Der Rechtswissenschafter Michael Ganner und die Rechtswissenschafterin Samantha Pechtl zeigen im Gastblog, warum wir ein Grundrecht auf Natur brauchen und welche Rechte, die Natur zu nutzen, wir jetzt schon haben.

Wer verbringt nicht gerne Zeit in der Natur? Die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen haben diese Art der Freizeitgestaltung noch attraktiver gemacht. Sie verdeutlicht uns eindrücklich, wie wichtig der freie und öffentliche Zugang zur Natur für unsere Gesundheit ist. Egal ob im Wald, in den Bergen oder an den Seen – immer mehr Menschen halten sich draußen auf. Diesen Trend belegen etwa die stetig ansteigenden Verkaufszahlen am Fahrradmarkt sowie die wachsenden Umsatzzahlen in Wintersportregionen.

Widerstreitende Interessen

Für große Teile der Bevölkerung ist die Nutzung der Natur ein wichtiger Faktor für eine hohe Lebensqualität. Für die Grundeigentümer sind Naturliebhaber, welche ihr Hab und Gut entgegen ihrem Willen benutzen, hingegen oftmals ein Ärgernis. Unter Umständen kann es dadurch sogar zu einem unzulässigen Rechtseingriff kommen. Um billige Lösungen zu erzielen, muss man die widerstreitenden Interessen dieser beiden Gruppen daher sachgerecht abwägen.

Ausschließungsrecht des Eigentümers

Trotz des hohen gesellschaftspolitischen Stellenwerts der Regeneration in der freien Natur fehlt in Österreich ein allgemeines Recht, welches die Wegefreiheit und den Zugang zur Natur gewährleistet. Vielmehr erteilt die österreichische Rechtsordnung dem Eigentümer gemäß § 354 ABGB ein umfassendes Ausschließungsrecht. Die Allgemeinheit darf fremde Liegenschaften somit grundsätzlich nicht benützen. Demzufolge kam dem Juristen Hugo Schauer bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts der ärgerliche Gedanke, dass man beim Wandern in den Bergen eigentlich bloß "geduldet herumsteige", weil jede (auch unbebaute) Fläche einen Eigentümer hat, der das Betreten seines Grundstückes verbieten könnte.

Studie soll Klarheit und einen legislativen Denkanstoß liefern

Freilich sind selbst die Berge jemandes Eigentum. Aber welcher Wanderer fragt sich schon, ob er beim Bergwandern einen Weg benützen oder einfach über jeden "Stock und Stein" wandern darf? Das Recht, die Natur zu betreten und zu benützen, ist für die meisten von uns eine Selbstverständlichkeit. Dass es jedoch hierfür gesetzlicher Sondernormen bedarf, welche das Eigentumsrecht zurückdrängen, erscheint wohl nicht nur Erholungssuchenden oftmals vernachlässigbar.

Die Arbeiterkammern, der Alpenverein Österreich und die Naturfreunde Österreich haben die Bedeutsamkeit der zugrundeliegenden Problematik erkannt und eine Studie zum Thema "Recht auf Natur: Freier Zugang zur Natur" in Auftrag gegeben. Aufgrund dieser, von Juristen der Universität Innsbruck durchgeführten Untersuchung, wird nun eine verfassungsrechtliche Absicherung der Allgemeinheit für einen österreichweiten "freien Zugang zur Natur" gefordert.

Darf ich nun die Natur frei nutzen?

Wie präsentiert sich die Rechtslage? Zusammenfassend kann gesagt werden, dass zwar bereits vor knapp fünfzig Jahren mit § 33 ForstG ein allgemeines Betretungs- und Aufenthaltsrecht der Allgemeinheit im Wald zu Erholungszwecken positivrechtlich verankert wurde, Rechtssicherheit oder gar eine Konfliktbereinigung konnten damit jedoch leider nicht geschaffen werden. Der Umfang der Wegefreiheit im Wald, vor allem jedoch die Allgemeinnutzung von wirtschaftlich nicht genutzten Flächen (Ödland), wird nach wie vor von Grundeigentümern und Jägern in Zweifel gezogen. Die aktuellen gesetzlichen Regelungen betreffend Zugangs- und Nutzungsrechte der Allgemeinheit an Landschaftsflächen Österreichs sind unvollständig und bilden vielfach die Grundlage für Rechtsunsicherheit. Kurzum: Ob beziehungsweise inwiefern die Allgemeinheit die Natur Österreichs benutzen darf, ist rechtlich (noch) nicht ausreichend klar geregelt.

So fehlt in Salzburg, der Steiermark und Oberösterreich ein Betretungsrecht für das Ödland unterhalb der oberen Baumgrenze. Im Bergsteigerland Tirol gibt es für das gesamte (alpine) Ödland derzeit keine gesetzlich normierte Regelung, die die Nutzung dieser Flächen erlaubt. Eine Legitimierung erfolgt oftmals durch Heranziehung von Gewohnheitsrecht. Erfolgt die Nutzung seit mindestens dreißig Jahren, können sich Erholungssuchende bestenfalls auf ein Nutzungsrecht durch Ersitzung einer Dienstbarkeit berufen.

Gravierende Rechtslücken bestehen auch außerhalb des Waldes, was etwa die Nutzung von Wiesen und Weiden betrifft. Da diese Flächen vermehrt für landwirtschaftliche Zwecke verwendet werden, sind Nutzungskonflikte zwischen privatrechtlich Nutzungsberechtigten und Erholungssuchenden ausgeprägter. Ein umfassendes Nutzungsrecht der Allgemeinheit ist zwar nicht zweckentsprechend, begrenzte und substanzschonende Betretungs- und Aufenthaltsrechte wären jedoch durchaus erstrebenswert. Nach der derzeitigen Rechtslage bedarf es allerdings der Zustimmung des Grundeigentümers, der diese willkürlich erteilen und die Allgemeinheit sohin jederzeit – vorausgesetzt es wurde noch kein entsprechendes Recht ersessen – von der Nutzung ausschließen kann.

Ebenso steht dem Grundeigentümer nach derzeitiger Rechtslage die volle Verfügungsbefugnis hinsichtlich privater Seen zur Verfügung. Es liegt in dessen Belieben, ob und welche Nutzungsrechte (z.B. Baden, Bootfahren, Eislaufen, …) er der Allgemeinheit gewährt.

Wälder sind für Radfahrer grundsätzlich gesperrt.
Foto: APA/BARBARA GINDL

Gegenwärtige Konfliktfelder

Momentan sorgt vor allem das Mountainbiking für Auseinandersetzungen. Wälder sind, da das Radfahren im Wald als zustimmungspflichtiges "Befahren" im Sinne des § 33 Abs 3 ForstG gilt, für Radfahrer grundsätzlich gesperrt.

Ein Problem für die Eigentümer stellt die aktuelle Form der gesetzlichen Wegehalterhaftung dar (§ 1319a ABGB). Wegehalter, also in der Regel die Liegenschaftseigentümer, haften demnach, wenn sie einen Weg für die Allgemeinheit freigeben, für den ordnungsgemäßen Zustand des Weges. Damit sind regelmäßige Erhaltungspflichten verbunden. Eine Gegenleistung bekommen sie dafür meistens nicht. Daher ist es für sie einfacher, den Weg für die Allgemeinheit zu sperren und damit ihr Haftungsrisiko zu vermeiden. Die Möglichkeit einer Haftungsfreizeichnung – zum Beispiel durch ein Schild "Betreten auf eigene Gefahr" – in bestimmten Fällen, wenn etwa keine öffentlichen Gelder in die Errichtung und Erhaltung des Weges geflossen sind, könnte hier eine probate Lösung sein. Derzeit ist ein Haftungsausschluss rechtlich nicht möglich.

Generell ist in Österreich eine Tendenz zu restriktiven Naturnutzungsrechten zu verzeichnen. Demgegenüber sehen die Rechtsordnungen der benachbarten Alpenländer, allen voran Bayern, eine umfassendere Sozialbindung – also die Notwendigkeit von Eigentumseinschränkungen aufgrund anderer, gegenläufiger Interessen – vor. Es ist bedauerlich, dass der freie Zugang zur Natur in der österreichischen Rechtsordnung nach wie vor sehr rudimentär verankert ist. Denn das erhebliche rechtliche Defizit geht zulasten der Allgemeinheit.

Und was nun?

Angesichts der geänderten gesellschaftlichen Anforderungen ist eine Gesetzesanpassung sowohl hinsichtlich der Öffnung von Forstwegen für Radfahrer als auch hinsichtlich des alpinen Geländes dringend notwendig. Derzeit sind die Ausübung und die touristische Entwicklung gewisser Erholungstätigkeiten von privatrechtlichen Grundnutzungsvereinbarungen abhängig. Die Gründe, die gegen eine Nutzung der freien Natur sprechen, vermögen allgemeine Verbote wohl nicht (mehr) zu tragen. Vielmehr ist das umfassende Naturnutzungsinteresse der Allgemeinheit, aber auch der wirtschaftliche Faktor derart stark zu gewichten, dass das Ausschlussrecht des Eigentümers im Sinne der Sozialbindung in gewissen Maßen zurückzutreten hat.

Konflikte zwischen Grundstückseigentümern und der Allgemeinheit, die die Natur für Erholung und Sport nutzen will, sind auch durch eine verbesserte Gesetzgebung nicht völlig vermeidbar. Öffentlichkeits- und Erziehungsarbeit in Richtung eines fairen Miteinanders sowie außergerichtliche Schlichtungsstellen mit mediatorischen Verfahrensprinzipien könnten ein besseres gemeinsames Verständnis schaffen und gerichtliche Auseinandersetzungen verhindern.

Schon Jean-Jacques Rousseau hat im Zusammenhang mit der Aneignung von Landflächen festgestellt, dass die Früchte allen gehören und die Erde niemandem. (Samantha Pechtl, Michael Ganner, 13.5.2022)