In Schanghai werden derzeit auch die Straßen desinfiziert.

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China verschließt sich, und zwar für die absehbare Zukunft. Der nun bald zwei Monate andauernde Lockdown in Schanghai, der Abtransport von positiv Getesteten in riesige Quarantänelager und die komplizierten Einreisebestimmungen bringen viele Menschen an ihre Belastungsgrenze. Wer eines der wenigen mehrere Tausend Euro teuren Flugtickets ergattert und alle Genehmigungen beisammen hat, bricht mitunter bei der Ankunft im Ausland weinend zusammen. So erging es einer australischen Familie, die mit zwei kleinen Kindern schließlich in Melbourne ankam.

Am Freitag kündigte die nationale Immigrationsbehörde an, die Ausreise für chinesische Staatsbürger nur noch in dringenden Fällen zu gestatten. Eine Erklärung der Regelung lautet: Weil Peking die Zahl der Covid-Fälle unbedingt auf null bringen möchte, soll auch die Zahl von Einreisenden, die nach der Staatspropaganda für Neuinfektionen verantwortlich seien, reduziert werden. Wenn niemand ausreist, kann auch niemand mehr zurückkehren. Die Regelung belastet aber viele Familien und Paare mit gemischter Herkunft.

Viele Chinesinnen und Chinesen fürchten, dass dies der Auftakt weiterer Maßnahmen ist. Immer wieder hatten chinesische Staatsbürger in den vergangenen Monaten davon berichtet, dass ihnen bei der Einreise in die Heimat der Pass entzogen wurde. Die Behörden nannten dies eine temporäre Maßnahme. Außerdem wurde die Neuvergabe von Pässen vor neun Monaten eingestellt.

Wie im Jahr 1949

Im ersten Halbjahr 2021 hat China 350.000 Pässe ausgestellt – nur zwei Prozent dessen, was 2019 im selben Zeitraum ausgestellt worden ist. Gleichzeitig wollen immer mehr reiche Chinesen das Land verlassen. Ein Anwalt, der reiche Chinesen bei der Emigration berät, sagte dem Wall Street Journal, die Anfragen hätten sich im Vergleich zum Vorjahr verzehnfacht. "Die fühlen sich, als sei es 1949", sagte er. Damals rief Mao Tse-tung die Volksrepublik China aus.

Am Sonntag stellte der Vizebürgermeister von Schanghai, Chen Tong, Lockerungen in Aussicht. So könnten Einkaufszentren und Friseursalons wieder öffnen, Supermärkte sollen Kunden in "geordneter Weise" das Einkaufen ermöglichen. In Online-Netzwerken zeigten sich Einwohnerinnen und Einwohner aber skeptisch, ob es wirklich dazu kommt. Bis auf weiteres sind Millionen von Menschen auf Lebensmittellieferungen der Regierung angewiesen. Täglich werden Menschen ohne Symptome, aber aufgrund eines positiven Tests in ein Quarantänelager abtransportiert. Ebenso spitzt sich die Situation in Peking zu. Dort sind nun einzelne Stadtteile abgeriegelt.

Die Regierung in Peking hat sich einer strikten Zero-Covid-Strategie verschrieben. Mit drakonischen Maßnahmen will die Regierung die Zahl der Neuinfektionen wieder auf null bringen. Sogar die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte Peking kürzlich für das harsche Vorgehen kritisiert. Immer mehr Beobachter vermuten, dass hinter dem Vorgehen auch interne Machtkämpfe oder geopolitische Motive stecken könnten.

Produktionen stehen still

Xi Jinping hat als erster Staatspräsident nach Mao seine eigene Amtszeitbeschränkung abgeschafft und will sich 2023 für weitere fünf Jahre im Amt bestätigen lassen. Unterdessen schaden die Lockdowns immer mehr der Weltwirtschaft. Zahlreiche Produktionen stehen still, darunter auch die Tesla-Fabriken und das Werk des Apple-Zulieferers Foxconn. In US-Kliniken finden bestimmte Operationen nicht statt, weil ein Kontrastmittel für CT-Scans und andere Techniken fehlen, das ausschließlich in einer Fabrik in Schanghai hergestellt wird.

Und am Samstag hatte Peking auch angekündigt, wegen seiner Zero-Covid-Politik nicht wie geplant im nächsten Jahr die asiatischen Fußballmeisterschaften austragen zu wollen. (Philipp Mattheis, 16.5.2022)