Nicht weit von der Küste der Ostantarktis entdeckte ein Forschungsteam einen bisher unbekannten See unter dem Eisschild.
Foto: Shuai Yan/UT Jackson School of Geosciences

Dass in der kältesten Region der Erde überhaupt irgendwo flüssiges Wasser vorhanden ist, klingt wie ein kleines physikalisches Wunder. Tatsächlich kennt man inzwischen sogar fast 400 subglaziale flüssige Seen unter dem kilometerdicken Eisschild der Antarktis. Der mit Abstand größte unter ihnen ist der 250 Kilometer lange und 50 Kilometer breite Wostok-See. Die übrigen bisher vermessenen subglazialen Seen erreichen nur einen Bruchteil dieser Ausmaße. Das fast 4.000 Meter unter dem Eisschild liegende Gewässer ist damit zugleich auch die gewaltigste von der Außenwelt abgeschnittene Wasseransammlung der Erde.

Trotz Minusgraden flüssig

Warum das Wasser trotz seiner Temperatur von minus 3 Grad Celsius nicht gefriert, ist die Folge mehrerer Faktoren. Zum einen isoliert der Eisschild den See gegenüber den tiefen Minustemperaturen der Oberfläche, vom Gestein darunter steigt dagegen Wärme auf. Darüber hinaus senkt der große Druck, den die darüber liegenden Eismassen durch ihr Gewicht ausüben, den Gefrierpunkt des Sees um mehrere Grad. Und schließlich dürfte ein erhöhter Salzgehalt der Wasserblase den Gefrierpunkt zusätzlich reduzieren.

Der Wostok-See wurde Anfang der 1970er-Jahre entdeckt, schon damals schlossen die Forschenden aus ihren Messungen, dass der See bereits seit mehr als 30 Millionen Jahren existiert. Völlig isoliert dürften die 5.400 Kubikkilometer Wasser die letzten 13.000 bis eine Million Jahre gewesen sein. 2012 und 2015 sind russische Wissenschafter bei Bohrungen angeblich bis zu dem See unter dem Eis vorgedrungen. Untersuchungen der aus der Tiefe heraufgeholten Proben auf mögliche Lebewesen blieben weitgehend ohne klares Ergebnis.

Der neu entdeckte subglaziale See namens Snow Eagle liegt im Osten der Antarktis unter dem Eisschild von Prinzessin-Elisabeth-Land.
Illustr.: University of Texas Institute for Geophysics

Am Grund eines Canyons

Nun haben Forschende einen weiteren bisher unbekannten riesigen Wasserkörper unter dem Eis der Ostantarktis entdeckt. Vermutungen, dass dort unter den Gletschern von Prinzessin-Elisabeth-Land etwas sein könnte, hatte das Team um Don Blankenship und Shuai Yan von der University of Texas schon länger. Den Anlass dazu gaben Satellitenbilder, die eine merkwürdige Vertiefung in dem ansonsten gleichförmigen Hochland enthüllten.

Radar- sowie Gravitations- und Magnetfeldmessungen per Flugzeug öffneten den Forschenden im Verlauf von drei Jahren schließlich einen detaillierten Blick tief unter den Eispanzer – und bestätigten den Verdacht: In 3,2 Kilometern Tiefe, am Grund eines vollständig mit Eis gefüllten Canyons, erstreckte sich ein 48 Kilometer langer, 15 Kilometer breiter und durchschnittlich 200 Meter tiefer See. Das sind rund 21 Kubikkilometer, errechnete die Gruppe, was etwa dem halben Inhalt des Bodensees entspricht (oder rund 200 Milliarden Badewannen).

Was hier aussieht wie Elefantenhaut, ist in Wahrheit das Ergebnis eines Radarscans. Die Radarflüge offenbarten den versteckten See am Grund eines Canyons in 3.200 Metern Tiefe.
Foto: RADARSAT/European Space Agency

Geologischer Schatz unter Lake Snow Eagle

Einen besonderen geologischen Schatz haben die Forschenden unmittelbar unter dem Snow Eagle getauften See ausgemacht. Wie das Team im Fachjournal "Geology" schreibt, existiert dort eine gut 300 Meter dicke uralte Sedimentschicht, die dabei helfen könnte, einige lange diskutierte Fragen der Klimageschichte zu beantworten.

Da der See relativ nahe an der Küste liegt, könnten die Ablagerungen Informationen darüber enthalten, wie der mächtige ostantarktische Eispanzer vor über 34 Millionen Jahren entstanden ist und ob der antarktische Zirkumpolarstrom, eine den Kontinent ringförmig umgebende Meeresströmung, dabei eine Rolle gespielt haben könnte.

Uraltes Klimaarchiv der Ostantarktis

Am Grund dieses subglazialen Sees würde man wahrscheinlich ein Archiv der gesamten Geschichte des ostantarktischen Eisschilds vorfinden, meinte Blankenship. Spannend dürfte es vor rund 10.000 Jahren geworden sein. Damals begann sich der Eisschild erheblich zu verändern – warum, das war bisher weitgehend unklar. Die Forschenden hoffen, mithilfe der Sedimente darauf Antworten zu finden, und planen bereits, den unter dem Eis verborgenen See anzubohren. (tberg, 12.5.2022)