Seit fast eineinhalb Jahren befindet sich der 65-jährige G. in Untersuchungshaft – als Unschuldiger, wie er beteuert.

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Wien – Der dritte Verhandlungstag im Mordprozess gegen den 65-jährigen Herrn G., dem von der Staatsanwaltschaft der Mord an seiner im Dezember 2005 verschwundenen 31-jährigen Noch-Ehefrau Elisabeth vorgeworfen wird, bringt viele Widersprüche – sowohl, was den Angeklagten betrifft, als auch zu den Handlungen und Aussagen der Verschwundenen, deren Überreste trotz mehrerer Suchaktionen nie gefunden wurden.

Da ist einerseits der Angeklagte, der von Staatsanwältin Julia Kalmar bisher als besitzergreifender, aggressiver Mensch skizziert wurde, der mit Trennungen nicht zurechtkommt. Dabei stützt sie sich beispielsweise auf die Aussagen einer Trainingspartnerin der Verschwundenen. Die beiden hatten in den gut zwei Monaten vor dem spurlosen Verschwinden von Frau G. zweimal die Woche gemeinsam gesportelt. Elisabeth habe "panische Angst" gehabt, dass ihr die gemeinsame Tochter weggenommen würde, beschreibt sie als Zeugin. Sie habe auch von "Psychoterror" durch den Angeklagten gehört. Einmal habe G. angeblich zu seiner in Scheidung lebenden Gattin gesagt: "Was bist du für eine Frau, du hast behaarte Beine."

Unzufrieden, unglücklich, überfordert

Andererseits ist da die Psychotherapeutin der Verschwundenen, der gegenüber Elisabeth nie von einer Angst über das Kind gesprochen hatte. Die junge Frau sei von August 2004 bis Mai 2005 bei ihr in Behandlung gewesen, dann nochmals von September 2005 bis zu ihrem Verschwinden. Zu Beginn der Verhandlung sei die Patientin "sehr unzufrieden über ihre Rolle gewesen, unglücklich und überfordert". Elisabeth war nach der Geburt der gemeinsamen Tochter nämlich wegen ihrer besseren Ausbildung wieder als Architektin arbeiten gegangen, der Angeklagte kümmerte sich um das Kind.

Weihnachten 2004 sei es der Patientin "ganz besonders schlecht" gegangen, schildert die Psychotherapeutin weiter, von Suizid sei aber nie die Rede gewesen. Der Vater der Verschwundenen hatte am zweiten Verhandlungstag dagegen berichtet, seine Tochter habe beim Familientreffen zu Weihnachten 2004 sehr konkret über eine Selbsttötung gesprochen. Laut Therapeutin habe sich die Lage aber im Frühjahr 2005 gebessert.

Als Elisabeth im September wieder kam, "ging es ihr in der Beziehung erneut sehr schlecht". Sie habe eine "totale Ohnmacht" verspürt wegen "der absoluten Kontrolle durch den Mann", sagt die Zeugin, Elisabeth habe auch den Eindruck gehabt, sie würde durch den Angeklagten "aktiv vom Kind ferngehalten". Kurz darauf reichte die Frau die Scheidung ein, die im November finalisiert wurde.

"Sehr zuversichtlich" nach letzter Therapiesitzung

Das letzte Gespräch fand am 1. Dezember, also fünf Tage vor dem Verschwinden statt. "Sie kam sehr verzweifelt", sagt die Therapeutin, die aber gleichzeitig überzeugt ist, ihre Patientin sei ihr nicht "psychisch instabil" vorgekommen. Am Wochenende davor sei Elisabeth in ihre neue Wohnung übersiedelt, Vereinbarungen bezüglich des Kindesaufenthalts seien nicht eingehalten worden. Aus der Therapiesitzung sie Elisabeth dann aber "sehr zuversichtlich und mit Blick auf die Zukunft gestärkt weggegangen".

Wie beim Blick durch ein Kaleidoskop verändern sich die Bilder des Angeklagten und der Verschwundenen bei jeder neuen Zeugin und jedem neuen Zeugen. Während die Psychotherapeutin sagt, Elisabeth sei es ab Frühjahr 2005 wieder besser gegangen, berichtet eine Studienkollegin und Freundin über einen Besuch bei Elisabeth im Frühjahr 2005, wo diese konkret von Selbstmord gesprochen habe. Diese Zeugin erinnert sich auch, vom Angeklagten am 9. Dezember 2005 angerufen worden zu sein, als er sich nach dem Verbleib von Elisabeth erkundigt habe. Das wunderte sie, da sie ihm nie ihre Handynummer gegeben hat. Umgekehrt berichtet die bereits erwähnte Trainingspartnerin der Verschwundenen, G. habe ihr bei einer zufälligen Begegnung in der U-Bahn gesagt, Elisabeth habe "sich eine Auszeit genommen". Einer Nachbarin gegenüber befürchtete der Angeklagte wiederum, Elisabeth habe einen Unfall gehabt oder sei entführt worden.

Widersprüchliche Aussagen

Ein anderes Beispiel für Widersprüche: Die gemeinsame Tochter, die ihren Vater in höchsten Tönen lobt, sagt, dass sowohl sie als auch der Angeklagte dagegen gewesen wären, als Elisabeths Eltern im Jahr 2018 die Verschwundene gerichtlich für tot erklären ließen, um eine Erbschaft abwickeln zu können. Eine Sportkollegin von G. will sich dagegen erinnern, dass der Angeklagte ihr bei einer Fahrt zu einem Wettkampf erklärt habe, er habe das Verfahren initiiert, und er sei froh, dass Elisabeth für tot erklärt werde, da die Tochter dadurch zu einer Halbwaisenpension kommen würde.

Eine weitere Sportlerin, mit der der Angeklagte während der Ehe mit Elisabeth eine Affäre hatte, schildert, dass sie die Beziehung im August 2005 beendet habe, er aber darauf ruhig mit den Worten: "Lass uns Freunde bleiben" reagiert habe. Auf der anderen Seite sagt eine Frau – die G. ebenfalls durch den gemeinsamen Sport kennengelernt hatte – aus, die 1996 oder 1997 zwei oder drei Monate mit ihm zusammen war. Auch sie habe Schluss gemacht, seine Reaktion damals beschreibt die Zeugin mit: "Ich dachte eher, er denkt 'Man nimmt mir das Spielzeug weg.' Kurz darauf habe G. sie und ihren neuen Freund auf der Donauinsel abgepasst, sei aus einem Gebüsch gesprungen und habe mit dem neuen Partner herumgerangelt. Danach habe sie längere Zeit "ein mulmiges Gefühl" gehabt und ein zusätzliches Schloss installiert.

"Sehr starker Kinderwunsch" versus gute Vorstellungskraft

Die Polizei schrieb nach einer Einvernahme dieser Zeugin auch, G. habe einen "sehr starken Kinderwunsch" gehabt. Dem widerspricht die Frau vor dem Geschworenengericht unter Vorsitz von Claudia Zöllner: G. habe in einem Gespräch damals vor 25 Jahren einmal gesagt, er "könne sich gut vorstellen mit einem Kind und zwei oder drei Hunden spazieren zu gehen". Allerdings: "Das war nicht an mich gerichtet, so weit waren wir gar nicht", verneint die Zeugin konkrete Zeugungsabsichten.

Die Beschreibungen von G. changieren zwischen "Alphatier" und "sehr manipulativer Mensch" bis zu "immer sehr hilfsbereit" und "sehr guter Vater". Detto bei Elisabeth: Ein Zeuge erlebte sie als "wilde Henne", die sich eine Glatze scheren ließ und "sehr intensiv in ihrer Argumentation" gewesen sei. Andere wollen keine besonderen Auffälligkeiten und erst recht keine Suizidabsichten registriert haben, wieder andere sagen, beide Seiten hätten ein ausgeprägtes Konkurrenzdenken gehabt und wollten sich gegenseitig übertrumpfen – sowohl im sportlichen Bereich als auch bei der Betreuung des Kindes.

Am Donnerstag wird der Prozess mit weiteren Zeuginnen und Zeugen fortgesetzt, möglicherweise fällt dann auch ein Urteil. (Michael Möseneder, 16.5.2022)