Leere im Einkaufszentrum Europäiski. Vor dem Krieg waren die Gänge voll mit kauffreudigen Russen auf der Suche nach europäischen Modelabels.

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In der Moskauer Innenstadt gibt es eine beliebte Shoppingmall, das Europäiski. Beliebt, weil dort angesagte europäische Modemarken ihre Läden haben. Vor allem an Wochenenden war es brechend voll, wenn der Moskauer Mittelstand durch die Gänge schlenderte.

Inzwischen haben sich die meisten Modemarken den Sanktionen angeschlossen und ihre Läden im Europäiski dichtgemacht.

Viele Verkäufer und Verkäuferinnen sind mittlerweile arbeitslos. Wer noch einen Job hat, bekommt ein Grundgehalt von rund 170 Euro, die Umsatzprovision fällt weg. Am Ende eines verwaisten Ganges hat noch ein Parfum- und Kosmetikgeschäft geöffnet. Ein Mitarbeiter versucht mit Duftproben Kunden anzulocken. Mit mäßigem Erfolg. "Es ist deprimierend", sagt er. Vielleicht öffnen die Läden ja wieder. Aber wann? Keine Ahnung, "wenn wieder Frieden ist".

Weitere Wirtschaftskrise

Durch die "Spezialoperation", wie der Krieg in Russland zu nennen ist, und wegen der Sanktionen des Westens trudelt Russland wohl in eine weitere Wirtschaftskrise. Viele westliche Unternehmen verlassen das Land. Zuletzt Siemens, nach über 100 Jahren.

Noch ist die Versorgungslage gut. Im Supermarkt ist – bis auf manche Importe – alles zu haben. Doch die Preise steigen, in den vergangenen eineinhalb Monaten um mehr als neun Prozent. Bei Importwaren sind die Preissteigerungen noch extremer. Gemäß der russischen Statistikbehörde Rosstat wurden etwa ausländische Autos und Fernsehgeräte um 15 Prozent teurer.

Im April betrug die Inflation 17,5 Prozent. Die Situation werde sich stabilisieren, beruhigte Russlands Präsident Wladimir Putin seine Landsleute. "Die Einzelhandelsnachfrage hat sich normalisiert. Die Warenbestände in den Handelsketten erholen sich." Zentralbankvorsitzende Elwira Nabiullina prognostiziert langfristig eine niedrigere Inflationsrate von zehn bis zwölf Prozent. Die Stützung des Rubels, eine Zahlungsalternative zu Swift, Wirtschaftskrise – gewaltige Herausforderungen lasten auf Nabiullina. Im März spekulierten Bloomberg und das Wall Street Journal über ihren Rücktritt nach der Ukraine-Invasion. Die Zentralbank dementierte.

Orientierung nach China

Russlands Wirtschaft orientiert sich von Europa und Amerika in Richtung China. Das erfordert gewaltige Anstrengungen. Die Prognosen für die nahe Zukunft sind düster. Analysten schätzen, dass der Rückgang des russischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) 2022 rund elf Prozent betragen wird. 2023 könnte sich der Rückgang auf knapp zwei Prozent verlangsamen. Die Menschen in Russland haben Angst um ihre Zukunft. Laut einer Umfrage glauben zwei Drittel der Befragten, dass sich die Sanktionen auf breite Bevölkerungsschichten auswirken werden.

Etwa ein Drittel sagt, dass die Sanktionen zu persönlichen Problemen geführt haben. Besonders betroffen sind Menschen, die in den Städten am Existenzminimum leben. Mehr als die Hälfte befürchtet, unter den Sanktionsfolgen zu leiden.

Unmittelbar wird wohl die Arbeitslosigkeit steigen. Experten befürchten einen Anstieg von vier auf über neun Prozent.

Von Arbeitslosigkeit bedroht sind auch die Angestellten im Einkaufszentrum Europäiski. Ludmilla und Walentina warten auf Kundschaft. "Der Krieg ist schlecht", sagt Walentina. Auf die Nachfrage, man dürfe doch nicht von Krieg sprechen, sondern von einer "Spezialoperation", führt Walentina den Zeigefinger zum Mund. "Wir sprechen nur leise darüber", sagt sie. (REPORTAGE: N. N., 14.5.2022)