Die eher übel beleumundete U6 wurde zum Tatort einer grundlosen Körperverletzung.

Foto: Andy Urban

Wien – Die U-Bahn-Linie Nummer 6 hat in Wien nicht unbedingt den besten Ruf. Auch dank Fahrgästen wie Zeid T., der mit einer Anklage wegen Körperverletzung und gefährlicher Drohung vor Richterin Julia Matiasch sitzt. Der 30-jährige Österreicher soll am 22. April einen anderen Passagier grundlos durch einen Kopfstoß verletzt und ihn mit dem Umbringen bedroht haben.

Der erst Ende Oktober zu einer bedingten Haftstrafe verurteilte Unterstands- und Arbeitslose sagt, er könne sich an nicht mehr viel erinnern, da er betrunken gewesen sei. Das erste alkoholische Getränk habe er bereits am Morgen auf dem Weg zu seiner Bewährungshelferin konsumiert. Danach habe er auf der Straße weitergetrunken, irgendwann sei er in die U6 gestiegen. Bei der Polizei sagte er nach seiner Festnahme noch: "Ich weiß noch, dass ein Mann mit mir streiten wollte", vor Matiasch hat er angeblich nicht einmal daran eine Erinnerung. Er wisse nur noch, dass er sich in einem Geschäft einen Kebab kaufen wollte und plötzlich festgenommen worden sei.

Alkoholkonsum wegen zu viel Freizeit

"Wenn Sie Alkohol trinken – werden Sie aggressiver?", will die Richterin wissen. "Das ist möglich, ja", gesteht T. ein. Matiasch blättert im Akt: "Zumindest ein Delikt bei Ihrer Vorstrafe haben Sie auch im Zustand voller Berauschung begangen. Sie wissen also schon, dass das nicht gut für Sie ist", hält die Richterin dem Angeklagten vor. "Ja, ich habe dazwischen in Deutschland gearbeitet, da habe ich nichts getrunken. Aber jetzt, wo ich halt frei hatte ...", bedauert der Angeklagte.

Der medizinische Sachverständige Christian Reiter ist allerdings davon überzeugt, dass T. keinesfalls volltrunken war und nicht mehr wusste, was er machte. Der Experte hat errechnet, dass der Angeklagte zum Vorfallszeitpunkt maximal 1,5 Promille im Blut gehabt hat. "Bei einem Wert unter zwei Promille ist in der kaukasischen Population ein Zustand voller Berauschung extrem selten", führt Reiter aus.

Das Opfer, ein 32-jähriger Familienvater, sagt aus, dass T. entweder betrunken oder unter illegalen Drogen gestanden sei. "Ich schätze mal, er ist sonst ein cooler Typ", lobt der Serbe den Angeklagten, in diesem Zustand hätte T. aber wohl jeden attackiert. Er sei auf dem Heimweg von der Arbeit gewesen, der Angeklagte habe laut mit einer Frau gesprochen. Dann sei er zu ihm gekommen, habe zwei Mal "Wos schaust so deppad?" gefragt und ihm bei der dritten Wiederholung den Kopfstoß versetzt. "Dann hat er noch gesagt. 'I stich di o, i bring die um!' und hat dabei in seine Jackentasche gegriffen", erinnert sich der Zeuge. Aus Angst habe er T., als sich die Türen in der Station öffneten, einen Fußtritt verpasst, der ihn aus der Garnitur beförderte.

Opfer erlitt Platzwunde im Mund

Er habe durch den Angriff eine Platzwunde an der Innenseite der Oberlippe erlitten, zwei oder drei Tage musste er Schmerzmittel nehmen, eine Woche lang hatte er Probleme beim Essen und Sprechen. Der Zeuge schildert auch, dass er die Polizei alarmiert habe und dem Angeklagten gefolgt sei. Der habe sich mit "kaputten Typen" vor einem Geschäft getroffen und dort offenbar mit seinem Angriff geprahlt, zumindest habe er den Kopfstoß nachgeahmt. Danach habe T. den Kebab geholt und sei festgenommen worden, bestätigt der Verletzte.

Auf dem Überwachungsvideo aus der U-Bahn ist die Attacke nur schlecht zu erkennen, klar ist aber, dass der Angeklagte aufstand, direkt zum Opfer ging und nah vor ihm stand. "Ich bin entsetzt. Es ist mir peinlich, das Opfer verletzt zu haben", ist T. nach Betrachtung der Aufnahmen betroffen. Auf Frage seiner Verteidigerin Anita Schattner bestätigt er, dass er dem Opfer 880 Euro Schmerzengeld und 99 Euro für einen bei dem Vorfall verlorenen Kopfhörer zahlen werde.

Die Möglichkeit zum Geldverdienen bekommt er vorerst aber nicht. Matiasch verurteilt ihn nämlich zu drei Monaten unbedingter Haft, knapp drei Wochen davon hat er bereits in der Untersuchungshaft verbüßt. "Ich habe eigentlich keinen Milderungsgrund gefunden, dafür zahlreiche Erschwerungsgründe", begründet sie ihre Entscheidung. Auch die Enthemmung durch Alkohol sei eigentlich ein Erschwerungsgrund, da er ja bereits einschlägig vorbestraft sei, meint die Richterin, die auch generalpräventive Gründe für eine unbedingte Haft sieht. Diese Vorstrafe widerruft sie aber nicht, sondern verlängert die Probezeit auf fünf Jahre. "Bin ich einverstanden, ja", sagt T. nach kurzer Beratung mit seiner Verteidigerin, auch die Staatsanwältin gibt einen Rechtsmittelverzicht ab, das Urteil ist damit rechtskräftig. (Michael Möseneder, 12.5.2022)