Wir sind gerade beim Salat für die Hauptspeise, als wir beschließen, eine Ausnahme zu machen. Mit geübten Handgriffen hat Wernher Schörkmayr eine Gurke halbiert, entkernt, in halbmondförmige Schnitze geschnitten, einen Schuss Gurkenessig und Sonnenblumenöl zugegeben und dann, als er gerade ins Salzfass greifen wollte, kurz innegehalten. Salz – ist das erlaubt? Ein Wiener Menü wollen wir kochen, ausschließlich aus Produkten, die auf Stadtgebiet angebaut wurden. Nur: ein Essen ganz ohne Salz? Das ist uns dann doch zu radikal.

Bestens vertraut

Die anderen Sachen waren schnell besorgt: Die Wiener Gurken gibt’s im Supermarkt. Anschließend ein kurzer Besuch bei "Essigpapst" Erwin Gegenbauer, der in seiner Manufaktur im zehnten Bezirk nicht nur Wiener Trauben vergärt, sondern auch städtische Äpfel und Gurken. Das Öl stammt vom Prentlhof, der im Süden von Favoriten in sechster Generation vom Ehepaar Sandbichler geführt wird.

Wernher Schörkmayr.
Foto: Heribert Corn

Normalerweise kocht Schörkmayr, Küchenchef im Restaurant Wildling, regionale Tapas. Mit dem Gedanken der Regionalität ist er also vertraut – und daher war er auch sofort dabei, als ich ihm von meinem Plan erzählt habe. Die Liste an potenziellen Zutaten ist lang: 577 land- und forstwirtschaftliche Betriebe zählt die Stadt. Sie bauen Wein, Gemüse und Zierpflanzen an, halten Nutzvieh und Bienen, bewirtschaften Äcker und züchten Pilze.

Vorratskammer

Bei der Gestaltung des Menüs hatte der Profi freie Hand. Nur die Gurken, die habe ich mir gewünscht. Schließlich ist Wien Spitzenreiter bei der Gurkenproduktion. Rund 30 Tonnen wurden 2020 geerntet – dreimal so viel, wie die Wiener übers Jahr verteilt essen. Auch beim sonstigen Gemüse steht die Stadt gut da: Rund ein Drittel des Bedarfs können die städtischen Gartenbaubetriebe decken.

Sie befinden sich vor allem jenseits der Donau sowie am südöstlichen Stadtrand in Simmering, von wo auch unsere Gurken stammen. Die werden nun mit Honig, fein gewürfelten Schalotten, gehackter Chili sowie Ingwer gewürzt. An dieser Stelle ein Geständnis: Chili und Ingwer werden zwar in Wien angebaut, aus logistischen Gründen haben wir aber auf die Vorratskammer des Wildling zurückgegriffen, die das Gemüse aus der Nähe von St. Pölten beziehen.

Wiener Bezirkshonig.
Foto: Heribert Corn

Der Honig dafür könnte kaum Wienerischer sein: Er stammt von Bienen, die auf dem Dach der TU am Karlsplatz nisten. Das restliche Gemüse steuerte die Gärtnerei Bioschanze bei, die im 21. Bezirk über 90 verschiedene Gemüse- und Kräutersorten anbaut. Glücklicherweise verkaufen sie Samstagmorgens am Naschmarkt, was den Einkauf deutlich erleichterte.

Biologisch bewirtschaftet

Letzten Endes geht es bei unserem Menü um ein Gedankenexperiment. Regionalität endet nicht an der Stadtgrenze. Um das Bewusstsein der Bevölkerung für die Arbeit der städtischen Landwirte zu schärfen, lancierte die Landwirtschaftskammer im vergangenen Jahr die Marke "Stadternte Wien" für auf Wiener Boden erzeugte Nahrungsmittel. Neuerdings gibt es mit "Wiener Gusto" auch eine eigene Biomarke, um Erzeugnisse von städtischen Biobauern zu vermarkten: Hülsenfrüchte, Erdäpfel, Leinöl, Mehl. Weitere Produkte sollen folgen.

Schon jetzt wird über ein Drittel der landwirtschaftlichen Flächen biologisch bewirtschaftet – damit liegt die Stadt über dem landesweiten Durchschnitt von 26,5 Prozent, und im Rahmen des "Aktionsprogramms 2022+" soll der Anteil in den nächsten Jahren weiter steigen.

Pilze aus Altbaukellern

Initiativen wie die städtische Biomarke gibt es im Kleinen schon länger: 2020 taten sich auf Idee von Markus Sandbichler vom Prentlhof fünf Oberlaaer Biobetriebe zusammen, um ein superregionales Brot auf den Markt zu bringen. Sämtliches Getreide stammt aus einem 15-Kilometer-Radius rund um den Kirchturm. Und die Brauerei Ottakring verkauft seit zwei Jahren ihr "Wiener Original" – gebraut aus Wiener Gerste.

Der Wels stammt vom Aquaponik-Pionier Blün.
Foto: Heribert Corn

Getreide kommt auch in unserer Vorspeise vor: Gebackene Shiitake-Pilze auf Tomaten-Melanzani-Salat. Unsere Pilze stammen aus den Altbaukellern der Pilzbrüder. Bevor Koch Schörkmayr sie in Mehl, Ei und Bröseln wendet, blanchiert er sie kurz in mit Gemüseabschnitten aromatisiertem Wasser. Das Sommergemüse (wie auch der Fisch für die Hauptspeise) stammt vom Aquaponik-Pionier Blün: ressourcenschonende Zucht auf kleinem Raum. Der Fischdung landet als biologisches Düngemittel bei Melanzani und Tomaten.

Die befreit der 31-Jährige nun von Schale und Kernen. Sein Zero-Waste-Tipp: die Schale im Ofen zu Chips trocknen, das kernige Innere zu Soße einkochen. Die gewürfelten Melanzani brät Schörkmayr in einer Pfanne mit Öl an, bevor er die geschnittenen Tomaten mitsamt einer Jungzwiebel, etwas Chili und TU-Honig sowie einem Spitzer von Erwin Gegenbauers Apfelessig zugibt.

Sauerkraut aus dem 22. Bezirk

Als knuspriges Topping karamellisiert er Kürbiskerne mit etwas Zucker in der Pfanne. Zucker? Ja, auch Rübenbauern gibt es in der Stadt! Die Kerne stammen vom Prentlhof, der das wohl einzige Kürbiskernöl Wiens herstellt. Mit ein paar Spritzern dieses Öls wird unser Tomatensalat abgerundet. Obendrauf kommen frische Kräuter sowie die in heißem Öl ausgebackenen Pilze.

Bevor wir uns dem Wels für die Hauptspeise widmen, zaubert Schörkmayr noch eine Mayonnaise aus Eidotter, Wiener Senf, Öl und – seine Geheimzutat – selbstgemachtem Sauerkraut. "Unser Kraut bekommen wir aus dem 22. Bezirk", wirft Geschäftsführer Manuel Künz flugs ein, der sich zu uns in die Küche gesellt hat. Auch wenn manche Betriebe dank Gewächshäusern und Kunstlicht das ganze Jahr über ernten, ist das Angebot in den kalten Monaten naturgemäß kleiner.

Das Menü: lauwarmer Salat mit Pilzen und Kürbiskernkrokant, Wels auf Gurkensalat mit Kraut-Mayo und Ofen-Rhabarber mit Zabaione.
Foto: Heribert Corn

Das Einwecken sei eine Möglichkeit, diese Zeit zu überbrücken, sagt Schörkmayr, der nun den einseitig mehlierten Wels in Öl anbrät. "Nach zwei bis drei Minuten einmal umdrehen und sofort vom Herd nehmen." Zum Gurkensalat gibt er noch reichlich Koriander, ein "Streitthema", wie er lachend sagt, aber eines seiner Lieblingskräuter, seit er mit Anfang 20 einige Zeit in Asien gekocht hat.

Für den süßen Abschluss wird eine Stange Wiener Rhabarber geschält, mit Honig eingerieben und sechs bis sieben Minuten bei 180 Grad im Ofen gegart. Dazu soll es Zabaione geben, wofür Eidotter mit Honig über einem Wasserbad aufgeschlagen wird. Nach und nach kommt etwas Wein hinzu. Der darf in einem Wiener Menü natürlich nicht fehlen! Aufs Dessert streut Schörkmayr noch seinen Rhabarberzucker, für den er die Schalen mit Zucker eingerieben, über Nacht getrocknet und dann gemahlen hat. Fertig ist unser radikal regionales Menü. Zum Trinken gibt es – na klar – den Rest vom Wiener Wein. (Verena Carola Mayer, 17.5.2022)

Info
Die erste Wiener Bio-Lebensmittelmarke
Berglinsen, Wildfleisch, Erdäpfel, Leinöl, Roggen-, Weizen- und Dinkelmehl oder sogar Kichererbsen in Bioqualität: Die Stadt Wien launcht unter dem Label "Wiener Gusto" jetzt die erste Wiener Bio-Lebensmittelmarke mit Produkten aus den landwirtschaftlichen Nutzflächen der Klima-, Forst- und Landwirtschaftsbetriebe. Produziert wird ohne chemisch-synthetische Spritz- und Düngemittel oder künstliche Aromen- und Zusatzstoffe. Das Sortiment soll laufend erweitert werden.

Der Softlaunch der Produktlinie erfolgt im Sommer über den Webshop unter wienergusto.at, später sollen die "Wiener Gusto"-Lebensmittel auch in ausgewählte Handelsketten erhältlich sein.
Foto: Wiener Gusto