die Einheit in einer Grußbotschaft für ihre "Brüderlichkeit und Solidarität", die ihren "Einsatz für das Land immer gekennzeichnet" hätten. Umso größer ist nun die Betroffenheit und Betretenheit in der Politik – zumal in einer Zeit, in der in der Ukraine Massenvergewaltigungen seitens russischer Soldaten Schlagzeilen machen. "Das Verhalten, das von einigen Frauen geschildert wurde, ist äußerst gravierend und steht im Gegensatz zu den Werten der Einheit", betonte Verteidigungsminister Lorenzo Guerini, der in Rimini ebenfalls anwesend gewesen war. Gleichzeitig warnte er vor Verallgemeinerung und davor, wegen der Vorfälle nun die ganze Truppe in Sippenhaft zu nehmen.

Bei Menschenansammlungen "normal"?

Heruntergespielt wurden die sexuellen Übergriffe von der nationalen Alpini-Vereinigung ANA: Es sei normal, dass es bei derartigen Menschenansammlungen zu "Episoden von schlechter Erziehung" kommen könne. ANA-Präsident Sebastiano Favero wies darauf hin, dass bisher bei der Polizei "keine Anzeigen" eingegangen seien – nach dem Motto: Wird schon nicht so schlimm gewesen sein. Das feministische Kollektiv Non Una di Meno, das die unzähligen Berichte über die sexuellen Übergriffe sammelt und das am Montagabend in Rimini eine Protestkundgebung organisiert hat, ist entsetzt: "Wer die Vorfälle als 'schlechte Erziehung' bezeichnet, hat nicht begriffen, wie der Körper der Frau durch solche Übergriffe zur Ware reduziert wird", betont das Kollektiv und kündigte an, dass ganz sicher noch Anzeigen eintreffen würden – "wegen schwerer Straftaten".

Zur Verharmlosung der Vorfälle besteht auch deshalb kein Anlass, weil die Truppe am vergangenen Wochenende nicht das erste Mal wegen sexueller Übergriffe in die Kritik geraten ist: Fast bei jeder der jüngsten Versammlungen der Alpini hat es entsprechende Klagen gegeben, wenn auch in weniger drastischem Ausmaß als in Rimini. Immer wieder machen Angehörige der Einheit auch Schlagzeilen mit Sympathien für den Faschismus und Mussolini. Unter dem Diktator war die Truppe, wie zuvor schon in den Kolonialkriegen in Afrika, auch für Deportationen und Kriegsverbrechen verantwortlich gewesen. (Dominik Straub, 11.5.2022)