Finnlands Präsident Niinistö (re.) und Ministerpräsidentin Marin (li.) preschten vor, Schweden folgte kurz danach.

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Der ansonsten so besonnene Sauli Niinistö, Finnlands bürgerlicher Staatspräsident, vermochte seine Ergriffenheit am Sonntag kaum zu verhehlen. Gleich mehrmals sprach er von einem "historischen Tag" für das nordische Land. Wenige Stunden später erklärten auch die regierenden schwedischen Sozialdemokraten ihre Zustimmung zu einem Nato-Beitritt. In beiden Ländern steht jetzt nur mehr das Votum der Parlamente aus, allerdings gilt dies sowohl in Helsinki als auch in Stockholm als Formalakt.

Lange galt dies auch für die andere Seite, die Nato nämlich, deren norwegischer Generalsekretär Jens Stoltenberg die Nachbarn – ebenso wie Schweden – lieber heute als morgen mit am Tisch hätte. Nun regt sich aber ausgerechnet an der südöstlichen Flanke des Bündnisses Widerstand. DER STANDARD hat die wichtigsten Fragen und Antworten zu den Nato-Ambitionen im Norden zusammengetragen.

Frage: Warum haben es gerade die Finninnen und Finnen so eilig mit dem Beitritt zu einem Bündnis, dem sie so lange ferngeblieben sind?

Antwort: Seit Ende des Zweiten Weltkriegs war Finnland, das über eine 1.300 Kilometer lange Grenze zu Russland verfügt und in zwei Kriegen 1939 und 1944 Gebiete an die Sowjetunion abtreten musste, auf Geheiß Moskaus offiziell bündnisfrei. Seit einigen Jahren ist die hochgerüstete Armee des 5,5-Millionen-Einwohner-Landes aber eng mit Nato-Strukturen verwoben – freilich ohne Mitglied im Klub zu sein. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat bei der finnischen Führung, aber vor allem auch in der bisher Nato-skeptischen Bevölkerung zu einem Umdenken geführt. Umfragen deuten an, dass sich die meisten Finninnen und Finnen von der Nato Schutz vor dem unberechenbaren Nachbarn im Osten versprechen. Auch Regierungschefin Marin sieht das so: "Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine hat sich alles verändert, und ich persönlich denke, wir können uns nicht mehr darauf verlassen, dass es eine friedliche Zukunft geben wird neben Russland und auf uns allein gestellt", sagte sie am Sonntag.

Frage: Wie hat der Kreml auf die Pläne Finnlands bisher reagiert?

Antwort: Schon Mitte April, als sowohl Finnland als auch Schweden erstmals laut Beitrittsgedanken hegten, kamen martialische Töne aus Moskau. Man komme nicht umhin, im Falle einer Nato-Erweiterung im Norden Atomraketen in Kaliningrad, der russischen Ostsee-Exklave, zu stationieren, sagte Vize-Sicherheitsratschef Dmitri Medwedew. Und auch jetzt, wo die Pläne immer konkreter werden, greift der Kreml tief in die Mottenkiste: Man werde "militärisch-technisch" reagieren, sollte sich an der Nordflanke eine Bedrohung auftun, sagte Wladimir Putins Sprachrohr Dmitri Peskow Ende vergangener Woche. Nachdem sich Niinistö und Marin am Freitag für einen Beitritt zur Nato ausgesprochen hatten, griff Ersterer zum Telefon und besprach die neue Lage mit jenem Mann, dessen Aggression Finnland erst zu dem historischen Schritt gedrängt hat. Zu hören bekam Niinistö, dass Putin Finnlands Pläne als Fehler betrachtet. Von Russland, so der Kriegsherr, gehe keine Bedrohung aus. Finnlands Schritt werde zu einer Verschlechterung der bisher guten nachbarschaftlichen Beziehungen führen. Für mögliche russische Repressionen, Grenzspannungen etwa oder Cyberattacken, sieht sich die Regierung in Helsinki gewappnet: "Wir sind natürlich auf alle möglichen Aktionen von russischer Seite vorbereitet", erklärte Marin am Sonntag.

Frage: Auch Schweden will in die Nato. Wie geht es dort weiter?

Antwort: Auch auf der anderen Seite der Ostsee, im ebenfalls bündnisfreien Schweden, hat sich die sozialdemokratische Regierungspartei von Ministerpräsidentin Magdalena Andersson am Sonntag für einen Beitritt zu der westlichen Militärallianz ausgesprochen. Anders als in Finnland gab es in Stockholm aber tiefere Gräben, die es zu überwinden galt. Umfragen bescheinigen eine Pattsituation, nur etwa die Hälfte der Schwedinnen und Schweden ist für einen Beitritt zur Nato. In der jüngeren Vergangenheit sah sich Schweden immer wieder durch Russland militärisch bedroht, etwa als Moskau Planspiele veröffentlichte, die eine Eroberung der strategisch wichtigen Ostseeinsel Gotland abbildeten. Anderssons Minderheitsregierung dürfte nach dem Parlamentsvotum in Kürze das offizielle Beitrittsgesuch einreichen – gemeinsam mit Finnland.

DER STANDARD

Frage: Die Nato muss der Erweiterung einstimmig zustimmen. Gibt es Widerspruch?

Antwort: Bisher galt es als so gut wie sicher, dass sowohl Finnland als auch Schweden in die Nato "durchgewinkt" werden. Berlin etwa würde einen Beitritt der beiden Länder "sehr schnell" ratifizieren, sagte Außenministerin Annalena Baerbock am Sonntag bei informellen Beratungen mit ihren Nato-Kolleginnen und -Kollegen in Berlin. Aus Ankara kam aber Störfeuer: Nachdem der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan den beiden Nordländern kürzlich vorgeworfen hatte, kurdischen PKK-Terroristen Unterschlupf zu gewähren, legte Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu am Sonntag nach: Die Mehrheit der türkischen Bevölkerung sei gegen eine Aufnahme von Schweden und Finnland, erklärte er. Im Ukraine-Konflikt betont die Türkei stets ihr gutes Verhältnis zu Moskau wie auch zu Kiew. Weil alle 30 Mitglieder die Erweiterung ratifizieren müssen, gilt die Zustimmung Ankaras als entscheidend. Dass die Türkei, die "Sicherheitsgarantien" fordert, die Aufnahme Finnlands und Schwedens tatsächlich blockieren will, hielt Nato-Generalsekretär Stoltenberg am Sonntag jedenfalls aber für ausgeschlossen. (Florian Niederndorfer, 16.5.2022)