In diesem Gebiet soll die S1-Trasse verlaufen.

APA/HANS KLAUS TECHT

Die Wiener Wirtschaftskammer und die Stadt Wien erhöhen in Sachen Lobautunnel den Druck auf die grüne Verkehrsministerin Leonore Gewessler. Diese hat das Projekt bekanntlich im Herbst 2021 nach einem Klimacheck ihres Ministeriums abgesagt. Dagegen wehrt man sich im Rathaus und in der Kammer vehement – allein Letztere ließ bereits vier Rechtsgutachten zur Causa erstellen. Diesen zufolge ist der Tunnelstopp gesetzeswidrig, im Ministerium vertritt man allerdings eine andere Auffassung.

Nur mit Gutachten will man sich in Wien aber offenbar nicht mehr begnügen – und fährt jetzt schwerere Geschütze auf. Die Wiener Wirtschaftskammer lässt Gewesslers Vorgehen nun vom Verfassungsdienst prüfen: "Wir haben im Verfassungsministerium einen Antrag auf Prüfung des Handelns der Ministerin eingebracht", sagte Kammerpräsident Walter Ruck am Freitag an der Seite von Verkehrsstadträtin Ulli Sima (SPÖ) vor Journalisten.

Ein Land, in dem Gesetzesbruch durch eine Ministerin toleriert werde, könne schwer als Demokratie bezeichnet werden, so Ruck. "Der Rechtsstaat gilt jedenfalls auch für die Spitzenpolitik."

Stadt will Schadenersatz vom Bund

Sima versucht den Tunnel über einen anderen Hebel durchzusetzen. Die Stadt werde sich bei der EU-Kommission über Gewessler beschweren, kündigte sie am Freitag an. Denn: "Die Ministerin verstößt mit ihrem gesetzeswidrigem Verhalten gegen die TEN-Verordnung."

TEN steht für transeuropäisches Verkehrsnetz, die zugehörige Verordnung regelt, wie der Transitverkehr von der Adria bis zum Baltikum ablaufen soll. Deren Ziel sei, Ballungszentren vom Transitverkehr zu entlasten, erklärte Sima. Und in ebendieser Verordnung sei der S1-Lückenschluss samt Lobautunnel festgeschrieben. Dass dieser nicht kommen soll, "werden wir als Stadt nicht hinnehmen", versicherte die Stadträtin.

Sollte es beim Tunnelstopp bleiben, will sich Wien finanziell jedenfalls möglichst schadlos halten. Man werde versuchen, vom Bund Schadenersatz für das abgesagte Projekt zu bekommen, kündigte Sima an. Denn man habe im Vertrauen, dass das Verkehrsnetz ausgebaut werde, die Stadtentwicklung im Norden Wiens vorangetrieben. Man werde nun versuchen, die Kosten im Einzelnen zu ermitteln, auch wenn das nicht so einfach werde.

Rechtsanwalt: "Affront gegen Wien"

Grundlage für all diese Schritte ist ein weiteres Gutachten, das der Wiener Rechtsanwalt Christian Onz im Auftrag der Stadt erstellt hat. Diesem zufolge kann eine Ministerin Straßenprojekte, die wie die Nordostumfahrung (S1) im Bundesstraßengesetz angeführt sind, nicht einfach absagen. "Die Kompetenz besteht nicht", versicherte der Jurist. "Die angeführten Vorhaben sind voranzutreiben. Besonders wenn – wie im vorliegenden Fall – alle Genehmigungen vorliegen."

Diese Auffassung habe bisher auch der Verfassungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung vertreten. "Die Vorgangsweise ist ein offener Affront gegen die Stadt Wien. So geht man in einem Rechtsstaat nicht miteinander um", sagte Onz.

Den Lückenschluss einzuklagen ist laut dem Gutachter hingegen nicht möglich. "Rechtlich gibt es hier keinen Weg", zeigte er sich überzeugt. Die einzige Möglichkeit, gesetzeskonform vorzugehen, wäre eine Streichung des Projekts aus dem Bundesstraßengesetz – für die es im Nationalrat aber wohl keine Mehrheit gäbe.

Gewessler verweist auf Gutachten

Verkehrsministerin Gewessler betont auf Anfrage einmal mehr, dass ihr Vorgehen rechtskonform sei. Man habe "natürlich auch umfassende Gutachten eingeholt, die bestätigen, dass diese Vorgehensweise rechtskonform ist", heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme.

Die Planung von Verkehrsinfrastruktur sei eine "ganz zentrale Aufgabe des Klimaschutzministeriums", heißt es weiter. Das Klimaschutzministerin habe die Aufgabe, mit der Asfinag jährlich ein Bauprogramm abzustimmen. "Dort wird festgelegt welche Projekte die Asfinag in den nächsten sechs Jahren plant und baut. Genau das haben wir auch beim aktuellen Bauprogramm auf Basis der Evaluierung getan." (Stefanie Rachbauer, 13.5.2022)