"Go home Gota" steht auf dem Stirnband eines Demonstranten am Dienstag. Präsident Gotabaya Rajapaksa ist aber – anders als der Premier des Landes – bis dato nicht zurückgetreten.
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Colombo – Nach den tödlichen Ausschreitungen in Sri Lanka haben die Behörden den Schießbefehl erteilt, um weitere Unruhen zu unterdrücken. Die Sicherheitskräfte seien angewiesen worden, auf jeden zu schießen, der öffentliches Eigentum plündert oder Menschenleben gefährdet, erklärte das Verteidigungsministerium am Dienstag. Am Vortag war bereits eine Ausgangssperre verhängt worden, der sich die Menschen vielerorts jedoch widersetzten.

So schoss die Polizei an zwei Orten in die Luft, um Gruppen von Menschen auseinanderzutreiben, die Fahrzeuge anzünden wollten. Zuvor hatte eine Menschenmenge ein Fahrzeug angegriffen und in Brand gesetzt, in dem der ranghöchste Polizist der Hauptstadt Colombo saß. Am Dienstag wurde außerdem ein Luxushotel in Brand gesetzt, das einem Verwandten des zurückgetretenen Ministerpräsidenten Mahinda Rajapaska gehören soll.

Schrittweise Verschärfungen am Dienstag

Zuvor hatte die Regierung des umstrittenen Präsidenten Gotabaya Rajapaksa die Polizei und das Militär mit Notfallsonderbefugnissen ausgestattet. Menschen konnten damit ohne Haftbefehl in Gewahrsam genommen werden, wie die Regierung am Dienstag mitgeteilt hatte. Das Militär muss Festgenommene zudem erst nach 24 Stunden an die Polizei übergeben. Außerdem sind Zwangsdurchsuchungen von Privatanwesen erlaubt.

Bereits am Montag wurde eine inselweite Ausgangssperre bis Mittwochfrüh angeordnet, nachdem der Präsident am Freitag den Notstand verhängt hatte. In der Nacht auf Dienstag hielt die Armee protestierende Regierungskritiker davon ab, die Residenz des zurückgetretenen Premiers Mahinda Rajapaksa zu stürmen. Sie setzten dazu Tränengas ein und gaben Warnschüsse ab, wie die Polizei mitteilte. Insgesamt wurden im Zuge der Proteste mehr als 70 Häuser und Büros von Mitgliedern der Familie des Premiers und des Präsidenten Gotabaya Rajapaksa, seines Bruders und Ex-Regierungschefs, sowie von ehemaligen Ministern und Abgeordneten angezündet. Sie brannten komplett nieder. Überdies seien mehr als 150 Fahrzeuge beschädigt worden.

Auch Rücktritt des Präsidenten gefordert

Der Premier habe seine Residenz verlassen, hieß es. Er war am Montag inmitten von Antiregierungsprotesten angesichts der schlimmsten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten zurückgetreten. In dem Staat mit etwa 22 Millionen Einwohnern mangelt es an Treibstoff, Lebensmitteln und Medikamenten. Dem hochverschuldeten Land fehlt das Geld für Importe. Der Rücktritt hat viele Protestierende allerdings nicht besänftigt. Sie fordern weiter auch den Rücktritt des Präsidenten.

Kurz vor dem Rücktritt stießen Antiregierungsdemonstranten und Anhänger der Regierung am Montag zusammen. Es gab nach Polizeiangaben seit Montag mindestens sechs Tote, mehr als 200 Verletzte wurden in ein Krankenhaus gebracht. Anschließend verkündete das Verteidigungsministerium eine Ausgangssperre und forderte die Menschen auf, vorerst zu Hause zu bleiben. Ausnahmen gebe es nur für Menschen in unverzichtbaren Berufen, etwa im Gesundheitssektor, in der Telekommunikation, in den Medien oder im Export, hieß es.

Offenbar Parlamentsmitglied gestorben

Die EU kritisierte scharf, dass Gewalt gegen die Demonstrantinnen und Demonstranten angewendet worden sei. "Die EU verurteilt den jüngsten brutalen Angriff auf friedliche Demonstranten in Colombo, der weitere Gewalt auslöste", teilte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Dienstag mit. Ein Monat friedlicher Demonstrationen habe – trotz einiger vereinzelter Zwischenfälle – gezeigt, dass die Menschen in Sri Lanka in der Lage seien, ihr Recht auf freie Meinungsäußerung friedlich auszuüben.

Nach Angaben von Borrell ist auch ein Mitglied des Parlaments gestorben. Die EU bedauere den Verlust von Menschenleben und die hohe Anzahl Verletzter und rufe alle Parteien dazu auf, keine Gewalt zu nutzen. Borrell forderte im Namen der EU zudem die Behörden dazu auf, Ermittlungen einzuleiten und die für die Gewalt Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

Neuer Premier noch nicht bestimmt

Am Dienstag nun sollen sich Abgeordnete im Parlament treffen, um einen neuen Premierminister zu bestimmen. Mit dem Rücktritt des Regierungschefs verloren auch alle Minister ihre Posten. Wenn ein neuer Premierminister bestimmt ist, soll der Präsident neue Minister auswählen. Diese sollen dann eine Übergangsregierung stellen.

Sri Lankas Regierung zahlt ihre hohen Schulden vorerst nicht zurück und will diese umstrukturieren. Das Land steht in Gesprächen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und hofft auf weitere finanzielle Hilfe aus China und Indien. (APA, 10.5.2022)