Rick Osterloh: Dem Hardwarechef kommt bei Google eine Bedeutung zu, die weit über Smartphones hinausgeht – und Teil einer langfristigen Strategie ist.

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Hardware war die große Überraschung der Google I/O 2022. Zwar war erwartet worden, dass Google die einleitende Keynote zur Vorstellung des einen oder anderen Geräts nutzt, mit dem, was es dann zu sehen gab, hatten aber selbst die verwegensten Tech-Auguren nicht gerechnet. Neben der offiziellen Präsentation eines neuen Smartphones wurden auch gleich frische Earbuds und eine Smartwatch enthüllt. Als Zugabe folgte aber noch ein Ausblick auf eine Hardwaregeneration, zu der nicht nur zwei weitere High-End-Smartphones, sondern sogar ein Google-eigenes Tablet zählen sollen.

Klare Aussage

Ein Auftritt mit Symbolcharakter. Recht offensichtlich wollte Google damit eines klarstellen. Nämlich dass das eigene Hardwaregeschäft alles andere als ein Hobby ist. Dass man es wirklich ernst damit meint und die eigenen Aktivitäten in diesem Bereich noch weiter ausbauen wird. Und zwar längst nicht nur bei Smartphones. So werden etwa bis Ende des Jahres noch allerlei Hardwareankündigungen für das Smart Home erwartet.

Auffällig ist aber auch, was Google sowohl bei der Präsentation der eigenen Hardware als auch bei den Neuerungen von Android 13 in den Vordergrund stellt: das nahtlose Zusammenspiel zwischen all diesen unterschiedlichen Devices, die tiefe Integration, die erst viele Funktionen möglich machen soll.

Von Apple lernen ...

Eine Strategie, für die sonst vor allem ein anderes Unternehmen bekannt ist: Apple. Es ist unübersehbar, dass sich Google in dieser Hinsicht von seinem Konkurrenten hat "inspirieren" lassen. Das aber noch bei einer zweiten Philosophie: der engen Verzahnung von Hard- und Software.

Genau diesen Ansatz pusht Google aktuell immer stärker. So soll etwa sogar die lange als unumstößlich geltende, strikte Trennung zwischen den Android- und Hardware-Teams bei Google aufgehoben worden sein. Wo man früher betonte, dass das Pixel-Team nur ein OEM unter vielen sei, werden neue Entwicklungen jetzt im Tandem vorgenommen.

Umdenken

Das bedeutet nicht, dass Google das Modell als Plattformanbieter abdrehen will, für die Verbreitung von Android, Wear OS und Co ist dies weiterhin ein äußerst nützliches Vehikel. Klar ist aber auch, dass sich Google nicht mehr zurückhalten will, nur um anderen Unternehmen nicht auf die Zehen zu steigen – wie es in der Vergangenheit immer wieder der Fall war.

Das aus einem guten Grund: Bei Google ist man offensichtlich davon überzeugt, dass man viele der eigenen Ziele nur mit einer engen Verzahnung zwischen Hard- und Software erreichen kann – und eben nicht mit einem klassischen Partnermodell. Die Entwicklung der Pixel Watch steht dafür geradezu symbolhaft. Jahrelang hatte Google versucht, sich aus dem Hardwaregeschäft herauszuhalten, nur um zuzusehen, wie die eigene Plattform nicht zuletzt aufgrund mangelhafter Hardware und eines fehlenden Gesamtkonzepts zunehmend an Bedeutung verlor.

Hardware heißt auch eigene Entwicklung

Nun veröffentlicht Google schon seit einigen Jahren regelmäßig neue Geräte. Eigene Hardware heißt in dem Fall aber, dass man diese auch zunehmend selbst entwickelt und auf die eigenen Bedürfnisse zuschneidet. Ein Paradebeispiel hierfür ist der in aktuellen Google-Smartphones bereits verbaute Tensor-Chip, der von Google in Kooperation mit Samsung entwickelt wurde.

Irgendwann habe man zur Kenntnis nehmen müssen, dass am Markt zu kaufende Komponenten für die eigenen Vorhaben im Bereich künstliche Intelligenz nicht mehr leistungsfähig genug sind, formulierte Google vor einigen Monaten die Motivation hinter dem Projekt. Also wurde ein Chip geschaffen, der nicht nur in diesem Bereich besonders stark ist, sondern der auf spezifische Aufgaben aus dem Bereich Maschinenlernen optimiert wurde. Dazu zählt etwa die Spracherkennung, aber auch so manche Funktion der Kamera wird sehr gezielt von dem Chip unterstützt.

Spezialchips

Tensor ist dabei auch keine Ausnahme, Google setzt immer stärker auf Spezialchips. In den jetzt angekündigten Pixel Buds Pro findet sich ein ebenfalls von dem Unternehmen selbst entwickelter Audiochip. Darin enthalten: allerlei Optimierungen für Maschinenlernaufgaben, wie Google bei der Präsentation betonte. Und dass Google mit der Titan-M-Reihe schon seit einigen Jahren Sicherheitschips entwickelt, um die eigenen Geräte besser abzusichern, sei auch nicht ganz vergessen.

Die Titan-M-Reihe war so etwas wie der Anfang von Googles Chipentwicklung.
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Wozu das alles?

All das wirft eine Frage auf, nämlich die nach dem Warum. Einerseits wäre ein florierendes Hardwaregeschäft für Google aus finanzieller Sicht natürlich nicht zu verachten. Immerhin ist alles gut, womit man die Abhängigkeit vom Werbegeschäft reduziert. Doch die strategische Relevanz der Hardwareinvestitionen geht wesentlich weiter. Sie haben etwas damit zu tun, wie sich Google die Zukunft generell vorstellt.

Eine Vision

"Ambient Computing" nennt Google diese Vision selbst. Die Idee dabei ist, dass die Menschen in Zukunft von einer Vielzahl von kaum sichtbaren Geräten umgeben sind, die ihnen im Alltag hilfreich, aber möglichst unbemerkt zur Seite stehen. Ein digitaler Assistent ist dafür ein frühes Beispiel, doch es gibt auch andere Formen. Eine davon zeigte Google als Prototyp auf der I/O: eine "Augmented Reality"-Brille, die so etwas wie "Untertitel für die reale Welt" liefert.

Was das Gegenüber spricht, wird dabei nicht nur auf der Brille in Echtzeit angezeigt, es kann auch automatisch übersetzt werden. Damit sollen dann auch zwei Personen in unterschiedlichen Sprachen recht normal miteinander kommunizieren, so die Idee. Dass die Brille kaum anders als ein Modell ohne Technik aussieht, ist dabei Programm.

Pixel Buds

Das erklärt auch, warum gerade Earbuds eine wichtige Rolle in den Google-Hardwareplänen zukommen könnte. Kombiniert man diese nämlich mit einem digitalen Assistenten, dann kann dies ebenfalls genutzt werden, um die eigene Umgebung mit zusätzlichen Informationen anzureichern. Ohrhörer, die immer zeitgerecht ansagen, wo man abbiegen muss, und so den Weg zum Ziel weisen, sind aber natürlich auch eine Form von "Augmented Reality". Und da geht es dann eben nicht einfach nur mehr um Hardware, sondern um generelle Umschichtungen beim Zugriff auf Google-Dienste – und somit um die Zukunft von Google als Ganzes.

Stein für Stein

Die Bausteine dieses "Ambient Computing" waren denn auch quer durch die gesamte Keynote der Google I/O zu sehen. Ob es Verbesserungen bei Google Lens oder beim Maschinenlernen sind oder eben doch ein neues Smartphone und eine passende Uhr, all das wirkt zunehmend wie ein Teil eines Gesamtkonzepts.

Das ist dann übrigens auch ein entscheidender Unterschied zu früheren Jahren, in denen Google oft wie eine Art Software-Gemischtwarenladen wirkte. Irgendwie sympathisch chaotisch, aber auch ohne wirklich konsistente Stoßrichtung.

Langsam mit den jungen Pferden

Bevor das jetzt allzu positiv klingt: Es gibt natürlich einen Unterschied zwischen einer Vision und deren Umsetzung. Dass der Google-Plan aufgeht, ist nämlich längst nicht gesagt. Um einem Projekt zum Erfolg zu verhelfen, bedarf es wesentlich mehr als "nur" guter Hard- und Software. Dazu gehören auch Dinge, bei denen das Unternehmen in den vergangenen Jahren kein sonderliches Talent bewiesen hat.

Made by Google

Gerade ein effizientes Management der gesamten Liefer- und Verkaufskette ist dabei unerlässlich. Dass Google hier so seine Probleme hat, wissen Interessenten in Österreich nur allzu gut. Immerhin werden die Geräte des Unternehmens derzeit nur mehr in Ausnahmefällen hierzulande verkauft. Nun ist unbestritten, dass man experimentelle Produkte auch mal in einem einzelnen Land ausprobieren kann. Will Google aber ein ernstzunehmender Mitspieler im – sagen wir mal – Smartphone-Markt werden, dann kann man auf Dauer nicht einfach nur ein paar ausgewählte Länder bedienen.

Nun ist schon klar, dass die vergangenen Jahre aufgrund der Covid-19-Pandemie und deren Auswirkungen auf die Lieferketten für alle Hersteller herausfordernd waren. Dass dann aber beispielsweise das Pixel 6a erst Ende Juli kommt – und damit auch strategisch zu einem wesentlich schlechteren Zeitpunkt als im Frühjahr –, zeigt allzu deutlich, wie virulent diese Probleme bei Google noch immer sind. Immerhin darf bezweifelt werden, dass es technische Gründe für diese zweieinhalb Monate zwischen Ankündigung und Marktstart gibt. Zumal es sich dabei sowohl von Design als auch Technik her um eine Mischung aus Pixel 5 und Pixel 6 handelt, der Entwicklungsaufwand sich also in überschaubaren Grenzen halten dürfte.

"All in"

Diese Defizite in den Griff zu bekommen ist natürlich mit einem nicht zu unterschätzenden Risiko verbunden, auch in finanzieller Hinsicht. Aber wenn die vergangenen Jahre etwas gelehrt haben, dann das: Wer bei Hardware nicht "all in" ist, der braucht es erst gar nicht zu probieren – nicht einmal, wenn man Google ist. (Andreas Proschofsky, 14.5.2022)