Kaum deutsches Stadttheater, dafür viel Crossover, Musik und Tanz: Christophe Slagmuylder programmiert die Festwochen.

Foto: Heribert Corn

Seine Bestellung im Juni 2018 war eine Hauruckaktion: Nach der Demontage von Tomas Zierhofer-Kin ernannte Wiens Kulturstadträtin den damaligen Leiter des Brüsseler Kunstenfestivals, Christophe Slagmuylder, zum neuen Intendanten. Nach einem improvisierten Start musste er die Festwochen durch zwei schwierige Pandemiejahre führen. Im heurigen Jahr kann Slagmuylder endlich zeigen, welche Ausrichtung er dem wichtigsten Wiener Festival verpasst.

STANDARD: Bei unserem letzten Interview sagten Sie, dass Festivals lokaler und nachhaltiger agieren werden müssen. Das war während der Pandemie. Im heurigen Festwochen-Programm ist davon wenig zu merken.

Slagmuylder: Genau das Gegenteil ist der Fall. Wir haben eine ganze Reihe von Künstlern, die im Rahmen von "Residencies" länger in der Stadt bleiben. Im Festivalformat "Mitten" treffen sie sich mit lokalen Künstlern. Es gibt darüber hinaus viele Workshops, die im Programm gar nicht aufscheinen, weil sie sich an spezielle Zielgruppen richten.

STANDARD: Lokale Künstler sind in Ihrem Programm wenige zu finden.

Slagmuylder: Auch da muss ich widersprechen. Wir arbeiten mit vielen lokalen Musikern zusammen, zum Beispiel beim Projekt "Souffle Continu" von Tarek Atoui. Dieser libanesische Künstler fertigt spezielle Musikinstrumente an. Gemeinsam mit lokalen Künstlern wird er vier Konzerte geben. Das Projekt erstreckt sich über das ganze Festival, bewegt sich vom Zentrum der Stadt bis an ihre Ränder. Das Projekt zeigt gut, worum es mir bei den Festwochen geht. Auch mit dem Arnold-Schoenberg-Chor oder dem Klangforum Wien arbeiten wir zusammen.

STANDARD: Die Festwochen erscheinen europäischer, es gibt mehr Musik und Tanz als gewöhnlicherweise.

Slagmuylder: Ersteres hat ganz simpel damit zu tun, dass ich eineinhalb Jahre nicht reisen konnte. Wir arbeiten stärker mit Künstlern, die wir bereits kennen, "Entdeckungen" können wir heuer kaum bieten. Aber keine Angst: Die Festwochen sind und bleiben ein internationales Festival. Wir zeigen künstlerische Arbeiten, die man sonst in Wien nicht sehen kann.

STANDARD: Ist das wirklich so? Im Tanzbereich wildern Sie gehörig in einem Bereich, der bisher Impulstanz vorbehalten war.

Slagmuylder: Tanz gab es schon immer bei den Festwochen! Wenn Sie sich das diesjährige Programm genau anschauen, sehen Sie, dass es insgesamt nur vier reine Tanzproduktionen gibt. Mir geht es darum, Künstler aus unterschiedlichen Bereichen zusammenzubringen, in andere Kontexte zu setzen. Die Choreografin Marlene Monteiro Freitas wird 2023 etwa ihre erste Oper, Lulu, inszenieren – in Zusammenarbeit mit dem Theater an der Wien.

STANDARD: Das Festwochenprogramm ist mit 37 Arbeiten sehr umfangreich. Wirklich große Namen findet man darunter aber kaum. Warum?

Slagmuylder: Es geht mir um den Dialog zwischen den Generationen. Neben Künstlern wie Romeo Castellucci oder Isabelle Huppert, die in Wien gut eingeführt sind, geht es darum, neue Positionen zu zeigen, einen Austausch zu ermöglichen. Die großen Namen von vor zehn Jahren sind nicht mehr die großen Namen von heute. Früher haben wir Marthaler eingeladen, heute zeigen wir Susanne Kennedy, das zeigt auch die derzeitigen Entwicklungen im künstlerischen Bereich.

STANDARD: Abseits von Kennedy und Christopher Rüping ist das deutsche Repertoiretheater im Unterschied zur Vergangenheit kaum präsent. Gehen von dort zu wenige Impulse aus?

Slagmuylder: Es gibt in Wien bereits viel gutes, interessantes deutsches Repertoiretheater. Mein Ansatz ist ein interdisziplinärer, ich stehe für Crossover, für Kooperationen. Da sehe ich eine Lücke in Wien, das macht für mich auch die Identität der Festwochen aus.

STANDARD: Sie sind jetzt seit drei Jahren Festwochen-Intendant. Was hat Sie in dieser Zeit mehr gefordert, die Pandemie oder die internen Schwierigkeiten? Man hört von veritablen Verwerfungen.

Slagmuylder: Die strukturelle Neuorganisation der Festwochen hat uns in der Tat sehr gefordert. Jetzt sind wir aber auf Schiene, und ich bin zuversichtlich. Seitdem Frie Leysen (damalige Schauspieldirektorin der Festwochen) 2014 in einem offenen Brief organisatorische Mängel bei den Wiener Festwochen aufzeigte, ist vieles passiert.

STANDARD: Sie konnten nicht mit Wolfgang Wais, dem langjährigen Geschäftsführer. Er wurde durch Artemis Vakianis abgelöst.

Slagmuylder: Wolfgang Wais ist letztes Jahr nach 40 verdienstvollen Jahren bei den Festwochen in Pension gegangen. Genauso wie es künstlerische Entwicklungen gibt, entwickeln sich auch Organisationen weiter. Bei den Festwochen beobachte ich einen Generationenwechsel. Mit der neuen Geschäftsführung arbeite ich äußerst vertrauensvoll zusammen. Wir haben unsere Büros nebeneinandergelegt, die Zwischentüre steht meist offen.

STANDARD: Vakianis war lange Geschäftsführerin der jetzigen Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler beim Steirischen Herbst. Hat das Rathaus wie unter Ursula Pasterk wieder direkten Zugriff auf die Festwochen?

Slagmuylder: Ich rede mit Kaup-Hasler nie über das Festwochen-Programm. Wie alle anderen auch hat sie erst mit der Pressekonferenz von dessen Details erfahren. Wir wissen alle, dass Kaup-Hasler selbst aus dem Kulturbereich kommt, vielleicht ist das der Grund, warum sie sich nie in die Programmierung einmischen würde. Ich ließe dies im Übrigen auch nicht zu.

STANDARD: Ihr Vertrag endet 2024. Werden Sie sich trotz all der internen Schwierigkeiten für die Verlängerung bewerben?

Slagmuylder: Um wirklich etwas weiterzubringen, sind fünf Jahre zu wenig. Also ja, ich werde mich wieder bewerben. (Stephan Hilpold, 12.5.2022)