Schachlegende Garri Kasparow lässt am Brett die Gehirnzellen rauchen. Gegen das Rechenmonster Deep Blue war auf lange Sicht trotzdem kein Kraut gewachsen.

Foto: imago/UPI Photo

Nach 19 Zügen war alles vorbei. Zum Schock des Publikums.

Foto: APA/AFP/STAN HONDA

Garri Kasparow hatte Zweifel. Konnte er, der so begnadete Schachweltmeister, tatsächlich gegen einen Blechtrottel verlieren? Der Russe verdächtigte seine Gegner der Trickserei. Derlei Kreativität könne nur einem menschlichen Gehirn entsprungen sein. Aber im Mai 1997 ging es mit rechten Dingen zu. Die Schachmaschine Deep Blue bezwang den Champion in einem Wettstreit über sechs Partien unter Turnierbedingungen. Der US-Hersteller IBM hatte der Kiste Leben eingehaucht – und Kasparow die Fähigkeiten des Rechenmonsters geradezu fahrlässig unterschätzt.

25 Jahre später ist das Duell zwischen Mensch und Maschine längst entschieden. Computer sind auch von den besten Großmeistern nicht mehr zu bezwingen. Game over, sozusagen. "Sie laufen mit einem Ferrari auch nicht um die Wette", sagt Walter Kastner, der Generalsekretär des österreichischen Schachbundes, dem STANDARD. Die Überlegenheit der Software wird anerkannt, die Niederlage eingestanden: "Die Maschine ist nicht mehr Gegner, sondern ein willkommener Trainingspartner."

In Sicherheit

1997 aber wähnte sich Garri Kasparow noch in Sicherheit. Nach eigener Aussage wollte er in New York die "Ehre der Menschheit" verteidigen. Die Überheblichkeit kam nicht von ungefähr. Ein Jahr zuvor hatte der Russe in Philadelphia die Oberhand behalten. "Am Anfang war der Horizont der Maschinen auf sechs, sieben Züge beschränkt", sagt Kastner, "das Matt im achten Zug wurde jedoch übersehen."

BBC News

Solche strategischen Schwächen wurden Deep Blue von den Entwicklern ausgetrieben. Mit seinen zwei jeweils zwei Meter hohen Türmen berechnete der Supercomputer bis zu 200 Millionen Stellungen in einer Sekunde.

Keine Schwäche

Kasparow ortete trotzdem eine vermeintliche Schwäche in der Programmierung. Der beste Spieler seiner Generation wagte eine Eröffnung, die er zuvor nur in Begegnungen gegen seinen Landsmann Anatoli Karpow eingesetzt hatte. Was ein Jahr zuvor noch durchgegangen wäre, ging diesmal schief. Deep Blue war vorbereitet, hatte sich eingestellt. Und Kasparow musste eine der flottesten Niederlagen seiner Karriere hinnehmen. Nach 19 Zügen war Schluss mit lustig.

Die erste Niederlage eines Champions gegen einen Computer läutete eine Zeitenwende ein. "Danach ging alles sehr schnell", sagt der österreichische Großmeister Markus Ragger. Die Programme wurden im Eiltempo besser, die Strategien immer ausgereifter. Mit Alphazero sei das Computerschach in den vergangenen Jahren schließlich auf ein neues Niveau gehoben worden.

Ohne Mentor

Alphazero ist ein Multitalent. Das Programm spielt Schach, Shōgi und Go in phänomenaler Stärke. Andere Maschinen ziehen den Hut, überlassen der Engine kampflos das Brett. Der Clou an der Sache: Alphazero benötigt keinen Mentor. Die Spielregeln wurden der Maschine erklärt – anschließend hat sie Millionen Male gegen sich selbst gespielt. Und ihr wurde dabei niemals langweilig. Learning by Doing auf allerhöchstem Niveau.

DeepMind

"Alphazero hat dem Spiel neue Perspektiven gegeben", sagt Ragger. Das Programm liefert den Profis immer wieder neue Ideen. Beispiel gefällig? Unter Großmeistern war es lange verpönt, Randbauern in die Eröffnung einzubinden. Nun ist das Tabu gefallen. Ragger: "Der Computer bringt Opfer, deren Kompensationen zunächst in keiner Weise ersichtlich sind." Also zusehen, staunen und lernen.

Und was wurde aus den erbitterten Kontrahenten Garri Kasparow und Deep Blue? Kasparow ist als russischer Oppositionsaktivist tätig, er gilt als einer der schärfsten Kritiker von Präsident Wladimir Putin. Deep Blue wurde nach dem historischen Erfolg zerlegt, Teile sind im Smithsonian in Washington und im Computer History Museum im Silicon Valley ausgestellt. Ein wohlverdienter Ruhestand. (Philip Bauer, 11.5.2022)