In Tokio wurde am Sonntag gegen die US-Präsenz in Okinawa protestiert.

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Nur 15 Minuten nahm sich Japans Premierminister Fumio Kishida am Dienstag Zeit für das Gespräch mit Denny Tamaki, obwohl ihm der Gouverneur von Okinawa eine wichtige Denkschrift überreichte. Kurz vor dem 50. Jubiläum der Rückgabe von Okinawa an Japan am Sonntag wollte Tamaki den Regierungschef daran erinnern, dass der damalige Wunsch der Inselbevölkerung nach einer Verringerung der US-Streitkräfte bis heute nicht erfüllt worden sei. Über die Hälfte der 54.000 US-Soldaten in Japan ist derzeit in Okinawa stationiert, obwohl die Insel nur drei Mal größer als Wien ist.

Am 15. Mai 1972 hatten die USA die "administrative Kontrolle" über Okinawa an Japan übertragen. Schon zu dieser Zeit hofften die Bewohner auf eine Demilitarisierung. Der damalige Premier Eisaku Sato weigerte sich auch zunächst, die strategische und militärische Bedeutung von Okinawa zu bekräftigen. Darauf warnten ihn die USA vor einem "möglichen Hindernis für die künftige Kooperation".

Mehrheit für geringere US-Präsenz

Zähneknirschend lenkte Sato ein und verkündete, die Rolle Okinawas sei "für die Stabilität des Friedens im Fernen Osten äußerst wichtig". Ein halbes Jahrhundert später haben viele Bewohner immer noch das Gefühl, dass sie ihr Schicksal nicht selbst bestimmen können. Bei einer Umfrage verlangten 61 Prozent der Befragten, dass die US-Präsenz verringert werden müsse.

De facto nutzen die USA die Insel als stationären Flugzeugträger. Allein Kadena als größte US-Luftwaffenbasis in Asien verzeichnet jährlich 70.000 Starts und Landungen. Außer durch den Fluglärm löst das US-Militär durch Verkehrsunfälle, Schlägereien, Einbrüche, Vergewaltigungen und Morde an der Zivilbevölkerung immer wieder Wut und Proteste aus. "Das tragische Schicksal von Okinawa und seiner Bewohner besteht darin, eine Kolonie in einer postkolonialen Zeit zu sein", schrieb der US-Gelehrte Richard Falk.

Die spezielle Historie der Insel kompliziert die Gefühle. Okinawa gehört erst seit 1879 zu Japan. Im Zweiten Weltkrieg fanden dort die einzigen Schlachten zwischen Kaisertruppen und den USA auf japanischem Boden statt. Der "Taifun aus Stahl" der USA vernichtete fast alle Siedlungen, 94.000 Insulaner starben. Danach errichtete das US-Militär mit "Bajonett und Bulldozer", wie die Bewohner sagten, auf den besten Flächen seine heute 88 Basen.

Heimlich Atombomben stationiert

Während Japan 1952 souverän wurde, blieb Okinawa unter US-Herrschaft. Trotz Rückgabe gehören die Stützpunkte weiter den USA. Angeblich hat Washington seine Atomwaffen nach 1972 aus Okinawa abgezogen. Zuvor hatte Japans Regierung den USA heimlich die Stationierung von Atombomben für den Ernstfall erlaubt. Aber der Abzug lässt sich nicht überprüfen – Japan hat kein Zugangsrecht zu den Basen, japanische Gesetze gelten dort nicht.

Die Zentralregierung in Tokio ordnet die Wünsche der Insulaner ebenfalls strikt der Sicherheitspolitik unter. Als vor drei Jahren 70 Prozent der Wähler bei einem Volksentscheid gegen die Verlegung des US-Stützpunktes Futenma innerhalb der Insel stimmten, setzte die Regierung die Bauarbeiten zur Erweiterung der Basis in Heneko ungerührt fort. Denn die US-Stützpunkte bilden das Fundament der Sicherheitsallianz mit den USA. Zuletzt ist die militärische Bedeutung von Okinawa sogar gewachsen. Gegen die Atom- und Raketenrüstung von Nordkorea und einen Angriff von China auf Taiwan dient Okinawa als unangreifbarer US-Vorposten in Asien. Taiwan liegt nur 600 Kilometer westlich von Okinawa.

Abschreckung für China

Auch in der neuen Indopazifik-Strategie der USA, die Chinas Großmachtstreben eindämmen soll, spielt die Insel eine wichtige Rolle. "Die US-Basen wirken abschreckend auf China, nicht nur hinsichtlich Japan und Taiwan, sondern für den ganzen Pazifik", betont der taiwanesische Sicherheitsexperte Kuo Yujen. Die tiefe Hoffnung der Insulaner auf weniger Militär wird sich also nicht erfüllen. Die Enttäuschung spürte schon Premier Sato, als er vor 50 Jahren seinem Sekretär gestand: "Ich weiß nicht, ob die Umstände der Rückgabe von Okinawa für Japan gut oder schlecht waren." (Martin Fritz aus Tokio, 15.5.2022)