UN-Generalsekretär António Guterres (Mitte) traf in Wien unter anderem Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer (rechts) und Außenminister Alexander Schallenberg (links).

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Der Krieg in der Ukraine stand am Mittwoch im Mittelpunkt des Besuchs von UN-Generalsekretär António Guterres in Wien. Die russische Invasion habe "massive Verwüstung, Zerstörung und Leid in dem Land verursacht", sagte Guterres im Anschluss an ein Treffen mit dem österreichischen Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen auf der gemeinsamen Pressekonferenz. Die Chance auf erfolgreiche Friedensverhandlungen schätzt Guterres derzeit als gering ein. Daher würden sich die Vereinten Nationen nun vor allem auf die Evakuierung von Zivilistinnen und Zivilisten sowie die Einrichtung humanitärer Korridore konzentrieren. Darüber hinaus suche man aktiv nach Wegen, um Nahrungsmittel aus der Ukraine auf die Weltmärkte zu bringen.

Dennoch: Dieser Krieg werde "nicht ewig dauern", so Guterres. Wenn der Moment für Friedensverhandlungen komme, dann müsse man ihn nützen – und sein Büro werde dafür bereitstehen: "Wir dürfen nie die Hoffnung verlieren und müssen alles tun, um diesen sinnlosen Krieg zu beenden." Van der Bellen erklärte seinerseits, auch Österreich werde als neutraler Staat alles tun, um seine Vermittlerdienste anzubieten.

Beide Politiker warnten aber auch davor, vor dem Hintergrund des aktuellen Krieges den Kampf gegen den Klimawandel aus dem Blick zu verlieren. Eine Lehre könne man aus dem Konflikt jedoch ziehen: Man sei umso besser gegen Energiekrisen geschützt, je früher man sich aus der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen befreie.

Evakuierungen und Ernährungssicherheit

Am Nachmittag traf Guterres auch mit Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer und Außenminister Alexander Schallenberg zusammen. Mit Blick auf die Evakuierung von Zivilisten und den Einsatz für Ernährungssicherheit versicherte Guterres, dass es auch weitere Bemühungen in diese Richtung geben werde. Dabei erinnerte er an die Rettung von Zivilisten aus Mariupol – und in diesem Zusammenhang auch an seine Besuche in Moskau und Kiew. "Wir werden mehrere solche Operationen durchführen, sie aber nicht öffentlich machen, bevor sie abgeschlossen sind", so Guterres. Gefragt nach der Sinnhaftigkeit seiner eigenen Reise nach Moskau, betonte Nehammer einmal mehr: "Es kann aus meiner Sicht nicht ein Gespräch zu viel geben, sondern nur eines zu wenig".

In Wien geht am Donnerstag und Freitag ein Treffen aller Teilorganisationen der Vereinten Nationen über die Bühne. "Die Weltgemeinschaft ist zu Gast in Wien, und darüber freuen wir uns", erklärte Außenminister Schallenberg auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit Nehammer und Guterres. Wien sei "der östlichste Sitz der Vereinten Nationen", darin sehe er anlässlich des aktuellen Krieges ein "starkes Signal". Man dürfe jedoch nicht in eine "europäische Nabelschau verfallen", sondern müsse auch "die Auswirkungen des Krieges in anderen Teilen der Welt sehen". Auch andere Gesprächsteilnehmer verwiesen auf die bedrohlichen Folgen für die Ernährungssicherheit in besonders vulnerablen Ländern, vor allem in Afrika.

UN als Krisenfeuerwehr

Unter allen UN-Institutionen ist es in der Regel der Sicherheitsrat, der in Krisensituationen im Fokus des Interesses steht. Seine völkerrechtlich bindenden Resolutionen sind ein mächtiges Instrument in der internationalen Politik, das auch den Einsatz militärischer Gewalt legitimieren kann. Gleichwohl wird der Sicherheitsrat häufig als "zahnlos" bezeichnet, weil seine fünf ständigen Mitglieder – die USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien – Beschlüsse mit ihrem Vetorecht blockieren können. Sie haben damit wesentlich mehr Macht als die zehn nichtständigen Mitglieder, die jeweils auf zwei Jahre gewählt werden und über kein Vetorecht verfügen.

Im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine kann also der Aggressor Russland jedwede Resolution des Sicherheitsrates verhindern, die den eigenen Interessen zuwiderläuft. Umso aufmerksamer wurde vergangene Woche zur Kenntnis genommen, dass sich das Gremium erstmals in dem Konflikt auf eine gemeinsame Stellungnahme geeinigt hatte. Darin zeigte sich der Sicherheitsrat "besorgt" über die Lage in der Ukraine, begrüßte die Vermittlungsbemühungen von UN-Generalsekretär António Guterres und erinnerte daran, dass sich alle Mitgliedsstaaten verpflichtet haben, Streitigkeiten mit friedlichen Mitteln beizulegen.

Die Erklärung galt zwar als Minimalkompromiss, Fachleute sprachen dennoch von einem Hoffnungsschimmer für die weitere Zusammenarbeit innerhalb des Sicherheitsrates. "Nach dem Treffen des UN-Generalsekretärs mit Russlands Präsident Wladimir Putin ist das ein Signal, dass Russland und der Westen bereit sind, Guterres eine Chance für mehr Shuttle-Diplomatie zu geben", sagte etwa der UN-Experte Richard Gowan vom Thinktank Crisis Group.

Gestärkte Generalversammlung

Eine Verurteilung seines Angriffskriegs durch den Sicherheitsrat hatte Russland zuvor freilich verhindert. Eine solche wurde allerdings von der UN-Generalversammlung in zwei Erklärungen mit überwältigender Mehrheit verabschiedet. In ihr sind alle Mitgliedsstaaten vertreten, rechtsverbindliche Beschlüsse kann sie jedoch nicht fassen.

Auch in anderen Bereichen kam es im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine zu Änderungen in den Strukturen der Vereinten Nationen. So hatte etwa die Generalversammlung Russlands Mitgliedschaft im UN-Menschenrechtsrat im April ausgesetzt, unmittelbar danach erklärte Moskau seinen Austritt aus dem Gremium. Am Dienstag dieser Woche wurde anstelle Russlands nun Tschechien als neues Mitglied in den Menschrechtsrat gewählt.

Und auch in die Geschäftsordnung der UN ist Bewegung gekommen: Auf Antrag von Liechtenstein wurde kürzlich eine Initiative verabschiedet, der zufolge sich die Generalversammlung künftig automatisch mit Vetos im Sicherheitsrat befassen muss. Man erhofft sich dadurch einen größeren Rechtfertigungsdruck auf die ständigen Mitglieder bei der Ausübung ihres Vetorechts. (Gerald Schubert, 11.5.2022)