Einzig die unversehrte Büste des Philosophen Gregorius Skoworoda erinnert an bessere Zeiten: Das ihm gewidmete Museum unweit von Charkiw liegt heute in Schutt und Asche.

Oleg Sinegubow/Facebook

Dem Raketeneinschlag um exakt 23.10 Uhr folgte am vergangenen Samstag eine Feuersbrunst, die man bis in die Morgenstunden bekämpfte – vergeblich. Das in einem Dorf unweit von Charkiw in einem Herrenhaus aus dem 18. Jahrhundert untergebrachte Museum des ukrainisch-russischen Philosophen und Dichters Gregorius Skoworoda lag in Trümmern. Die Sammlung mit Dokumenten und Memorabilien, so heißt es, sei zeitgerecht in Sicherheit gebracht worden. Eine Büste des Philosophen fand sich etwas ramponiert noch mitten im Schutt.

Gemessen an der wachsenden Zahl ziviler Opfer und Berichten über Gräueltaten wiegt die Zerstörung von Kulturgut naturgemäß weniger schwer. Übersehen wird oft, dass es sich nicht immer um Kollateralschäden handelt, sondern teilweise auch um gezielte Angriffe als Teil der Kriegsstrategie.

Verwüstungsschneisen

Die Liste vernichteter oder beschädigter Denkmäler, Theater, Bibliotheken, Museen und Kirchen in den umkämpften Gebieten der Ukraine wächst täglich. Knapp 330 Einträge listet eine vom ukrainischen Kulturministerium eingerichtete Website, bei der entsprechende Beispiele gemeldet werden können. Fotos und Videoaufnahmen dokumentieren: Die bisherigen Bombardements zogen eine Schneise der Verwüstung durch die Regionen rund um Kiew, Luhansk, Charkiw, Tschernihiw und vor allem Donezk.

Zwischendurch meldeten sich Präsident Wolodimir Zelensky oder auch der für Kultur und Informationspolitik zuständige Minister Oleksandr Tkatschenko zu Wort und beklagten anhaltende Verluste von kulturellem Erbe. Die Informationslage bleibt dennoch unübersichtlich, zumal sich Berichte lokaler Behörden und Medien zum Teil widersprechen und sich manche Vorfälle später anders darstellen als ursprünglich kolportiert.

"Wir befinden uns inmitten eines Desinformationssturms", resümiert Konstantin Akinscha. Der Kiewer Kunsthistoriker verfolgt die Geschehnisse an der Kulturgutfront laufend. Wie die Mehrheit daran Interessierter ist er auf Angaben angewiesen, die sich aus der Ferne kaum oder gar nicht überprüfen lassen.

So war im März in Mariupol das Museum des auch in Russland geschätzten Malers Arkhip Kuindzhi bombardiert worden. Laut lokalen Medien seien dabei, bis auf drei Werke, sämtliche Gemälde, darunter auch ein berühmtes Landschaftsstück von Iwan Konstantinowitsch Aiwasowski, zerstört worden. Sie tauchten jedoch später in einem Regionalmuseum auf, dessen Direktorin sie bereitwillig an die Besatzer übergeben haben soll.

Angaben der Stadtverwaltung von Mariupol zufolge sollen mehr als 2000 Objekte von "Ruszisten" – eine ukrainische Wortschöpfung aus Russen und Faschisten – geplündert worden sein. Sie dürften in das russisch kontrollierte Donezk verlagert worden sein. Akinscha ist überzeugt, dass es sich dabei nicht um einfache Diebstähle handelt, sondern um organisierte Plünderungen. Als Historiker fühlt er sich an die Aktivitäten der sowjetischen Trophäenbrigaden erinnert, die Ende des Zweiten Weltkriegs mehr als zwei Millionen Kulturgüter aus Deutschland und anderen europäischen Ländern abtransportierten.

Frage nach dem Gold

In diese Kerbe schlägt offenbar auch der Fall in Melitopol. Am 27. April erklärte die zuständige Militärverwaltung noch, dass die Besatzer eine Sammlung skythischer Goldgegenstände beschlagnahmt hätten. Zwei Tage später wurde die Aussage revidiert, demnach seien die Objekte bereits Anfang März evakuiert worden. Dem widerspricht die Direktorin des Museums in einem Interview ganz vehement.

Der Goldschatz sei im Keller des Museums versteckt gewesen, so Leila Ibrahimowa. Sie selbst sei Mitte März kurzfristig verhaftet und von Beamten des russischen Geheimdienstes verhört worden. Am 20. April ernannte das russische Militär einen mutmaßlichen Kollaborateur zum neuen Direktor. Unter seiner Leitung waren die rund 200 historischen Gegenstände "gefunden" worden. Im russischen Fernsehen schwärmte er von ihrem "großen kulturellen Wert für die gesamte ehemalige Sowjetunion". Am Mittwoch leitete die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft eine Untersuchung der Vorgänge ein. (Olga Kronsteiner, 13.5.2022)